Die Kinder des Monsieur Mathieu

Les choristes

Frankreich 2004 · 97 min. · FSK: ab 6
Regie: Christophe Barratier
Drehbuch: ,
Kamera: Dominique Gentil
Darsteller: Gérard Jugnot, François Berléand, Jean-Baptiste Maunier, Jacques Perrin, Kad Merad u.a.
Warmherziger Leiter des Knabenchors

Stimmen vom Grund des Teichs

Frank­reich 1949: Bröckelnder Putz, kalte Eisen­s­täbe, zerbro­chene Fenster – in diesen unwirt­li­chen Gemäuern, so ahnt man schon, ist wenig Hoffnung daheim. »Fond de l’Etang« – »Grund des Teichs« heißt das Internat, eine Besse­rungs­an­stalt für schwer erzieh­bare Jungen. Über den Kindern, die wie kleine Straf­ge­fan­gene gehalten werden, schwebt die mitleid­losen Knute des Direktors Rachin. Hierhin verschlägt es den arbeits­losen Musiker Clément Mathieu als Erzieher. Doch mit seiner Ankunft weht ein Hauch von Mensch­lich­keit durch den trost­losen Ort: Der neue Pedell entpuppt sich als warm­her­ziger, humor­voller Mann, der an das Gute im Menschen glaubt. Um die miss­traui­sche, aufmüp­fige Horde zu zähmen, verfällt er auf ein unge­wöhn­li­ches Expe­ri­ment: Er gründet einen Knaben­chor. Das Wunder gelingt: Mit seiner Musik gibt Mathieu den Jungen ein Stück Selbst­ach­tung, Freude und Gebor­gen­heit. Doch obwohl selbst Rachin sich von der gelös­teren Stimmung anstecken lässt und heimlich Papier­flieger bastelt, sind dem Rektor die liberalen Methoden seines neuen Erziehers ein Dorn im Auge. Als eine größere Summe Geldes gestohlen wird, verbietet er den Chor. Mathieu und seine Kinder gehen in den Unter­grund.

Die Geschichte dürfte einigen bekannt vorkommen: Sie klingt sehr nach einer musi­ka­li­schen Version vom Club der toten dichter. Aber auch wer im letzten Jahr die über­ra­schend erfolg­reiche Doku­men­ta­tion Être et avoir über eine fran­zö­si­sche Zwer­gen­schule und ihren liebevoll-gestrengen Lehrer gesehen hat, entdeckt bekannte Töne. Hier­zu­lande weit­ge­hend unbekannt hingegen ist die eigent­liche Vorlage des Films, Der Nach­ti­gal­len­käfig von Jean Drévilles aus dem Jahr 1945.

»Ich weiß zwar, dass ein Film die Welt nicht verändert, aber er kann dazu führen, dass man es versuchen möchte«, erklärt Regisseur Chris­tophe Barratier die huma­nis­ti­sche Intention seines Debüts. Und um die zu verwirk­li­chen, bedient er sich ungeniert aus der Klischee­kiste: das großäu­gige Waisen­kind mit dem Teddy­bären unter dem Arm, der bockige Jungen, der sich als geniales Talent entpuppt, die aufop­fe­rungs­volle Mutter. Tatsäch­lich läuft dieser Film im Grunde ein paar Wochen zu früh an – er hätte sonst einen idealen Weih­nachts­film abgegeben: Ein Haufen randa­lie­render Rabauken verwan­delt sich auf wunder­same Weise in glocken­rein singende Engel. Dazu der fran­zö­si­sche Star­ko­miker Gérard Jugnot als herzens­guter Erzieher, einem glatt­ra­sierten Weih­nachts­mann nicht ganz unähnlich. Und was wolken­ver­hangen begann, endet in strah­lendem Sonnen­schein.

Was den Film rettet, ist sein feiner Witz, seine schau­spie­le­ri­sche Güte und die märchen­hafte Atmo­s­phäre, gewoben aus nost­al­gi­schem Licht, fließender Kamera und vor allem ergrei­fend schöner Musik. Dies ist ein Film, der mit Kinder­augen gesehen werden will. »Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch«, schrieb Erich Kästner. Sechs Millionen fran­zö­si­schen Zuschauern ist dies offenbar gelungen, zumindest für 95 Minuten.