Kriegerin

Deutschland 2011 · 106 min. · FSK: ab 12
Regie: David Wnendt
Drehbuch:
Kamera: Jonas Schmager
Darsteller: Alina Levshin, Jella Haase, Sayed Ahmad Wasil Mrowat, Gerdy Zint, Lukas Steltner u.a.
Zuviel Psychologisierung, aber spannend

Die Neonazimädels und ihr Milieu

Versager, Unter­schichten, Spießbürger: David Wnendts Film »Kriegerin« skizziert Grund­li­nien einer Sozi­al­psy­cho­logie des Neona­zismus

»Demo­kratie ist das Beste, was wir je auf deutschem Boden hatten. Wir sind alle gleich. Es gibt kein Oben und kein Unten. In einer Demo­kratie kann jeder mitbe­stimmen: Du, ich, Alko­ho­liker, Junkies, Neger, Kinder­schänder, Leute die zu blöd sind, den Haupt­schul­ab­schluß zu schaffen. Ihnen ist es egal, was mit unserem Land passiert. Mir ist es nicht egal. Ich liebe mein Land.«
(O-Ton aus dem Film)

An der jungen Frau fallen als erstes das zarte Gesicht, und ihr schmaler Körper auf. In Wider­spruch dazu tritt schnell der stiere Blick, das teilweise zur Stop­pel­frisur gekürzte Haar und die offensiv zur Schau getra­genen Tatoos mit fetten schwarzen altdeut­schen Frak­tur­let­tern. Gleich zu Anfang des Films sieht man auch, wie sie mal hochgehen kann, wie sie spuckt und schreit, tritt und schlägt. Wer ihr da gerade in den Weg kommt, wer zu lange Haare oder zu dunkle Haut hat, oder sie zu lange anguckt, der hat schlechte Karten. Marisa – von der jungen Alina Levshin, die einem bisher vor allem in Dominik Grafs Fern­seh­serie »Im Angesicht des Verbre­chens« auffiel, in einem atem­be­rau­bend souver­änen und nuan­cen­rei­chen Auftritt gespielt – ist eine Neo-Nazibraut, irgendwo in einem Küsten­kaff in Meck­len­burg. Ihre Freunde sind Skinheads, und wenn sie sich nicht gerade die Zeit damit vertreibt, Ausländer und Linke zu drang­sa­lieren oder zu verprü­geln, dann sitzt sie im Super­markt ihrer Mutter an der Kasse.

Gleich nach der Prügel­szene zum Auftakt lässt uns der Film erfahren, wo sie herkommt. Man sieht sie als Kind mit ihrem Opa am Strand. Sie schleppt einen ganzen Rucksack voller Sand auf dem Rücken, und muss sich ziemlich anstrengen, während der Großvater sie anfeuert: »Zähne zusam­men­beißen. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Meine Kriegerin.« Die Zähne beißt sie eigent­lich immer zusammen. Auch heute noch, im Super­markt oder wenn sie ihre Kumpel trifft. Das gelobt sei, was hart macht, und die klaren Ordnungs­muster aus Befehl und Gehorsam sind eine der wenigen Verläß­lich­keiten, die hier noch tragen, in dieser nicht nur von Gott verlas­senen Welt.

»Kriegerin« heißt der Debütfilm von David Falko Wnendt, der in dem Augen­blick, in dem er jetzt ins Kino kommt, durch die Ereig­nisse um die Aufde­ckung der rechts­ex­tremen Zwickauer Terror­zelle eine ganz uner­war­tete, beklem­mende Aktua­lität erhalten hat. Wnendt hat sich in den Neonazi-Komplex, insbe­son­dere in das Thema weibliche Neonazis, gut einge­ar­beitet, er hat viel recher­chiert und mehrere rechte Frauen inter­viewt, um seinen Stoff so authen­tisch wie möglich zu gestalten. Das kommt seinem Film sehr zugute. Am Beispiel seiner Haupt­figur und eines zweiten Mädchens, Svenja, die aus »besseren«, aber im Prinzip genauso kaputten Kreisen kommt – bei einem Inter­net­chat meldet sie sich unter dem Benut­zer­namen »Hasser­füllt« mit Fami­li­en­stand »Vollwaise« an –, bietet der Regisseur so etwas wie Grund­li­nien einer Sozi­al­psy­cho­logie des Neona­zismus. Es ist keine geschlos­sene Darstel­lung, eher sind es ein paar Schneisen im Gestrüpp und viele Impres­sionen. Man hat den Eindruck, dass einem Jugend­li­chen in manchen Gebieten Ostdeutsch­lands gar nichts anderes übrig bleibt, als Neonazi zu werden, wenn er kein Außen­seiter sein möchte; man sieht, wie bei den Mädchen Schwäche in Aggres­sion umgemünzt wird, Neid auf vermeint­lich »heile« Verhält­nisse in Hass auf sie. Auch der sexuelle Subtext des Faschismus, die Verknüp­fung von Sex und Gewalt, wird zumindest ange­deutet. Man hört demago­gi­sche Sprüche und »Argu­men­ta­tionen« und böse Nazi-Rocksongs mit Titeln wie »Holocaust reloaded«.

