Die Ökonomie der Liebe

L'économie du couple

Belgien/F 2016 · 101 min. · FSK: ab 12
Regie: Joachim Lafosse
Drehbuch: , , ,
Kamera: Jean-François Hensgens
Darsteller: Bérénice Bejo, Cédric Kahn, Marthe Keller, Jade Soentjens, Margaux Soentjens u.a.
Die Utopie der Familie

Das scharfe Messer der Trennung

»Paarö­ko­monie«, so heißt Die Ökonomie der Liebe etwas nüch­terner im Original. Nicht roman­tisch, sondern insti­tu­tio­nell, nicht Gefühl­sö­ko­nomie, sondern Ökonomie des Zivil­standes. Es geht um Geld und ums Ganze, den finalen Gesichts­ver­lust. Der Belgier Joachim Lafosse hat ein Schei­dungs­drama insze­niert, wie es wohl viele Familien in der heutigen Zeit erleben: Weil das Geld nicht reicht, sich eine neue Wohnung zu nehmen, bleibt Papa erst mal bei der Ex-Frau und den Kindern wohnen.

Der Film ist jedoch mehr als nur Alltag und Wirk­lich­keit: Er ist ein gnaden­loser Blick auf die Mecha­nismen von Streit und Unei­nig­keit, kurzem Waffen­still­stand mit der Aussicht auf Versöh­nung und einem finalen Kompro­miss. Eine hart insze­nierte Zeit der Abrech­nung, fußend auf einer unaus­ge­spro­chenen Kränkung, die zur Erosion der Beziehung führte – die Trivia­litäten der Beziehung lässt Lafosse im Unklaren, überlässt es jedem selbst, sich einen Grund für die Trennung des Paares zu suchen: Die ewige Schuld­frage bleibt einem erspart.

Auf dieser Grundlage ohne Fundament wird aufge­rechnet. Vormals hatte man in die Liebe inves­tiert, jetzt wird Bilanz gezogen: Wer hat wieviel beige­tragen in das einstige gemein­same Leben? Und: Lässt sich dies in Geld umrechnen? Oder zählen nur die Geld­scheine, die man auf den Tresen legte, um zu bezahlen? Lafosse bürstet dabei die Statistik, nach der die Fami­li­en­mutter meist vom Mann abhängig ist, gegen den Strich: Sie, Marie, kommt aus vermö­gendem Eltern­haus, hat einen guten Job und ernährt die Familie, er, Boris, ist ein arbeits­loser Architekt, der sich mit hand­werk­li­chen Arbeiten über Wasser hält. Vor allem hat er sich um das Haus und die Kinder gekümmert. Das soziale Ungleich­ge­wicht bedeutet im Falle einer Scheidung, falls sie ihm keine Zuge­ständ­nisse macht, seinen privaten Konkurs. Um diesen Kern der Existenz wird uner­bitt­lich gestritten.

Lafosse legt ein scharfes Sezier­messer an. Das Wech­sel­spiel des Kampfes, in dem sich das Paar gegen­seitig Nieder­lagen auslie­fert, wird zu einem Vexier­spiel von Sympathie und Anti­pa­thie, kris­tal­li­siert in Zuneigung und Ablehnung, wie es jedes Paar erlebt. Beide Seiten werden hell­sichtig insze­niert, Lafosse schickt den Zuschauer in die Mechanik der Paar-Pola­ritäten wie eine Kugel in den Flip­pe­r­au­to­maten. Bérénice Bejo und Cédric Kahn verkör­pern das Unein­deu­tige des Paares, liefern sich dabei heftige Gefechte: Sie ist arschig, hat scheinbar Ober­wasser, ertränkt ihr Verletzt­sein jedoch in einer unein­ge­stan­denen Tablet­ten­sucht. Er ist trottelig mit dem Blick eines geschol­tenen Hundes und Opfer­lammes, dazu ein unsen­si­bler Polter­geist, strahlt aber Wärme und Authen­ti­zität aus. Mal ist sie ungerecht und kalt, mal ist er machomäßig und einfach nur unmöglich.

