Main Hoon Na

Indien 2004 · 182 min. · FSK: ab 12
Regie: Farah Khan
Drehbuch: , ,
Musik: Anu Malik, Ranjit Barot
Kamera: V. Manikandan
Darsteller: Shahrukh Khan, Amrita Rao, Zayed Khan, Sushmita Sen u.a.
»I am here now!«

Feuerzangenbowle auf indisch

Die indischen Bollywood-Unter­hal­tungs­filme, im Prinzip klas­si­sches Gute-Laune-Kino, waren schon immer eine Folie, vor der auch Tieferes und Ernst­haf­teres verhan­delt wird. Als selbst­ver­s­tänd­li­cher Teil der Alltags­kultur in einem Land, in dem der Analpha­be­tismus noch nicht verschwunden ist, ist Kino auch als Mittel gesell­schaft­li­cher Selbst­ver­s­tän­di­gung nicht zu unter­schätzen. Sogar Terro­rismus, in Indien seit der Unab­hän­gig­keit ein nie verschwun­denes Thema, stand schon mehrfach im Zentrum von Filmen, am spek­ta­ku­lärsten in Dil Se aus dem Jahr 1998, dem wohl bislang wich­tigsten Bollywood-Film überhaupt – und einem der erfolg­reichsten. Gemeinsam mit Lagaan ist Dil Se auch der Schlüs­sel­film für die westliche Rezeption des indischen Kinos.

Jetzt kommt mit Main Hoon Na ein neuer Meilen­stein des Bollywood-Kinos nach Deutsch­land. Und wieder dreht sich die Geschichte um eine terro­ris­ti­sche Bedrohung – diesmal vor dem Hinter­grund der, trotz der jüngsten Verbes­se­rungen nach wie vor sehr ange­spannten diplo­ma­ti­schen Bezie­hungen zwischen Indien und Pakistan.

Nicht weniger bemer­kens­wert ist, dass das Regie-Debüt der bislang als Film-Choreo­gra­phin bekannten Farah Khan auch filmisch überaus einfalls­reich und fruchtbar mit den bekannten Stil­mit­teln und Erzähls­te­ro­typen des indischen Unter­hal­tungs­kinos umgeht. Stunts, spek­ta­ku­läre Actions­se­quenzen und großar­tige Tanz­szenen weit über dem Üblichen heben den Film klar über andere Bollywood-Werke hinaus, die zuletzt im Kino zu sehen waren, auch über die erfolg­rei­chen Sometimes Happy, Sometimes Sad und Kal ho naa ho.

Im Zentrum steht Ram, ein Major der indischen Armee, mit Spezi­al­aus­bil­dung zur Terro­ris­ten­be­kämp­fung. Als sich ein Gefan­ge­nen­aus­tausch zwischen Indien und Pakistan anbahnt, kommt es zum Anschlag einer Unter­grund­gruppe, bei der Rams Vater von den Terro­risten umge­bracht wird. Als diese Sanjana, die Tochter des indischen Arme­e­füh­rers bedrohen, setzt man Ram als Beschützer Sanjanas ein. Under­cover schreibt er sich an deren College ein. Zugleich bietet das die Gele­gen­heit ein fami­liäres Trauma zu heilen: Einst hatte Rams Vater seine erste Familie verlassen. Kurz vor seinem Tod übertrug er Ram seinen letzten Wunsch: Er möge seine Stief­mutter und seinen Stief­bruder Lucky aufsuchen, und sich mit der ihm bislang unbe­kannten Familie »wieder­ver­ei­nigen.« Eine Menge Stoff also, in dem sich der Plot der Feuer­zan­gen­bowle – ein Erwach­sener geht, als Schüler verkleidet, noch einmal zur Schule – mit seinen entspre­chenden Humor­ein­lagen und den Stereo­typen des Teenage-Movies, mit action­rei­cher Terror­be­kämp­fung, Martial-Arts-Elementen und dem klas­si­schen indischen Thema der Fami­li­en­ver­söh­nung trifft.

