Nur eine Nacht in Tel Aviv

Only one night in Tel Aviv

Deutschland/Israel 2023 · 75 min. · FSK: ab 12
Regie: Malte Wirtz
Drehbuch:
Kamera: Chen Wagshall
Darsteller: Eytan Litt, Elliott Leigh Tucker, Ellie Vasserman u.a.
Ben auf der Suche nach Wahrhaftigkeit...
(Foto: Unfiltered Artists)

Liebestriade im Einklang

Malte Wirtz gelingt mit seinem kurzen, experimentellen Mumblecore-Rausch ein deutscher Liebesfilm, der endlich einmal wieder überrascht

Wer der ewig gleich gestrickten deutschen Liebes­dramen müde ist oder sich inzwi­schen nur noch maßlos darüber ärgern kann, dem sei Malte Wirtz’ neuer und wie immer selbst­pro­du­zierter und -vertrie­bener Film über einen Bezie­hungs­reigen in einer Tel Aviver Nacht wärmstens ans Herz gelegt.

Obwohl der Film tatsäch­lich in Tel Aviv spielt, ist er aller­dings nicht Teil der faszi­nie­rend kreativen israe­li­schen Film­in­dus­trie, über die ich anläss­lich des Starts von Michal Viniks Valeria Is Getting Married in Schwärmen geraten war. Nein, bei Nur eine Nacht in Tel Aviv handelt es sich um ein Produkt eines ebenfalls äußerst kreativen und vor allem unab­hän­gigen Teils der deutschen Film­in­dus­trie, des deutschen Mumble­core; Filme die mit meist selbst­fi­nan­ziertem Budget, viel Impro­vi­sa­tion und ohne Drehbuch versuchen, dem deutschen Film neues Leben einzu­hau­chen. Die frühen Filme von Axel Ranisch (Dicke Mädchen) und Aron Lehmann (Kohlhaas oder die Verhält­nis­mäßig­keit der Mittel) gehören dazu und natürlich die großar­tigen Filme von Hanna Doose, deren zweiter Kinofilm Wann kommst du meine Wunden küssen? letztes Jahr auf dem Filmfest München lief.

Malte Wirtz ist die Sache mit dem deutschen Film und neuen Wegen aller­dings noch etwas ernster. Er ist nicht nur nicht wie Lehmann und Ranisch mehr und mehr in den Main­stream abge­driftet, sondern bemüht sich seit seinem Lang­film­debüt Voll Paula! (2013) konse­quent seinen Weg weiter­zu­gehen und macht nebenbei auch mit Thea­ter­in­sze­nie­rungen und 2021 mit einem Manifest auf sich aufmerksam, das das neue Filmgenre #ZOGMA umschreibt, bei dem Filme nur über eine digitale Plattform gedreht werden dürfen.

Auch Nur eine Nacht in Tel Aviv ist nicht nur der Film selber. Voran­ge­stellt sind dem Film eine kleine Einfüh­rungs­rede, ein Kurzfilm, in dem deutsche Schau­spieler sich über die Abgründe des deutschen Films auslassen, und ein Kurzfilm über einen Mann, der immer wieder in Konflikt mit der Farbe Rosa gerät und an frühen Stumm­films­lap­stick erinnert.

Ganz ohne Slapstick, sondern mit gebotenem Bezie­hungs­ernst geht es dann in dem eigent­li­chen Film zu, der kurz vor dem Ausbre­chen der Covid-Pandemie in Tel Aviv gedreht wurde und in dem zwei junge Männer und eine Frau – Ben, Avi und Ana, darge­stellt von Eytan litt, Elliott Leigh Tucker und Ellie Vasserman – sich in nächt­li­chen Bezie­hungs­ro­chaden zu so etwas wie Bezie­hungs­wahr­heit durch­zu­ringen versuchen. Ben wird die Stadt verlassen, Avi ist zwar mit Ana zusammen, doch hat Avi auch Ängste und ist eifer­süchtig und ist mit Ana, einer Russin, die in Israel auf Selbst­er­fah­rungs­trip ist, nicht ganz so im Einklang, wie er sich das wünscht.

Im Einklang ist dann vielmehr das Trio selbst, das sich in wech­selnden Konstel­la­tionen und am Set und während des Spiels entwi­ckelten Dialogen eine Bezie­hungs­wirk­lich­keit erspielt, die man fast schon hyperreal nennen könnte. Es sind Dialoge, die während des Flanie­rens durch das nächt­liche Tel Aviv entstehen; Dialoge, die sich so wirklich anhören und anfühlen, als wäre man selbst an diesem wichtigen Punkt im Leben angelangt, an dem nur über immer wieder neu formu­lierte Sätze, Beob­ach­tungen und Gefühle eine Bezie­hungs­dy­namik und ein neues Mensch­sein möglich scheint. Es ist wie das Graben der Berg­ar­beiter in den tiefen Schächten des Berges, deren Gut erst dann Wert erlangt, wenn es an die Ober­fläche gelangt ist. So ist es auch mit Ana, Avi und Ben. Wir spüren, dass hier Schätze geborgen werden, ahnen aber nur, wie diese aussehen könnten.

Doch das ist natürlich egal, dass wir »nur« ahnen, denn wie so oft ist ja der Weg das Ziel. Außerdem gibt es die Gewiss­heit, hier endlich einmal wieder einen deutschen Liebes­film gesehen zu haben, der über­rascht, dessen Dialoge nicht wie aus einem alter­tüm­li­chen Baukasten zusam­men­ge­setzt scheinen, wo schon nach dem ersten Dialog jeder weiß, wie sich der letzte anhören wird. Ein Film, so klein wie die Welt und so groß wie allein.