»Kriegerin« ist am Stärksten in dieser Schil­de­rung seines Milieus, des braunen Rands unserer Gesell­schaft, der Schnitt­mengen bis hin zur Mitte aufweist, und zugleich ein echter »brauner Sumpf« ist, eine Subkultur der Unter­schichten und Verlierer. Der Film zeigt Menschen, die ein spießiges Klein­bür­ger­da­sein führen, »Ordnung«, »Anstand« und »Sicher­heit« verklären, und zugleich allen, die anders denken Chaos, Bruta­lität und Angst bringen.

Man könnte »Kriegerin« höchstens vorwerfen, dass er sich manchmal etwas zu sehr die Binnen­sicht seiner Figuren, ihren Blick auf die Welt zu eigen macht, dass er mitunter sehr knapp die Grenze zur ästhe­ti­schen Faszi­na­tion für seinen Gegen­stand berührt. Aber wie könnte man auch anders von poli­ti­scher Verfüh­rung erzählen, als verfüh­re­risch?

Um so aufge­setzter wirkt dann die plötz­liche radikale Wandlung Marisas, die im letzten Drittel dieses Milieu hinter sich lässt, und von einer fana­ti­schen Gewalt­zicke, die am laufenden Band Sätze auskotzt, wie: »Es ist Krieg, und da ist alles erlaubt«, zur mutig-sensiblen Huma­nistin mutiert, die aus Gewis­sens­gründen Wider­stand übt – das alles ist zu schön, um wahr zu sein.

Proble­ma­tisch war es schon zuvor immer dann, wenn »Kriegerin« jenen Bereich berührte, an dem viele deutsche Dreh­bücher kranken, und der in den Dreh­buch­schulen »Moti­va­tion« genannt wird. Diese hat in deutschen Filmen nämlich unbedingt persön­lich zu sein, jeden­falls bei Haupt­fi­guren, und darum sind Politik und Moral oder gar Ästhetik nie zurei­chende Moti­va­tionen für die Handlung von Figuren. So ist jeder deutsche Film im Kern ein Melodram – Ausnahmen bestä­tigen die Regel, der leider auch »Kriegerin« entspricht. So wird, was als sozio­lo­gisch fundierter Film beginnt, ohne Not emotio­na­li­siert und psycho­lo­gi­siert: Marisa hat Ärger mit der Mutter, Svenja mit dem Vater, offenbar wird man ohne so etwas nicht zum Neonazi. Ein anderer Vater ist Marxist, ein Dritter Sadist – den Gedanken, dass auch Kinder »normaler« Eltern in Extre­mismen abgleiten, lässt der Film nicht zu, das wäre ja auch gar zu beun­ru­hi­gend.

Und auch Marisas Großvater ist vor allem ein »Moti­va­ti­ons­träger«. Wie ein Univer­sität­s­pro­fessor analy­siert er sich selbst, er habe »in meinem Leben so viel Schlimmes gemacht, das reicht für viere.« Und weil der vergöt­terte Opa ein schlimmer Nazi war, der Marisa schon als Kind nicht nur durch körper­li­chen Wehrsport zur »Kriegerin« gestählt hat, sondern ihr auch einimpfte, sie solle ja nicht alles glauben, was heute so über die Nazi-Zeit gesagt werde, hatte Marisa offenbar keine Wahl.

An solch' über­mäßiger Psycho­lo­gi­sie­rung kranken viele deutsche Dreh­bücher. Besonders in diesem Fall drängt sich der Verdacht auf, hier habe ein Regisseur oder die TV-Redaktion der eigenen Courage nicht getraut, eine dauerhaft nicht-sympa­thisch agierende Prot­ago­nistin ins Zentrum zu stellen. Von solchen Kurz­schlüssen und Mängeln abgesehen, ist Wnendt trotzdem ein technisch sehr guter und inter­es­santer Film geglückt – eine unge­wöhn­liche Fall­studie, die bis zum Schluss spannend erzählt ist.