Neues aus der Welt

News of the World

USA 2020 · 119 min. · FSK: ab 12
Regie: Paul Greengrass
Drehbuch: ,
Kamera: Dariusz Wolski
Darsteller: Tom Hanks, Helena Zengel, Neil Sandilands, Michael Angelo Covino u.a.
Die Geschichte einer langsamen Beziehungsbildung
(Foto: Netflix)

Schatten der Vergangenheit

Paul Greengrass gelingt mit Tom Hanks und Helena Zengel kein Meilenstein, aber ein überzeugender Western mit klassischen Motiven, der dennoch aktuelle Bezüge herstellt

„Let’s go home, Debbie“. – Ethan (John Wayne) zu Debbie (Natalie Wood) in The Searchers, nach Debbies Befreiung aus Comanchen-Händen

Wer Paul Green­grass zwei letzten Filme gesehen hat, den wuchtigen Technoid-Thriller Jason Bourne (2016) und die fiebrige Terror-Nachlese des Doppel­an­schlags vom 22. Juli in Norwegen, der dürfte von Green­grass Ausflug ins Western-Genre wirklich über­rascht sein. Denn Neues aus der Welt ist das alles nicht, weder wuchtig noch fiebrig, noch action-lastig. Es ist fast eine Zeitreise in die goldenen Zeiten des klas­si­schen Westerns.

Das liegt zum einen an der ebenso ruhig ange­legten lite­ra­ri­schen Vorlage von Paulette Jiles aus dem Jahr 2016. Der für den National Book Award nomi­nierte Roman erzählt die Geschichte des 71-jährigen Kriegs­ve­te­ranen Jefferson Kyle Kidd, der nach seinem Dienst im mexi­ka­nisch-ameri­ka­ni­schen Krieg (1846-1848) als Nach­rich­ten­vor­leser durch die Lande zieht und im Jahre 1870 ein von Kiowa-Indianern entführtes und nun befreites Kind zu ihren nächsten Verwandten über­führen soll.

Green­grass ändert die Hinter­gründe für seinen Film recht wenig, aber doch markant und verlagert Kidds (Tom Hanks) Solda­ten­tage in den ameri­ka­ni­schen Bürger­krieg (1861-1865), als Teil­nehmer auf Südstaa­ten­seite. Seine Vorle­se­reisen, mit denen er seinen Unterhalt verdient, sind deshalb auch Reisen durch den besiegten Süden und seine bis in die heutigen Tage versehrte Seele. Um die Bezüge zu unserer Zeit zu verdeut­li­chen, liest Kidd nicht nur Nach­richten von einer ausbre­chenden Menin­gitis-Epidemie vor, sondern gerät auch in einen Teil von Texas, der, unseren heutigen Realitäts-Blasen sehr nah ist. Ein charis­ma­ti­scher Alter, Geschäfts­mann, Mörder und Politiker zugleich, hält das ganze County wirt­schaft­lich und vor allem nach­rich­ten­tech­nisch mit einem »Texas first« in Schach und der Kampf zwischen »echten Nach­richten« und »Alter­na­tiv­nach­richten« im Gewand des Wilden Westens ist ein dichter, wilder und subtiler Höhepunkt der poli­ti­schen Seite dieses Westerns, der darüber hinaus auch immer wieder darauf hinweist, dass die Wunden dieses Krieges noch lange nicht verheilt sein und bis in unsere Gegewart reichen werden.

