Der rote Kakadu

Deutschland 2006 · 128 min.
Regie: Dominik Graf
Drehbuch: , ,
Kamera: Benedict Neuenfels
Darsteller: Max Riemelt, Jessica Schwarz, Ronald Zehrfeld, Tanja Schleiff, Ingeborg Westphal u.a.
Auf dem »Blauen Wunder«: Wolle, Siggi und Luise

Tanz vor der Mauer

Am Anfang ist da dieses bizarre Stumm­film­bal­lett. Junge Paare verrenken seltsam rhyth­misch ihre Glied­maßen bis schließ­lich einer den Plat­ten­spieler ins Getümmel stellt und die Musik ertönt: Selbst­ver­s­tänd­lich Rock'n'Roll, denn schließ­lich schreiben wir das Jahr 1961, und da hört man so was auch jenseits des eisernen Vorhangs auf einer Sommer­wiese im Dresdner Zwinger.

Zwei schauen dem Treiben zu: Luise raucht und blickt auf die Tanzenden, Siggi schaut immer öfter zu Luise. Bis in das fröhliche Idyll plötzlich die Staats­macht bricht. Doch obwohl Gummi­knüppel sausen und schwere Stiefel die kostbaren Platten zertram­peln, scheint alles wie ein großer Spaß, ein tolles Abenteuer, und die Männer mit den Knüppeln wirken kaum bedroh­li­cher als der Polizist im Kasperl­theater.

Regisseur Dominik Graf hat sich die Zeit vor dem Mauerbau zum Thema genommen: Die letzen Wochen der Unschuld, in denen Juri Gagarin als erster Mensch durchs All schwebt, in der idea­lis­ti­sche Menschen wie Luise sich tatsäch­lich noch einreden können, dass die DDR das bessere System ist, wenigs­tens »sobald die alten Säcke weg sind«.

Siggi ist da eher prag­ma­tisch, er spielt mit dem Gedanke rüber­zu­ma­chen. Statt Dresdner Barock skizziert er lieber das abgenagte Gerippe der soeben verzehrten Gans. »Mensch Siggi, kannste nicht mal was schönes zeichnen?« will Tante Hedy wissen, bei der sich das Landei einquar­tiert hat. »Nee, da lernt man nichts«, ist Siggis lako­ni­sche Antwort. Im Theater katz­bu­ckelt er vor dem neuen Inten­danten und prahlt mit seiner bäuer­li­chen Herkunft – schließ­lich will er demnächst Bühnen­de­sign studieren. Und dazu braucht er – mehr noch als Talent – das gnädige Nicken der Partei. Das Meissner Porzellan seiner Tante verhökert er unter­dessen am Kuhdamm, um sich tollkühn kana­ri­en­gelbe Schuhe zu kaufen.

Um so faszi­nierter ist er von Luise, die frohgemut in einer Abfüll­fa­brik malocht und ihre als »dekadent« abge­stem­pelten Gedichte nur in der Freizeit schreiben kann. Und dann gibt es auch noch Wolle, einen unver­schämt gutaus­se­henden Kerl in Leder­jacke, der dem Stasi­bonzen schon mal ein Sektglas mit frisch­ge­zapften Urin unter­ju­belt und bei den Mädels nicht anbrennen lässt. Zu dumm nur, dass er ausge­rechnet Luises Mann ist.

Die Drei­ecks­ge­schichte funk­tio­niert dann auch ganz wunderbar: Hoffnung und Verzweif­lung, Freund­schaft und Loya­li­täts­kon­flikte. Graf widmete sich seinen Figuren mit liebe­voller Neugier; der mutigen, fröh­li­chen und loyalen Luise und ihren beiden so verschie­denen Verehrern, aber auch den Neben­fi­guren wie Rena, der Nacht­club­sän­gerin, die ihre Trau­rig­keit mit glit­zernden Kleidern und viel Schminke überdeckt. Und die ganz wunder­bare Tante Hedy, die mit viel insze­niertem Tisch­ge­wa­ckel Seancen abhält, um dem toten Bruder das Versteck mit dem Fami­li­en­silber zu entlocken und ansonsten auf der Bühne steht, um die deutsche Sprache zu reha­bi­li­tieren.

Über all dem tickt uner­bitt­lich der Countdown für den Mauerbau, und damit das niemand ange­sichts des Liebes­rei­gens vergisst, lässt Graf regel­mäßig die verblei­benden Tage bis zur Kata­strophe einblenden. Dass der Zuschauer weiß, was kommt, unter­füt­tert den Film von Anfang an mit Melan­cholie, die gold­ge­färbten Sommer­bilder ebenso wie die wunder­baren über­bro­delnden Szenen aus der legen­dären Kakadu-Bar, die zum zentralen Schau­platz der Geschichte wird, und die es tatsäch­lich gegeben hat.

Am Schluss geht plötzlich alles Holter­die­polter – die Clique aus dem Kakadu sitzt auf der Ankla­ge­bank, irgend­je­mand hat sie verraten, dann ist auch schon die Mauer da, und als Siggi schließ­lich dämmert, wer tatsäch­lich der Verräter war, scheint das auch schon irgendwie egal.

Die Zeit trägt die Schönheit davon ist der Titel einer Statue von Pietro Balestra, die Siggi zu Beginn des Films bewundert: die Schönheit der Menschen, die Schönheit der Lebens­lust, die Schönheit von Idea­lismus und Unschuld. Den Glück­li­chen gelingt es, sie immer wieder aufer­stehen zu lassen – und sei es nur in der Erin­ne­rung.