Palermo Shooting

Deutschland/I/F 2008 · 108 min. · FSK: ab 12
Regie: Wim Wenders
Drehbuch:
Kamera: Franz Lustig
Darsteller: Campino, Giovanna Mezzogiorno, Dennis Hopper, Inga Busch, Gerhard Gutberlet u.a.
»Diese Bilder sind nur Oberfläche«

Gymnasiastenpoesie in Palermo

Ein künst­le­ri­scher Offen­ba­rungseid

Wenn der Deutsche gefühlig wird, vergreift er sich an Italien. Und auch die viel­leicht besten beiden deutschen Schrift­steller des 20.Jahr­hun­derts, Thomas Mann und Wolfgang Koeppen, konnten es nicht lassen, exis­ten­ti­elle Stoffe im Land, wo die Zitronen blühen, anzu­sie­deln, genauer gesagt in den zwei Welt­kul­tur­s­tädten Rom und Venedig. Im Fall von Palermo liegen die Dinge ein wenig anders, aber auch Wim Wenders neuer Film Palermo Shooting könnte gut und gerne »Tod in Palermo« heißen. Auch dies ist eine morbide Medi­ta­tion über den Tod, auch hier steht ein deutscher Künstler im Zentrum, der von Leben­süber­druss und Todes­ah­nung gequält wird, nach Italien reist, und dort zuerst eine Liebe findet und dann dem Tod begegnet. Das aller­dings ist aber auch wirklich alles, worin man Wenders' Film mit den beiden meis­ter­li­chen lite­ra­ri­schen Vorläu­fern verglei­chen kann.

Palermo Shooting ist in jeder Hinsicht Alther­ren­kino der schlimmst­mög­li­chen Form: alte Autos, alte Kameras, alte Häuser, alte Männer, und auch Wenders' Bilder sehen alle mindes­tens 30 Jahre alt aus. Im Zentrum steht ein Düssel­dorfer Fotograf mit dem typisch Düssel­dorfer Namen Finn Gilbert, ein Typ, der von allen Frauen verehrt und begehrt wird, ein Besser­wisser, der sich nichts sagen lässt und der nicht zuhören kann. »Diese Bilder sind nur Ober­fläche«, lehrt er seine Studenten an der Akademie, er ist also, das macht der Film klar, ein Böser, denn er mani­pu­liert die Wahrheit.

Dann häufen sich die Irri­ta­tionen, Finn reist nach Palermo, um sich selbst zu finden, verliert sich dort aber endgültig, und am Ende trifft Finn dann den Tod – was ganz wort­wört­lich zu nehmen ist. Denn der Tod entpuppt sich als ein großer Aufnah­me­leiter, und es hat die Stunde eines lang­at­migen Medi­en­dis­kurses geschlagen, in der der Tod zum Moral­pre­diger wird: Photos seien »Tod bei der Arbeit« (»Death at work«), das Digitale »offen für Mani­pu­la­tion«, »Du hast die Essenz verloren«, »Du hast Angst vor der realen Welt. Das ist Angst vorm Tod.«

An sich wäre dieser kultur­kon­ser­va­tive Eintopf womöglich der Erör­te­rung wert, wenn Wenders nicht selbst fort­wäh­rend mit digitalen Bildern tricksen und sie bear­beiten würde. Und wenn dies alles ästhe­tisch nicht so ungemein erbärm­lich wäre.

Zum einen, weil dies ein Quas­sel­film ist, dessen Dialoge man nur als Mischung aus unsäg­li­cher Pseu­do­phi­lo­so­phie und Gymna­si­as­ten­poesie bezeichnen kann. Etwa: »Die Zeit schert sich einen Dreck um uns.« Oder: »Träume – sind das nur elek­tri­sche Gewitter im Gehirn? Oder steckt mehr dahinter?« Oder, im schlechten Englisch des Haupt­dar­stel­lers Campino: »Cool! A city on a hill.« – man wünscht sich, Wenders würde wieder mit Peter Handke schreiben, dann wäre das esote­ri­sche Geschwurbel wenigs­tens gut formu­liert.