Doch die zentrale Geschichte ist natürlich eine andere, ist die einer langsamen Bezie­hungs­bil­dung zwischen Kidd und Johanna (Helena Zengel), dem bei den Kiowa sozia­li­sierten Mädchen. Da Johannas Eltern bei dem Kiowa-Angriff getötet wurden, muss Kidd ihre deutschs­täm­migen Onkel und Tante ausfindig machen, die 400 Meilen entfernt wohnen. Genug Zeit also, eine Beziehung zu etablieren, mehr noch, als Johanna nur mehr Kiowa und ein paar Brocken Deutsch spricht und nicht unbedingt Interesse daran hat, nach vier Jahren bei den Kiowa sich mit nun 10 Jahren erneut auf ein neues Bezugs­system einzu­lassen. Helena Zengel spielt ihre fulmi­nante Rolle aus System­sprenger einfach weiter, zeigt ihre trau­ma­ti­sierte, aggres­sive Seele genauso wie ihre Sehnsucht nach Nähe und Liebe, nicht viel anders als in dem Film, durch den sie berühmt wurde und durch den sie diese Rolle erhalten hat. Aber anders als in dem wilden deutschen Gegen­warts­ritt in System­sprenger ist Zengel hier mit einem ausran­gierten Planwagen unterwegs und so ist auch ihre Seele eine andere. Und wie sie während dieser 400 Meilen ihr Coming-of-Age erlebt, lässt ahnen, dass Zengel zu weitaus mehr Rollen fähig sein wird (und schon ist), als die des unbän­digen, blauen Blicks, durch den sie bekannt geworden ist.

Trotz zahl­rei­cher, immer wieder gewalt­tä­tiger Hinder­nisse, insze­niert Green­grass die Reise dieses seltsamen Paares in ruhigem Tempo, das von der elegi­schen und inten­siven, immer wieder über­ra­schenden Kamera Dariusz Wolkis elementar unter­stützt wird.

Die Hinder­nisse, auf die die Beiden treffen, wirken zwar manchmal so aufge­setzt wie vorher­sehbar, sehen sich aber andrer­seits wie eine film­his­to­ri­sche Reise durch klas­si­sche Western­mo­tive, von denen das aus John Fords The Searchers mit dem durch Indianer entführten und »entfrem­deten« Mädchen sicher­lich am einpräg­samsten ist. Und so wie The Searchers durch John Wayne ist auch Neues aus der Welt durch Tom Hanks ein Groß­schau­spiel­erfilm, reisen wir so wie mit Wayne auch mit Hanks durch einen Reigen filmo­gra­fi­scher Geister, ist jeder Film mit Hanks immer auch eine Wieder­be­geg­nung mit ganz anderen Film­welten, mit den Schatten unserer eigenen Vergan­gen­heit. Doch sehen wir hier natürlich keinem klas­si­schen Western zu, denn anders als John Waynes Ethan, der an eine Reso­zia­li­sie­rung von Debbie nicht wirklich glaubt und dementspre­chend handelt, zeigt Green­grass mit seinem fast schon über­vä­ter­li­chen Tom Hanks, dass die Zeiten sich geändert haben.

Dennoch ist Neues aus der Welt keine große gesell­schafts­po­li­ti­sche Tragödie wie Michael Ciminos Heavens Gate (1980), keine Western-Neuland defi­nie­rende Ethno­grafie wie die beiden Filme von Kelly Reichardt, Meeks Cutoff (2010) und First Cow (2019). Und kein kluger Film wie Scott Coopers markerschüt­ternder Hostiles (2017), der tatsäch­lich versucht hat, auch auf sprach­li­cher Ebene die Dialog­be­reit­schaft zwischen Indianern und Weißen zu ergründen.

Aber darum geht es Green­grass wohl auch nicht. Mehr als um Tragödie, ethno­gra­fi­sche Genau­ig­keit, Umschrei­bung von Geschichte und Verstehen, geht es Neues aus der Welt statt­dessen um glaub­hafte Versöh­nung. Versöh­nung mit unserer fragilen Heimat und gesell­schaft­li­cher Vergan­gen­heit, und mag sie auch noch so weit zurück­liegen. Und Versöh­nung mit unseren eigenen dunklen Geistern oder wie Kidd es an einer Stelle zu Johanna sagt: »Wir müssen uns auf diesem Weg wohl beide unseren Dämonen stellen«.

Neues aus der Welt ist ab dem 10. Februar 2021 auf Netflix abrufbar.

