Paradise Now

F/D/NL/IL 2005 · 91 min. · FSK: ab 12
Regie: Hany Abu-Assad
Drehbuch: , ,
Kamera: Antoine Héberlé
Darsteller: Kais Nashef, Ali Suliman, Lubna Azabal, Amer Hlehel, Hiam Abbass u.a.

Die Normalität des Terrors

Was erlebt ein Selbst­mord­at­ten­täter in den letzten Stunden seines Lebens? Was geht in seinem Kopf vor, warum opfert er sein Leben für ein abstraktes Ziel, zudem eines, das seine Tat kaum befördern dürfte? Dies ist eine der Kern­fragen unserer Zeit. Denn die üblichen wohl­feilen Erklä­rungen führen nicht weit, uner­klär­lich bleibt gerade denen, die sich genauer mit dieser Frage befassen, warum viele junge Männer, die nicht aus kaputten, sondern aus wohl­ha­benden, gebil­deten, auch sonst »intakten« Verhält­nissen stammen, ihren Weg in den Terror finden.

Der Film Paradise Now von Hany Abu-Assad, der seine Premiere im Wett­be­werb der dies­jäh­rigen Berlinale erlebte, wählt eine andere Perspek­tive. Er fragt nach dem Terror in Israel, und versucht sich dem Denken eines dortigen Täters anzu­n­ähren. Ihm gelingt dieses schwie­rige Unter­fangen in erstaun­li­cher Weise. Der Film erzählt detail­liert von den letzten 24 Stunden zweier junger Männer, die in der Westbank leben und gerade die Nachricht bekommen haben, dass sie von ihrer Orga­ni­sa­tion, vermut­lich der Hamas, für ein Attentat vorge­sehen wurden. Die Freunde Said (Kais Nashef) und Khaled (Ali Suliman) haben sich frei­willig dazu gemeldet, als lebende Bomben zu sterben. Der Film zeigt, dass sie keine Bestien sind, keine irra­tio­nalen Wahn­sin­nigen, noch nicht einmal besondere Fanatiker.

Hany Abu-Assad hat für diesen Film umfang­reich recher­chiert. Er las Proto­kolle geschei­terter Atten­täter und sprach mit israe­li­schen Poli­zisten, sowie mit Freunden und Hinter­blie­benen von Selbst­mord­at­ten­tä­tern. Hinter aller Fiktion steht ein starker Realitäts­willen, ein doku­men­ta­ri­scher Anspruch.

Der Regisseur hat schon in seinen bishe­rigen zwei Filmen, dem Spielfilm Rana´s Wedding (2002), und Ford Transit (2002) einer beein­dru­ckenden Doku­men­ta­tion, die die Arbeit eines der im Grenz­ge­biet zwischen Israel und der Westbank üblichen Bustaxis beschrieb, eindrucks­voll den absurd-destruk­tiven Alltag des Lebens in der Besatzung geschil­dert, die Paläs­ti­nenser, die zwischen Terror und Norma­lität seit bald 40 Jahren leben. Es ist eine Macho-Kultur, die unter den Bedin­gungen der Ohnmacht existiert, die ihre Identität aus dem Kampf gegen und die Bewäl­ti­gung dieser spezi­fi­schen Ohnmachts­er­fah­rung schöpft. Aus ihr heraus wird der Weg in den Terror vers­tänd­lich, ohne dass Abu-Assad den Wahnsinn der Tat irgendwie leugnet oder gar verklärt.

Im Gegenteil: zu Beginn sieht man die junge Suha (gespielt von der aus u.a. André Techinés Loin bekannten Franco-Marok­ka­nerin Lubna Azabal), die die demü­ti­gende Grenz­pro­zedur am israe­li­schen Check-point über sich ergehen lassen muss – die gleich­wohl vers­tänd­lich wird, wenn man sich bewusst macht, dass auch Frauen oft als lebende Bomben die Grenze über­queren. Suhas Vater ist das, was die Paläs­ti­nenser »Märtyrer« nennen – gerade aus dieser Erfahrung hat sie dem bewaff­neten Wider­stand abge­schworen. Said hingegen schämt sich für seinen eigenen Vater, glaubt besonders »stark« sein zu müssen -und ist daher vermut­lich kein ganz typischer Selbst­mord­at­ten­täter – die meisten stammen auch in Palästina aus intakten Familien. Diese Wendung ins Melo­dra­ma­ti­sche wird man dem Film verzeihen. Denn das Szenario von Paradise Now nimmt eine letzte beklem­mende Wendung, als die beiden ihren Auftrag nicht ausführen können, und – mit mehreren Kilo Spreng­stoff um den Bauch – über die Grenze zurück­kehren. Von ihren Genossen als Verräter oder Feiglinge verdächtig, in Gefahr von den Israelis entdeckt zu werden, zudem von Selbst­zwei­feln gequält, stehen sie zwischen allen Fronten.

So gelingt Abu-Assad ein hervor­ra­gender, emotional starker, gut erzählter Film und ein vorzüg­li­ches Polit­drama. Mit leichtem Hang ins Melo­dra­ma­ti­sche erzählt er viel über die Lebens­rea­lität in Palästina, und bietet immerhin einen von mehreren möglichen Einbli­cken in die Menta­lität des Terrors.