It Follows

USA 2014 · 100 min. · FSK: ab 12
Regie: David Robert Mitchell
Drehbuch:
Kamera: Mike Gioulakis
Darsteller: Maika Monroe, Keir Gilchrist, Daniel Zovatto, Jake Weary, Olivia Luccardi u.a.
Es folgt… dir…

Schöner Schrecken

»Coming-of-Age« heißt in Hollywood das Genre jener Filme, in denen es ums Erwach­sen­werden geht. In den letzten 30 Jahren hat sich hier auch das Horror­kino einge­nistet – und den Genre-Hybrid des »Teen-Horror« heraus­ge­bildet, bei dem die Entwick­lungs­ängste von Jugend­li­chen, die Jugend und der Abschied von ihr zur trau­ma­ti­schen, aber auch befrei­enden Erfahrung wurde – und zugleich zur Metapher auch für die Erwach­se­nen­welt. Nach Jahren, in denen es still war um den Teen-Horror, kommt er jetzt zurück. Das beste Beispiel ist David Robert Mitchells It Follows. Der spielt noch einmal mit roman­ti­schen Teenager­phan­ta­sien, bricht diese aber sofort, und ist trotzdem wohltuend ironie­frei.

Suburbia, die proto­ty­pi­sche Vorstadt einer jeden US-ameri­ka­ni­schen Metropole ist im Prinzip eine Idylle. Die Vorgärten sind gepflegt, Vögel zwit­schern friedlich. Doch dann dringt unver­mit­telt das Böse in diese Idylle ein. Wir sehen schiere Panik, und wissen doch zuerst einmal gar nichts. Dann wird die Szene wieder ruhig und der Film kann nach diesem Auftakt richtig losgehen.

Kino handelt zunächst einmal vom Sehen und vom Sicht­baren, und so ist es kein Wunder, dass auch der Schrecken und das Grauen auf der Leinwand zunächst einmal in Form dessen auftreten, was man abbilden und zeigen kann.

Selbst Geister und Dämonen bekommen im Kino in der Regel ein Gesicht. Um so frap­pie­render, wirksamer ist es, wenn es einmal anders ist – so wie hier bei diesem kleinen, unschein­baren US-ameri­ka­ni­schen Inde­pen­dent-Film, der sich aller­dings auf den zweiten Blick als eine einzige Wucht entpuppt: It Follows ist ohne Frage einer der besten Filme des Jahres.

Denn eine ganze Weile sieht man in diesem Film das Entschei­dende gar nicht. Man fühlt und spürt es aber um so mehr. Dann, allmäh­lich, beginnt man zu verstehen...

Regisseur David Robert Mitchell zitiert schon musi­ka­lisch mit einem tollem Elek­tronik-Score und atmo­s­phä­risch das Horror- und Psycho­thril­ler­kino der 70er und 80er Jahre, zum Beispiel die frühen Filme von John Carpenter und Wes Craven.
Viet­namt­rauma und Water­gate­pa­ra­noia zeich­neten sich darin ab, und man braucht nicht viel Phantasie, um heute nun an Amerikas Anti­terror-Sicher­heits­o­bes­ses­sion, an seine schmut­zigen Kriege in Nahost und an die von Edward Snowden enthüllten Über­wa­chungs­über­griffe der Geheim­dienste zu denken.

Denn was erzählt wird, ist denkbar universal, auch wenn es im Film nur eine kleine Gruppe befreun­deter Teenager betrifft, die in den zumindest ober­fläch­lich noch halbwegs intakten Verhält­nissen der Vorstadt von Amerikas verwahr­loster Metropole, der einstigen Autostadt Detroit, leben.

Auf ihren schlichten Kern reduziert handelt die Story davon, dass einer der Teenager – und zwar immer nur einer – von etwas Unbe­kanntem, Bösen verfolgt wird. Dieses Böse ist sehr langsam, aber uner­bitt­lich. Wenn es einen erreicht, tötet es. Es mate­ria­li­siert sich in Form von verwahr­losten Menschen, die nur der gerade Besessene sehen kann.

Nur durch Sex kann man den Fluch empfangen, nur durch Sex kann man ihn wieder loswerden – an eben den, mit dem man gerade im Bett war.

Früh im Film werden diese Regeln einmal für die Haupt­figur, die 17-jährige Jay, und für uns Zuschauer erklärt: »This thing – it’s gonna follow you. Somebody gave it to me. And I passed it to you. It can look like someone you know or like a stranger in the crowd. It can look like anyone. There only one of it.«

Das klingt viel­leicht bemüht. Im Kino,wo die Erfahrung zählt, nicht die Beschrei­bung, wo Bilder entschei­dend sind, nicht Worte, da funk­tio­niert es einfach nur hervor­ra­gend.
It Follows ist nervenz­er­fet­zender Psych­o­horror, ist dabei wunder­schön anzusehen und anzuhören, ist gut gespielt, so clever wie souverän insze­niert, und ganz nebenbei – was sich ja wirklich nicht von jedem Horror­film sagen lässt – auch eine intel­lek­tu­elle Heraus­for­de­rung.

Worum es geht, ist an der Ober­fläche das univer­sale Thema der verlo­renen Unschuld. Das bezieht sich auf das Erwach­sen­werden als solches, es bezieht sich auf die sexuelle Ebene, wie auf die mora­li­sche der Teenager. Denn es ist ja erst recht eine mora­li­sche Frage, mit wem man ins Bett geht, wenn man das nur tut, um sich selbst zu erlösen, und zugleich damit eine Todes­dro­hung weiter­zu­rei­chen.

Über die persön­liche Ebene hinaus betrifft dieser Film damit die mora­li­sche Verfas­sung des ganzen Westens und einer ameri­ka­ni­schen Gesell­schaft, in der Doppel­moral und Zynismus längst Alltag geworden sind.

Zugleich aber – und erst dies macht It Follows zu wirklich großem Horror­kino – geht eben auch um etwas Univer­sales: Die Urangst der Menschen vor dem Tod, vor dem Unbe­kannten, vor dem Imaginären – das sich in unseren Horror­phan­ta­sien mate­ria­li­siert. Und das durch den Horror im wirk­li­chen Leben immer wieder neue Nahrung erhält:

»When there is torture, there is pain and wounds, physical agony, and all this distracts the mind from mental suffering, so that one is tormented by the wounds until the moment of death. And the most terrible agony may not be in the wounds them­selves but in knowing for certain that within an hour, then within 10 minutes, then within half a minute, now at this very instant—your soul will leave your body and you will no longer be a person, and that this is certain. The worst thing is that it is certain.«

Diese Sätze, die gegen Ende die nerdigste von Jays Freun­dinnen vorliest, stammen von Dosto­je­wski. Sie bilden die Bauan­lei­tung für den Bewußt­s­eins­zu­stand, der hier entfaltet wird. Den von Dosto­je­wski beschrie­benen exis­ten­ti­ellen Abgründen gibt Mitchells Film hypno­ti­sche, voyeu­ris­ti­sche, begeis­ternde Bilder. Der Schrecken ist auch schön, das Gruseln auch faszi­nie­rend.