Systemsprenger im Wilden Westen

Tom Hanks als Western-Anchor-Man wird zum Ersatzvater für ein »Wolfskind« – Paul Greengrass News of the World erzählt auch von unserer Gegenwart

Das Land ist karg und das Leben ist hart. Auch sonst ist in diesem Film, der im US-ameri­ka­ni­schen Westen des 19. Jahr­hun­derts spielt, kurz nach dem Bürger­krieg, der in den Köpfen und im Alltag der Menschen noch sehr präsent ist, vieles anders als heute. Zugleich gibt es erstaun­liche Paral­lelen. Vom Kontrast zwischen beidem lebt dieser Film.

Heute zum Beispiel verbreiten sich Nach­richten sofort. In der Welt von News of the World, die viele Meilen von dem entfernt ist, was den Ausdruck Zivi­li­sa­tion verdient, kommen Neuig­keiten nur alle paar Wochen bei den Menschen an. Captain Jefferson Kidd (Tom Hanks), ein Bürger­kriegs-Veteran, ist ein »Nach­richten-Erzähler«: Er verdient seinen Lebens­un­ter­halt damit, von Stadt zu Stadt zu reisen, und die Nach­richten und Meldungen aus einem Dutzend Zeitungen für das Publikum aus Analpha­beten zusam­men­zu­fassen, vorzu­lesen, auszu­schmü­cken und mit komischen oder drama­ti­schen Geschichten über die Welt außerhalb dieser kleinen Gemeinden zu ergänzen – ein »Anchor-Man« des Wilden Westens.

Der erzählt auch mal von einer tödlichen »Menin­gitis pandemic« – da kommt einem das Vergan­gene erschre­ckend nahe. So wie auch dann, wenn hier Menschen »Texas First!!« brüllen, auf »rich yankees« fluchen.

+ + +

Regisseur Paul Green­grass gelingt es von Anfang an, bei den Zuschauern einen Sinn für die latente Bedrohung zu schaffen, die alles hier durch­zieht. Nichts ist gesichert, der Alltag lebens­ge­fähr­lich. Das Gefühl idyl­li­scher Verhält­nisse kommt hier nie auf – zumal auch der Captain seine eigenen Dämonen in sich trägt.

Auf seiner Reise trifft der Captain eines Tages in den Wäldern auf ein verlo­renes Mädchen (Helena Zengel). Es ist weiß, wuchs aber die letzten Jahre bei Kiowa-Indianern auf. Sie hat nicht nur ihren früheren Namen Johanna vergessen, sondern auch ihre alte Sprache. Nachdem die Kiowa vor Jahren ihre Familie brutal massa­kriert hatten, nahmen sie sie auf – doch nun soll sie zu einer Tante und einem Onkel zurück­ge­bracht werden, die Hunderte von Meilen entfernt leben. Und Captain Kidd erklärt sich mehr notge­drungen bereit, mit Johanna durch die Wildnis zu reisen, um sie zu ihrem neuen Zuhause zu bringen.

Zunehmend wachsen die beiden zusammen, auch durch die Gefahren, die sie gemeinsam meistern. Und das anfangs scheue, ängst­liche Mädchen fasst Vertrauen zu dem Captain, der sich zu einem Ersatz­vater entwi­ckelt.

+ + +

Als sie irgend­wann zu reden anfängt, fallen dann in Kiowa-India­ner­worte, die im gewis­sens­ge­plagten modernen Kino immer weise Worte sind: »To move forward we must remember.« So sprach der alte Häuptling der Indianer.

Das Amerika, das den beiden und damit uns begegnet, ähnelt der Gegenwart verblüf­fend: Staats­feind­schaft, Anarchie, Bigot­terie, Rassismus, kleine autonome, von der übrigen Wirk­lich­keit weit­ge­hend losgelöste Gemein­schaften und alltä­g­li­cher Irrsinn pflastern den Weg des unglei­chen Paars, genauso wie Büro­kratie und Selbst­ge­rech­tig­keit.

Am inter­es­san­testen ist der kleine Privat­staat. Ein Zentrum ein Busi­nessman als Lawgiver mit realis­ti­schem Menschen­bild: »Give them an inch, and they'll cut your throat.«

+ + +

Viele klas­si­sche Western-Motive tauchen auf. Auch ein Kutschen­un­fall kommt vor, ein Sandsturm... Da is was los in Texas – nie haben sie Ruhe. Wild ist der Westen, schwer ist der Beruf.

