Pina

Pina – tanzt, tanzt sonst sind wir verloren

Deutschland 2010 · 107 min. · FSK: ab 0
Regie: Wim Wenders
Drehbuch:
Musik: Thom Hanreich
Kamera: Hélène Louvart, Jörg Widmer
Pina in den Städten

Ein Heimatfilm anderer Art

Neuland für Cineasten: Wim Wenders Pina gibt dem optischen 3-D-Trick erstmals eine neue Dimension

Pina Bausch und ihr Tanz­theater in Wuppertal – ist das nicht etwas für Spezia­listen, Kunst aus dem Elfen­bein­turm, zugäng­lich nur für jene, die besondere Bildung und Fach­wissen haben? All jenen, die das fürchten, kann man gleich vorweg die Angst nehmen: Auch wer mit Ballet nichts anfangen kann, auch wer noch nie eine Insze­nie­rung von Pina Bausch gesehen hat, wird den neuen Film von Wim Wenders genießen können – viel­leicht sogar noch mehr, als die Kenner. Denn wenn es bei der Berlinale-Premiere des Films vor zwei Wochen überhaupt ernst­hafte Kritik an dem Film gab, dann zielt sie darauf, dass Wenders den Insze­nie­rungen von Pina Bausch eben doch nicht ganz gerecht werde, oder dass sich eben das Spezielle, Einmalige des Bausch­schen Tanz­thea­ters am Ende doch nicht ange­messen auf die Leinwand bringen lasse.

Aber der Reihe nach: Pina ist ein Doku­men­tar­film über Pina Bausch (1940-2009), die 1973 nach Auslands­sta­tionen zur Leiterin der Wupper­taler Ballet­bühne wurde, eie Position, die sie bis zu ihrem Tod innehatte. Und Pina ist ein 3-D-Film, der in vieler Hinsicht tech­ni­sches Neuland betritt. Ganz zuerst aber ist es ein unter­halt­sames Kino­aben­teuer: Kurz­weilig, voller Energie, spürbar getragen von der Liebe und Leiden­schaft des Filme­ma­chers zu seinem Gegen­stand. Man muss kein Wenders-Fan sein, um das so zu empfinden, und zu konsta­tieren, dass dies Wenders' bester Film seit Jahren ist.

Der Film besteht aus langen Passagen, in denen die Kamera einfach den Insze­nie­rungen folgt, in die Bühne eindringt, und dank der 3-D-Technik den Betrachter ganz plastisch in die Szene mit hinein­stellt, ihn fast zum Mitspieler macht. Dann wieder posi­tio­niert der Film die Tänzer an unge­wohnten Orten, tritt hinaus in die Natur, in den Wald, oder an markante Punkte der Wupper­taler Umgebung: Einen Baggersee, einen Stein­bruch, eine alte riesige Förder­an­lage, und die berühmte Schwe­be­bahn, die bereits in Wenders' Klassiker Alice in den Städten vorkommt. Und schließ­lich zeigt Archiv­ma­te­rial Momente aus der Geschichte der Insze­nie­rungen von Bausch, die ursprüng­lich an dem Projekt mitar­beiten und selber auftreten sollte – ihr Tod verhin­derte das. So erfährt man allerhand über Tanz­theater und seine Geschichte.

Gerade die Außen­auf­nahmen verfugen die Einzel­teile des Films und machen aus PINA einen Heimat­film anderer Art. Sie führen zugleich die Möglich­keiten des 3-D vor. Denn ohne Frage betritt Wenders hier Neuland: Einmal zeigt die Technik nicht Fabel­wesen und Animiertes, sondern doku­men­tiert Menschen aus Fleisch und Blut.

Das gelingt vorzüg­lich und kann selbst Skeptiker über­zeugen – ohne Frage auch weil Wenders ein besseres Auge hat, als viele Kollegen, und einiges Geschick die vorhan­denen tech­ni­schen Probleme zu meistern. Denn wer auf 3-D filmt, muss zwei Kameras gleich­zeitig kontrol­lieren, muss auf ganz neue Art an Perspek­tiven in Bilder­tiefen denken. Was bei zwei Dimen­sionen ein Fehler ist, kann plötzlich ungewohnt funk­tio­nieren – und umgekehrt.

Zwei Probleme bleiben bestehen: Zum einen die, die jeder digitale Film hat – und 3-D ist notwendig digital: Bewegtes ist schnell verwa­schen, und die Bilder wirken »gemalt«, »künstlich« und seltsam »clean« und kalt, nicht mehr wie photo­gra­phiert – man sieht auch hier öfters, dass es Pixel auf einer Fest­platte sind, nicht mehr das Korn auf dem, Zelluloid. Das andere Problem: Immer wieder mal führt der 3-D-Effekt zum Umge­kehrten: Er betont das Flächige eines Bildes, enthüllt kurz, dass es sich um einen optischen Trick handelt. Denn die Leinwand ist weiterhin zwei­di­men­sional, bei 3-D wird nur das Auge getäuscht. Und so erkennt man bei manchen Inter­views, dass hier eine Fläche vor der anderen sitzt, nicht eine dritte Dimension. So bleibt die Frage: Ist der künst­le­ri­sche Gewinn diesen Preis und den ganzen auch ökono­mi­schen Aufwand wert? Auch wer diese Frage weiterhin verneint, und immer noch 3-D-Skeptiker bleibt, kann durch Wim Wenders' Film erstmals ernsthaft ins Grübeln kommen.