Das Leben ist ein Wunder

Zivot je cudo

F/Serbien 2004 · 154 min. · FSK: ab 12
Regie: Emir Kusturica
Drehbuch: ,
Kamera: Michel Amathieu
Schnitt: Svetolik Zajc
Darsteller: Slavko Stimac, Natasa Solak, Vesna Trivalic, Vuk Kostic u.a.
Dieser Engel kann den Balkan retten

Wundersamer, wunderbarer, kriegswundener Balkan

Bosnien, 1992. Ein Brief­träger hüpft durch die Land­schaft der bosni­schen Berge und mit ihm das ganze Federvieh. Als er an einem einsamen Bauern­haus anklopft, öffnet sich mit Wucht die Tür und wirft ihn zu Boden. Im Türrahmen steht ein riesiger Bär, und auf dem Baum neben dem Haus schwebt aufge­spießt der Haus­be­sitzer in den Zweigen der Krone. Dorthin vom selbigen Bären geschleu­dert, keine Frage. Ein hekti­sches Zurüsten der Land­be­wohner zur Bärenjagd hebt an. Die Fährte wird aufge­nommen, und es passiert ein klas­si­scher Jagd­un­fall: Nicht das Fell des Bären wird erjagt, sondern der Bürger­meister selbst muss dran glauben.

Soweit der Auftakt des rasanten Neulings von Emir Kusturica, der den Film geraden Weges in die Wildnis des unge­zähmten Balkans führt. Dazwi­schen, im schnellen Wechsel der Szenen, von der Wucht des No Smoking Brass-Orche­s­tras gestützt, die Einfüh­rung der Haupt­per­sonen: zual­ler­erst der Bürger­meister mit seiner diven­haften Beglei­tung, der während einer Autofahrt das Knochen­mark einer Schweins­haxe verschlingt und mit fett­trie­fendem Kinn die Reste an die Straßen­köter verfüt­tert. Sodann Luka, der serbische Ingenieur aus Belgrad, der seine Frau, die mit üppigem Mutter­reiz ausge­stat­tete Opern­sän­gerin Jadranka, in psych­ia­tri­sche Behand­lung gibt. Dann Sabaha, die bosnische Kran­ken­schwester, die sich auf einen Schlag in Luka verliebt, weil er seine Frau auf starken Händen tragen kann. Und Sohn Milos, ein viel­ver­spre­chendes Fußball­ta­lent, der von dem Fußball­club »Parti­sanen« als Profi engagiert werden soll. Zuvor rufen ihn jedoch andere Parti­sanen in die Pflicht: Er muss, nicht auf dem Fußball­feld, sondern auf dem Schlacht­feld des Krieges die gegne­ri­schen Balkan­par­teien bekämpfen.

Das Leben jedoch ist, nach Kusturica, ein Wunder. Nicht nur schlüpfen aus Hühne­r­eiern Küken, sondern auch aus der Hölle des tobenden Balkan­krieges das engel­gleiche Wesen Sabaha, das Luka in den siebten Himmel der Liebe führt. Die Bosnierin, die für einen Gefan­ge­nen­aus­tausch als Geisel gehalten werden soll, verzau­bert Luka, und mit ihm die Realität. Wo andere Krieg und Tod erleben, schwebt Luka mit Sabaha im Liebes­bett über den Balkan und sie gucken auf ihn hinunter wie auf das Eisen­bahn­mo­dell, mit dem Luka zu Hause das neue Touris­ten­pa­ra­dies Balkan plant.

Nicht nur ist das Leben ein Wunder, auch ist die Wirk­lich­keit wunderbar, wenn man nur versteht, sie magisch umzu­wan­deln. Realismo magico, so heißt das bei den Latein­ame­ri­ka­nern, die Umwand­lung der Wirk­lich­keit ins Phan­tas­ti­sche. Emir Kusturica findet in Life Is A Miracle in der Tat zu atem­be­rau­benden Bildern, die die Wirk­lich­keit phan­tas­tisch überhöhen. Der Nebel, der sich über das Fußball­feld legt, und das ablau­fende Spiel zu einer Vorhölle des Krieges verwan­delt, der Bosni­en­führer, der sich auf den Eisen­bahn­gleisen Koka­in­li­nien reinzieht, begleitet von den Huren des Krieges – das sind Bilder von wahrhaft opern­hafter Opulenz, die in ihrer Kompo­si­tion die Bild­ent­würfe vom Mythos Balkan in Under­ground oder Schwarze Katze, weißer Kater berau­schend über­treffen.

Aber auch hier, im Phantasma, macht Kusturica seine mythi­sie­rende Sicht auf den Balkan stark. Der Krieg ist nur die blutige Verlän­ge­rung allge­meiner Balkan­bru­ta­lität, in der die Sauf­kum­panen die Schädel anein­ander krachen lassen. Die Menschen sind wie die Tiere, archaisch und trieb­ge­steuert. Beide essen, wenn es sein muss, vom gleichen Honigbrot, der Hund jagt die Katze, die fauchend zurück­schlägt, der Mann die Frau, die krei­schend ihren Hintern in Sicher­heit bringt und später in wildem Sex den Mann zur Strecke bringt. Slap­stickein­lagen, bei denen aus den Fenstern geflogen wird, unter­strei­chen, dass das ganze wilde Tun nur die Norma­litäten verrückt, im Grunde also liebens­wert und trotz aller Gewalt­tä­tig­keit sehr harmlos.

In diese wilde Harm­lo­sig­keit bricht mit dem Krieg ein brutaler Ernst ein, dem Kusturica jedoch wieder dank der Wirk­lich­keitsüber­höhung entkommt. Sabaha soll nicht nur Sohn Milos wieder­bringen, sondern die Liebe von Sabaha und Luka ist, Kusturica sagt es uns ausdrück­lich, wie die Liebe zwischen Romeo und Julia. Nur ihre Liebe hat die Kraft, den tiefen Graben der ethni­schen Feind­schaft zu über­winden und den zerstrit­tenen Balkan in die Völker­ge­mein­schaft Titos zurück­zu­führen. So rettet sich Life Is A Miracle fort­wäh­rend in die Allegorie. Die Liebes­hand­lung ist die poli­ti­sche und mysti­zie­rende Dimension, die den Balkan errettet. Der Adler, der sich über die Hausgänse herge­macht hat, ist der Wappen­vogel der US-Impe­ria­listen, die sich in die wilden Strei­te­reien des Balkan­volkes einmi­schen, eine plakative Bebil­de­rungen von Kustu­ricas eigent­li­chem Feindbild. Die große Allegorie aber ergibt sich im Eisen­bahn­mo­dell des Inge­nieurs, das die eigent­liche Spiel­wiese des Regis­seurs meint, den Balkan, auf der er seine Phan­tasmen auslebt. Das ist ein schönes, wenn auch bisweilen brachiales Spiel, wenn die Bilder rausch­haft werden, das ist auch dann ein schönes, zartes und roman­ti­sie­rendes Spiel, wenn Kusturica meint, den Balkan durch die Liebe erretten zu können. Das Spiel kippt dennoch allzu­leicht in alle­go­ri­sches Bilder-Gehabe und ist dann ärgerlich platt und unpo­li­tisch, wenn am Ende die Rechnung so leicht aufgeht.