News of the World wurde von Paul Green­grass insze­niert, dem Regisseur der drei Bourne-Thriller. Ein paar Szenen sind daher erwartbar hoch­span­nend insze­niert, eine Schießerei souverän und auf eine Weise, dass man nie den Überblick verliert – überhaupt ist dies keine Streaming-Produk­tion, sondern ein Film, der immer erkennbar fürs Kino gemacht ist: Mit Aufwand, Sorgfalt und Leiden­schaft; kein Massen­pro­dukt. Green­grass versteht sich darauf, der Geschichte Breite zu geben, während Haupt­dar­steller Tom Hanks sich in diesem schönen Auftritt als Meister darin zeigt, kleine Augen­blicke und Moment­auf­nahmen zu großem Leben zu erwecken. Zugleich ist dies, wenn wir ehrlich sind, eine Rolle, die Hanks auch im Schlaf noch spielen könnte. Man schaut einem Tom Hanks eben gerne beim Schlaf­wan­deln zu.
Und wenn er so weiter­macht, da kann er in zehn Jahren in Oliver Stones Präsi­dent­schafts-Biopic Joseph Biden spielen.

Die Deutsche Helena Zengel ist auch in ihrer ersten inter­na­tio­nalen Rolle wieder ein Fall für sich. Sie knüpft hier direkt an ihr furioses Debüt als System­sprenger an – eine ungefügte Natur­kraft auf der Leinwand. Dabei hilft ihr, dass sie kaum sprechen muss und hier ja auch ein »bei Wilden« aufge­wach­senes, sozial verwahr­lostes »Wolfskind«, zugleich eine kindlich unschul­dige und verletz­liche Figur spielt. Auf Dauer wird sie noch anderes zeigen und leisten müssen – aber dieser Auftritt, der einem großen Star wie Tom Hanks eben­bürtig ist, ist toll, und aller Ehren wert: großartig zeigt sie meist schwei­gend schmerz­hafte, verletz­liche und trau­ma­ti­sierte Seiten.

+ + +

Die Freund­schaft zwischen Unglei­chen, das notwen­dige Zusam­men­halten zwischen Menschen, die nichts verbindet gegen eine äußere Bedrohung – sei es die rohe Natur oder die Barbarei der Menschen –, die schwie­rige Zivi­li­sie­rung der Gefühle und Ängste sind das Kern-Thema des Western.
Und das Home-Coming. Was heißt und bedeutet Heimat in einer Welt, in der gilt: There is no place like home?
Besonders geht es hier auch um Identität. Denn das „lost girl“ Johanna hat gleich zweimal ihre Eltern verloren. Verständ­li­cher­weise wollen ihr die Menschen in diesem Film den Indianer-Teil ihrer Persön­lich­keit austreiben. Aber man glaubt nur lange, dass der Film damit für die gene­ti­sche »Blut«-Familie und eine Ahnenpass-Identität plädiert, gegen die sozialen Eltern. Dann aber entpuppt sich die deutsche (!!!) Verwandt­schaft als kalt, brutal und ausbeu­tend. Wie ein wildes Tier wird Johanna draußen an eine Pflock gebunden. Und der Film nimmt eine finale Wendung.

+ + +

Mag der Western als Genre auch nicht jeder­manns Sache sein, mögen bei manchen hier keine film­nost­al­gi­schen Gefühle aufkommen, so ist News of the World aber von Anfang an mehr, als nur ein Trip durch bekannte Film­mo­tive: Eine archai­sche Helden­reise, ein Roadmovie durch Situa­tionen und Verhält­nisse, die oft über­ra­schend vertraut sind.
Green­grass und Hanks erzählen eine einfache, aber einneh­mende Geschichte, die so intim ist, wie universal. Ein Licht­blick in der Wüste des Irrealen, zwischen Streaming-Epidemie und Lockdown-Vorru­he­stand.

Neues aus der Welt ist ab dem 10. Februar 2021 auf Netflix abrufbar.