Wenders' Form von Symbo­lismus ist es, neben den Computer öfters mal einen Toten­schädel zu legen, oder zwei Darsteller vor das Fresco Triumph des Todes in Palermo zu stellen, und dort minu­ten­lange Dialoge über das Fresco führen zu lassen, in denen es heißt, dass es der Tod auf dem Bild besonders »auf die VIPs seiner Zeit« abgesehen habe. Oder die Haupt­figur auf einem Baum in den Düssel­dorfer Rheinauen zu plat­zieren, wo dann Udo Samel als Schäfer auftaucht und bedeu­tungs­schwanger parliert: »Ich bin der Hüter der Zeit«

Sein Film zeigt die ganze Welt als von Sinn erfüllt, ein Reich der Zeichen, die sämtlich aufein­ander bezogen sind und ein geschlos­senes Ganzes ergeben, einen wohl­ge­ord­neten Text weben. Diese Wohl­ge­ord­net­heit ist der wahre Schrecken dieses Films. Vor allem macht Wenders ein Geheimnis aus dem Offen­sicht­lichsten, und während auch der letzte Zuschauer schnell kapiert, dass die von Denis Hopper gespielte Figur »der Tod« ist, bleibt die Haupt­figur bis zum Ende ein ahnungs­loser Idiot.

So kommt es auch bis zum Schluss nicht einmal zum Kuss zwischen der Haupt­figur und seiner wie aus dem Nichts gekom­menen schönen Beglei­terin. Giovanna Mezzo­giornos Rolle ist reine Männer­pro­jek­tion: cool, Single, Wissen­schaft­lerin, trägt Hosen, Leder­jacke und fährt Vespa. Aber weint oft. Und dann mal wieder einer dieser Wenders-Dialoge: »Ich hab Angst« – »Vor was?« – »Vor Eros und seinen Pfeilen«. Von so etwas ist Wenders Kino seit jeher voll, und immer schon war es überaus unero­tisch. Aber noch nie so sehr, wie diesmal.

Ganz am Ende des Films erscheint dann ein Insert: »Gewidmet Ingmar Bergman und Miche­lan­gelo Antonioni«. Das Insert ist verrä­te­risch und es ist nötig, denn von selber kommt niemand im Saal darauf, an Das Siebente Siegel zu denken, an Blow Up oder an L’avventura. Jenseits aller Geschmack­fragen ist das eine echte Belei­di­gung der Toten: Denn Antonioni und Bergman hinter­lassen aber auch gar keine Spuren in diesem Film. Wenders spielt nie mit dem Werk der beiden, aber am Unan­ge­nehmsten hieran ist die anbie­dernde Attitüde, mit der Wenders hier versucht, sich auf gleiche Höhe mit zwei Film­künst­lern zu stellen, deren Durch­schnitts­ar­beiten seine besten immer noch ein ganzes Stück überragen. Ist Wenders inzwi­schen wirklich so weit, para­si­ten­haft noch den Tod dieser beiden Kollegen für sich auszu­nutzen und von deren Glanz etwas Licht aufs eigene Werk fallen zu lassen?

PS: Diese Film­be­spre­chung basiert auf der Fassung des Films, die beim Festival in Cannes im Mai 2008 Premiere hatte. In den deutschen Kinos wird jetzt eine um 18 Minuten kürzere neue Schnitt­fas­sung des Films gezeigt. Leider hat die betreu­ende Pres­se­agentur Just Publicity es nicht für nötig gehalten, den Autor über die Pres­se­vor­füh­rungen der gekürzten Fassung zu infor­mieren, und so eine neue, zweite, mögli­cher­weise posi­ti­vere Sicht zu ermög­li­chen – ein typischer Fall von versuchter kalter Zensur, der leider zunehmend bei einzelnen deutschen Pres­se­agen­turen einreißt.

Wir zitieren daher hier ersatz­weise aus der Bespre­chung der deutschen Fassung im Film­dienst von Alexandra Wach:
»Wim Wenders hat einen bewun­derns­wert treuen Freun­des­kreis. Egal, wie unin­spi­riert und alters­schwach sein neuester Film gerät, promi­nente Helfer sind immer zur Stelle. ... Die pseu­do­exis­ten­zia­lis­ti­schen Plat­titüden dieser Monologe über Leben, Liebe, Zeit und Tod liefern manch unfrei­willig heitere Szene, vor allem, weil man sie dem in die Rolle eines tief­sin­nigen deutschen Roman­ti­kers hinein­ge­zwängten Campino schlicht nicht abnimmt. Die Konfron­ta­tion mit dem Jenseits macht es nicht besser. Wenn der Geist von Lou Reed in einer Kneipe über die Notwen­dig­keit sinniert, sich seinen Ängsten zu stellen, ist das nur peinlich. Wenn sich der Tod im Finale, als Finn in einem barocken Biblio­theks­la­by­rinth um sein Leben argu­men­tieren muss, ausge­rechnet über die Unter­schiede zwischen analoger und digitaler Foto­grafie auslässt, kann man sich vor Lachen nicht mehr halten. ... Selten ist ein Film so manisch zu Tode gespro­chen und so wenig seinen eigenen Ansprüchen gerecht geworden. Dass dies erneut Wim Wenders passiert, gleicht inzwi­schen dem Gesetz der Serie. Doch seine Freunde werden es schon richten.«