Die Action­szenen mischen Anspie­lungen auf zahl­reiche bekannte Filme – inklusive einer »Bullet-Time«-Sequenz a la Matrix mit sehr guten Stunts, und zwei furiosen Verfol­gungs­jagden. Als Kontra­punkt zu den zwischen­durch auch immer wieder sehr schnellen und zum Teil harten Action-Passagen, sind vor allem die Schul­szenen ruhiger insze­niert und mit allem Klamauk des Pauker­films versehen: Da gibt es Schüler, die nur Streiche im Kopf haben, die üblichen schrul­ligen Klas­sen­außen­seiter, Lehrer mit ständigen Verspre­chern oder Sprach­feh­lern (die sich aller­dings nur dem erschließen, der Hindhi versteht), oder einer »feuchten Aussprache«. Sonder­lich über­ra­schend ist bei alldem weder der Hand­lungs­ver­lauf, noch der schließ­liche Ausgang der vielen Geschichten. »Have you forgotten, it is always the bad guy, who dies at the end?« fragt der Held Ram, gespielt von Megastar Shah Rukh Khan.

Unge­wöhn­lich ist der Insze­nie­rungs­stil und einige Details der Handlung. Besonders inter­es­sant wie Main Hoon Na zwischen ameri­ka­ni­schen und indischen Stil­ele­menten schwankt. Für kurze Augen­blicke fühlt man sich in eine US-Colle­ge­komödie versetzt, dann wieder in ein indisches Musical aus den 60er oder 70er-Jahren. Bemühen um das Zeigen moderner Lebens­formen und Denk­weisen ist spürbar. So zeigen beispiels­weise die Colle­ge­szenen ameri­ka­ni­sierte, besser noch verwest­liche Verhält­nisse, tragen die Studenten zerris­sene Jeans und Punk-Klamotten. Im letzten Drittel wird die Identität des Subkon­ti­nents aller­dings selbst in der Kleidung wieder zusam­men­ge­schmiedet. Die Wandlung des Tunicht­guts Lucky zum folgsamen Sohn zeigt sich beispiels­weise am Wechsel der Kleidung vom Hippie-Outfit zum tradi­tio­nellen indischen Anzug, und am Kürzen der langen Haare. Auch dessen Love-Interest Sanjana wird erst richtig attraktiv, als sie Leder­jacke und Jeans mit rosa Kleid oder Sari vertauscht.

Es gibt aber auch subtile Soll­bruch­stellen in der Harmonie. Die Gemein­schaften, die hier geschmiedet werden, bleiben zumeist virtuell: Gerade die Familie, die am Schluß im Beer­di­gungs­ri­tual für den toten Vater »wieder«vereinigt wird, beschwört zwar noch über den Toten das Ideal der Bluts­ver­wandt­schaft, ist aber von den modernen Patch­work­fa­mi­lien nicht mehr unter­scheidbar. Kleine Zeichen der Frau­en­eman­zi­pa­tion sind es, wenn Sanjana ihrem Vater an den Kopf wirft: »Sind Söhne alles und Töchter nichts?« und Zustim­mung erntet.

Auch andere Subtexte sind nicht über­sehbar: In der ohne die im indischen Kino oft üblichen langen thesen­haften Reden präsen­tierten Annähe­rung zwischen Indien und Pakistan ebenso, wie in der Figur des Ober­schurken Raghavan. Bei ihm handelt es sich um einen ehema­ligen indischen Offizier, der wegen Mordes an Gefan­genen uneh­ren­haft entlassen wurde, und sich in einen fana­ti­schen Rächer verwan­delt hat. Diese Figur rela­ti­viert das glatt polierte Bild des Militärs, das diesen Film im Allge­meinen beherrscht – »Army guys are different« sagt Lieb­lings­schwie­ger­sohn und Held Shah Rukh Khan mehr als einmal, um sich von den unor­dent­li­chen, verant­wor­tungs­losen Zivi­listen abzu­setzen – zumindest ein wenig. Und sie erzählt in indi­rekter, aber doch unüber­seh­barer Form von Verbre­chen auch auf indischer Armee-Seite. Freilich wird selbst Raghavans Moti­va­tion wiederum dadurch etwas moralisch aufge­wertet, dass es sich bei ihm um einen Vater handelt, der über den gewalt­samen Tod seines Sohnes nie hinwegkam.

Fazit: Ein Gute-Laune-Film mit vielen gelun­genen Tanz­ein­lagen, und einiger Action. Er wird seinen Weg auch auf den welt­weiten Film­märkten machen, weil ihm die Grad­wan­de­rung zwischen indischen und west­li­chen Stil­ele­menten nahezu perfekt gelingt. Main Hoon Na heißt auf deutsch »Ich bin da«. Das kann man auch als ein Statement der Regis­seurin Farah Khan verstehen, die sich mit diesem Film als neuer Regies­tern am Bollywood-Himmel etabliert.