Red Riding Hood

USA/GB 2011 · 100 min. · FSK: ab 12
Regie: Catherine Hardwicke
Drehbuch:
Kamera: Mandy Walker
Darsteller: Amanda Seyfried, Gary Oldman, Billy Burke, Shiloh Fernandez, Max Irons, Virginia Madsen u.a.
Ein durch und durch postmodernes Rotköppchen

Rotkäppchen reloaded

»Groß­mutter, warum hast Du so große Zähne?« – Das war einmal, das fragt hier niemand mehr, und dass dies so ist, liegt nicht allein daran, dass die Groß­mutter in diesem Film von keiner anderen gespielt wird als von Julie Christie. Denn Red Riding Hood ist keine Verfil­mung der guten alten schön-schau­rigen Rotkäpp­chen­ge­schichte der Gebrüder Grimm, sondern ein poppiger Hybrid diverser Märchen­mo­tive mit Elementen des roman­ti­schen Teenie­schmalzes wie des Horror – in diesem Fall des Werwolf­films – wie gemacht also für junge Menschen, die sich gruseln und gleich­zeitig anein­an­der­ku­scheln wollen, und genau wie dieser Film und seine Figuren nicht so ganz sicher wissen, wer und was sie eigent­lich sind.

Aber schon bei den Grimms konnten Wölfe sprechen, und so ist der Schritt vom klas­si­schen Bildungsgut und Kinder­vor­le­se­stoff zum fiesen Horrors­platter mit tieferer Bedeutung viel­leicht doch weniger weit, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

Mit einem langen Flug von Molly Walkers Kamera über eine weite, prächtige Winter-Land­schaft beginnt alles, ein Schnee­witt­chen­schloss ist zu sehen, ein Mühle klappert am rauschenden Bach, dann dringt man ein in die Schwärze eines Märchen­waldes – und ins Unterholz des eigenen Bewusst­seins und der Erin­ne­rung an Kind­heits­mär­chen. Ein kleines Dorf am Rande des Waldes ist der Schau­platz: eine enge Welt, eine bornierte Dorf­ge­mein­schaft, Schweine werden geopfert, alles ist spürbar zu begrenzt für aufge­weckte Jugend­liche wie Valerie und Peter. Wie Hänsel und Gretel spielen die beiden Kinder im Wald, ahnungslos gegenüber dessen Gefahren, brechen die Regeln der Erwach­senen.

Zum Beispiel fangen sie einmal ein kleines weißes Kaninchen, und wer einmal Angela Carters Märchen für Erwach­sene gelesen hat, die unter dem Titel »The Bloody Chamber« erschienen sind, erinnert sich bestimmt an die drei dort enthal­tenen Rotkäpp­chen-Geschichten, deren eine, phan­tas­tischste, den Titel »Wolfs-Alice« trägt – ohne Frage gehört auch Carter zu den Inspi­ra­ti­ons­quellen für Catherine Hardwicks sehr eigen­wil­lige Verfil­mung, wie unver­kennbar auch Neil Jordans In The Company of Wolves, die ganz direkt auf Carters Geschichten basierte.

Die Handlung des Films kommt auch, nachdem sie aus der Kindheit in eine »zehn Jahre später« ange­sie­delte Zeit gesprungen ist, etwas mühsam in Gang. Zwar passiert ziemlich viel, doch kann man sich zunächst wenig zusam­men­reimen: eine Glocke bimmelt alar­mie­rend, »Der Wolf!« rufen Stimmen erregt, und bald ist klar, das eine Wolfs­bestie das Dorf regel­mäßig heimsucht. Jetzt hat sie wieder zuge­schlagen, und ausge­rechnet Valeries Schwester Lucie ist sein Opfer geworden. So ist der Film ganz schnell aus dem Märchen­haften heraus – und in die Welt der Menschen hinein­ge­treten, letztlich vor allem in die eines tragisch grun­dierten Fami­li­en­ro­mans: Valerie muss nämlich nun Lucies Bräutigam Henry heiraten, und auf ihren geliebten Peter verzichten. Von ihrer Mutter erfährt sie, als ob das nicht genug für einen Tag wäre, auch noch, dass diese ebenfalls dereinst zur Zwangs­heirat gezwungen wurde, dass Lucy in Wahrheit nicht Vaters Tochter, sondern Henrys Halb­schwester war, und wie sie ahnen auch die Zuschauer, dass weitere Geheim­nisse ans Licht kommen werden. Dafür sorgt schon Father Salomon, ein Priester mit Zorn und Schwert und ein erfah­rener Wolfs­jäger, den Gary Oldman mit allem Charme eines Großin­qui­si­tors ausstattet. Eigent­lich soll er den bösen Wolf ein für alle Mal zur Strecke bringen. Doch im Dienste dieser Sache instal­liert er zunächst vor allem ein rigoroses, religiös gefärbtes Puri­ta­ner­re­gime: »Eure Wohnungen werden durch­sucht werden, eure Geheim­nisse ans Licht gebracht.« So wird aus dieser Geschichte über Sex, Lügen und Wölfe auch ein Märchen über ameri­ka­ni­sche Paranoia und Anti­ter­ror­kämpfe. Und auch der Werwolf kommt recht­zeitig zurück – und spricht, wie erwartet.

»A man bitten is a man cursed«, sagt Father Salomon, der im Dorf Einzug hält, und dessen Bewohner über zweierlei aufklärt: Der Wolf ist ein Werwolf, und zur Zeit steht am Himmel der »Blutmond«, wie nur alle 13 Jahre. Während dieser mehrere Tage dauernden Phase werden alle die vom Wolf gebissen werden, sich in Werwölfe verwan­deln.

Hardwick (Twilight) erzählt das von Anfang an in der offenen Künst­lich­keit des klas­si­schen Hollywood-Studio-Kinos – dies ist ein Märchen, und will gar nichts anderes sein. Als solches funk­tio­niert der Film recht gut: Ein schön anzu­se­hendes, kurz­wei­liges post­mo­dernes Patchwork. Gewollt naiv ist dieser Teenie-Movie ande­rer­seits auch das Gegenteil von Selbst­re­fle­xion und fraglos hätte man von Catherine Hardwick viel­leicht noch einen etwas besseren, geist­rei­cheren Film erwartet, etwas mehr Tiefsinn gewünscht. Statt­dessen surft sie lieber auf der Refe­renzen-Welle.
Wie in der Psycho­ana­lyse verraten Träume die Wahrheit. Rotkäpp­chen läuft mit ihren blonden Haaren und einem roten Cape immer wieder durch den Schnee – Rot wie Blut, Weiß wie Schnee –, das alles ist dann natürlich auch ein Symbol für Mens­trua­ti­ons­blut, für verlorene Jung­fräu­lich­keit, fürs sexuelle Erwachen und Erwach­sen­werden eines Kindes, um den Wolf als erotische Projek­tion und lockende Gefahr

Und so begegnet man auch Grimms »Wolf und die sieben Geißlein« ebenso wie dem Ödipus-Komplex: Denn dieser Werwolf ist auch der nächste Verwandte des Menschen – »You under­stand me. Thats all what matters«, »I am coming back for you until the blood moon rise« –, und diese Verwandt­schaft wird hier ebenso betont, wie das Tierische des Wolfes: Er riecht, schnüf­felt, er versteht die Sprache des Blutes und seine Verwandten verstehen ihn. Ist das viel­leicht der irgendwie andere, womöglich weibliche Zugang zum Thema, von dem zuvor nichts zu erkennen war? Man ahnt schon: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann inter­pre­tieren sie noch heute.