Der Blick des Zuschauers geht bei den infla­ti­onären Angeboten der Partei­nahme, die immer sogleich zurück­ge­zogen werden, hin und her wie bei einem rasanten Schlag­ab­tausch der Liebe. Nach dem Aufschlag wird zurück­ge­schmet­tert. Insze­niert wird ein uner­bitt­li­cher Huis-clos der feind­li­chen Begegnung auf unter­kühltem, jedoch fami­liärem Terrain. Die gnaden­lose Heftig­keit, in der der Streit ausge­tragen wird, erinnert an Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, und Bérénice Bejo und Cédric Kahn erweisen sich als würdige Erben der sich ans Messer liefernden Liz Taylor und Richard Burton. Nur, dass hier nicht um das Phantom der Beziehung, sondern vor den anwe­senden Kindern um die Existenz gerungen wird. Den größten Schaden tragen so auch die Kinder, ein Zwil­lings­paar, davon, die fast dem Streit der Eltern geopfert werden. Lafosse, selbst ein Zwilling, lässt in seinen Filmen immer wieder echte Zwillinge in Neben­rollen auftreten. Sie führen als spie­gel­bild­li­ches Geschwis­ter­paar eine genuine Verbun­den­heit vor Augen, die von der roman­ti­schen Sehnsucht der unbe­dingten Liebe erzählt und vom Gegenüber, in dem man sich spiegeln kann: die Zwil­lings­seele der Liebenden. Eine Utopie der Verbun­den­heit, die hier dem dysto­pisch Realen Platz macht.

Lafosse erzählt auch von der bürger­li­chen Sehnsucht nach der verbun­denen Bestän­dig­keit, von Maries Mutter als Thema aufge­bracht, die daran erinnert, dass man früher Dinge zum Repa­rieren gebracht habe, heute in einer Wegwerf­ge­sell­schaft lebe, in der auch der Partner, wenn er nicht mehr funk­tio­niert, auf den Müll geworfen wird. Ihre eigene Beziehung ist jedoch auf mehr als nur auf Kompro­missen gebaut, so wird in einer Szene deutlich – dieses unaus­ge­spro­che­nene, beiläufig sich ergebende Revi­dieren des Ausfor­mu­lierten macht den Film so schil­lernd, unein­deutig wie dialek­tisch. Eine Moral mit erhobenem Zeige­finger hat in diesem Film wie auch im Leben keinen Platz.

Aus Liebespaar wird Wutpaar

Gefühl oder Geld, was ist stärker? Den Konven­tionen des Kinos nach natürlich das Gefühl. Geschätzte Millionen von »roman­ti­schen Komödien« feierten seit Beginn der Film­ge­schichte den Triumph der reinen Liebe über den zwang­losen Zwang eines Millio­nen­erbes, präch­tiger Schlösser und schmucker Sport­wagen. Dabei ist dieser Triumph sozio­lo­gisch betrachtet sowohl der Sieg des Unwahr­schein­li­chen über die Wahr­schein­lich­keit, als auch der Irra­tio­na­lität über die Vernunft. In der Mensch­heits­ge­schichte und auch in der Gegenwart außerhalb der Wohl­stand­sen­klaven Europas und Amerikas ist die Liebe in erster Linie auch durch­kal­ku­lierte Versor­gungs­an­stalt: Höhere Töchter mit häss­li­chem Antlitz müssen ebenso unter die Haube gebracht werden, wie die geistig beschränkten Söhne der Ober­schicht, frisches Aufstei­ger­blut will sich mit altem Namen schmücken, fesche Unter­schicht­girls handeln Natu­ra­lien gegen Wohlstand und so fort – immer helfen die unwi­der­leg­baren Argumente eines gefüllten Bank­kontos, eines tradi­ti­ons­rei­chen Namens oder anderer Dinge, die hohe soziale Stellung wie sichere Versor­gung garan­tieren.

Genau in dieser Wirk­lich­keits­er­fah­rung und ihren Absur­ditäten wurzeln die Liebes­komö­dien von Ernst Lubitsch. Sie sind so gut und so erfolg­reich, weil sie den Konven­tionen der Märchen­träume vom Vorrang der Liebe übers Geld entge­gen­ge­setzt sind, weil sie die heimliche Ahnung der Menschen bestä­tigen, dass das Fressen vor der Moral kommt, und die Liebe ein unsi­cheres Terrain ist. Dabei hilft Lubitschs Erfolg, dass seine Filme insofern dem klas­si­schen Laden­mäd­chen­t­raum entspre­chen, als sie oft in höheren Kreisen spielen, wo Geld sowieso nicht das Problem ist.

Allemal gehören Liebe und Ökonomie enger zusammen, als man gerne hört, und als es nach unseren Konven­tionen recht ist. Das zeigt Die Ökonomie der Liebe des Belgiers Joachim Lafosse (Privat­un­ter­richt) mit einer faszi­nie­renden Konse­quenz, die gerade in ihrem Hang zum Absurden von Lubitsch nicht weit entfernt ist.

Marie (Bérénice Bejo, bekannt als Haupt­dar­stel­lerin von The Artist) und Boris (Cédric Kahn, der auch selbst Regisseur ist) leben gemeinsam in einem Appar­te­ment und haben zwei zehn­jäh­rige Zwil­lings­töchter. Kürzlich aber haben sie sich nach 15 Jahren getrennt. Nur weil beiden zum Ausziehen das Geld fehlt, und das Haus auch schön ist, leben sie noch zusammen. Aber durch die Trennung ist das gemein­same Heim zu einer Kampfzone geworden. Terrains und Rechts­ge­biete werden abge­steckt, Grenzen werden gezogen – da die Gefühle nicht mehr selbst­ver­s­tänd­lich sind, muss auch alles andere neu ausge­han­delt werden.

Es geht also um eine zum Alltag gewordene Zerreiß­probe, wie sie viel­leicht jede zum Alltag gewordene Beziehung darstellt – aber selten so krass wie in diesem Fall. Der Zweikampf des Paares, den jede Liebes­komödie kennt, von Helmut Käutners Wir machen Musik bis zu Mr. & Mrs. Smith von Doug Liman, wird hier zum Dauer­zu­stand: Aus dem Liebes­paar ist ein Wutpaar geworden.

Lafosses Insze­nie­rungs-Geschick und seine Klugheit führen dazu, dass man hier nicht Partei ergreifen muss. In diesem Nichtpaar kämpfen nicht Gut gegen Böse. Vielmehr zeigt Lafosse, dass der Kampf selbst die Beziehung sein kann, der Streit das Verbin­dende. Ohne ihn ginge es beiden schlechter. Insofern kann man dieses Szenario sogar ins Poli­ti­sche wenden und als Analogie auf den Kalten Krieg verstehen: Der Feind ist die andere Seite von einem Selbst, ein Geliebter, wie sehr, das erkennt man erst, wenn er nicht mehr da ist. Und jeder Sieg birgt in sich eine Nieder­lage.

So geht es in dieser Komödie, die wie alle guten Komödien auch eine Tragödie in sich birgt, auch um Regeln und die Utopie, die in allen Regeln liegt. Sie funk­tio­nieren nur, wenn sich alle dran halten, werden aber aufge­stellt, weil keiner das tut. So präsen­tiert dieser Film mit seinem Haus und Garten, die er fast nie verlässt, eine Art Spielfeld, und mit seinen wenigen Personen – außer den vier der Kern­fa­milie noch eine Handvoll Freunde und Maries Mutter – Spiel-Figuren, die immer neu gruppiert werden – mit witzigen Effekten: Etwa wenn Marie mit Freunden auf der Terrasse sitzt, Boris sich dazu gesellt, weil es ja auch seine Freunde sind, und sie das als Regel­ver­let­zung sieht, weil sie ja mit den Freunden verab­redet ist. Oder wenn beide die gegen­sei­tigen Kinder­er­zie­hungs­an­stren­gungen torpe­dieren. Oder wenn er einen Käse isst, dessen Geruch sie nicht ausstehen kann, nicht obwohl, sondern weil er weiß, dass sie das nicht ausstehen kann.
Das ist so lustig, wie unser eigener Alltag eigent­lich zum Lachen wäre, wenn wir einmal aus der richtigen Perspek­tive drauf­schauen würden.

Die große Lektion des Films: Das Mate­ri­elle ist der Kitt, nicht die Imma­te­ria­lität. Die Wohnung, nicht die Gefühle. Weil keiner nachgibt, bleiben sie zusammen. Die entschei­dende Frage ist bei alldem: Was macht eigent­lich eine Beziehung aus? Ist es das Gefühl, oder die Routine, die Annehm­lich­keiten des Alltags oder die Ausnahmen namens toller Sex und schöner Urlaub? Das gemein­same Bankkonto oder die Unfähig­keit sich zu trennen? Und wer entscheidet, wann ein Paar ein Paar ist? Die Außenwelt, die schon seit Jahren meint, beide sollten sich trennen, und seien eh kein gutes Paar? Oder die beiden Betei­ligten selber, auch wenn sie nicht wissen, warum sie zusammen sind?

Die Ökonomie der Liebe handelt also von Fragen, die uns alle angehen, mit denen wir alle in irgend­einer Form zu tun haben. Der Film tut das auf vergnüg­liche Weise. Zugleich ist die Botschaft eine traurige. Denn Joachim Lafosse macht kein Hehl aus seiner Über­zeu­gung, dass wir uns alle besonders dadurch unglück­lich machen, dass wir gegen unsere eigene Ahnung den Märchen der Werbung, den Klischees des Kinos und den Behaup­tungen der Priester und Ratgeber vom unge­bro­chenen Glück durch die Liebe vertrauen, dann diese Behaup­tungen an der eigenen Realität abglei­chen, und dadurch schnell unglück­lich werden. So ein Quatsch!