I'm Not There

USA/D 2007 · 136 min. · FSK: ab 12
Regie: Todd Haynes
Drehbuch: ,
Kamera: Edward Lachman
Darsteller: Christian Bale, Cate Blanchett, Marcus Carl Franklin, Richard Gere, Heath Ledger u.a.
Cate Blanchett – the sexiest Dylan alive

Surreales Stochern im Mülleimer

Biogra­fi­sche Filme ähneln Lite­ra­tur­ver­fil­mungen, zumal, wenn sie das Leben eines populären Musikers zu erfassen versuchen. Für wen der Film eine erste Annähe­rung an das Werk bedeutet, ist es nebenso schwer, über die filmische Fassung begeis­tert zu sein, wie für jene, die beim Lesen des Buches oder dem Hören der Musik bereits ihren inneren Film gedreht haben und vers­tänd­li­cher­weise in Konflikte geraten, sehen sie sich nun einer viel­leicht ebenso vers­tänd­li­chen, aber deutlich anderen Inter­pre­ta­tion ausge­setzt.

Auch wenn Todd Haynes I’m Not There – Mutmaßungen eines Films, der Bob Dylan betrifft nicht viel mit den in den letzten Jahren gehäuft produ­zierten Biopics gemein hat – dazu ist die behan­delte Person und ihre Musik schlichtweg zu wider­sprüch­lich – dürften die eingangs erwähnten Tendenzen auch hier gelten: wer mit Bob Dylan nicht mehr als das Bild des Protest­sän­gers und viel­leicht noch Jahr­zehnte zurück­lie­gende Demons­tra­tionen verbindet, auf denen Blowing in the Wind und Masters of War intoniert wurde, für den dürfte dieser Film eine delikate Über­ra­schung sein: nicht nur ein Schau­spieler, sondern gleich sechs an der Zahl, einer davon ein Kind und dann noch eine Frau – die wunderbar androgyne Cate Blanchet – nehmen sich Dylans facet­ten­rei­chem, notorisch Haken schla­genden Leben an.

Ganz im Sinne von Dylans eigenen Äuße­rungen zum nicht-linearen Fluss der Zeit werden Dylans Lebens­ab­schnitte von Haynes mitein­ander vermengt, zerschossen, tanzen einen verkrüp­pelten Reigen. Dabei werden die multi­plexen Lebens­li­nien Dylans wenn auch nur selten fassbar, so zumindest doch sichtbar: die dylan-eigene, schon sehr früh einset­zende Legen­den­pro­duk­tion wird in Gestalt eines kleinen, farbigen, sympa­thisch-neuro­ti­schen Jungen einge­führt, der sich nach Dylans großem Vorbild Woody Guthrie nennt. Frühreif singt er überreife Lieder und gibt kluge Lebens­weis­heiten von sich, während er durch das konser­va­tives Amerika der späten 50iger Jahre trampt. Cate Blanchett gibt die Fort­set­zung dieser Insze­nie­rung: Sie ist das Portrait des Künstlers als junger Mann, der Mitte der 60-er Jahre versucht sein Leben und seine Musik selbst zu dekon­stru­ieren. Aber damit nicht genug: andere Stadien von Dylans Leben werden Pollock-artig hinge­spreng­selt, hinzu­ge­spach­telt und einge­tropft, ganz wie es Haynes gefällt: das Kaputt­gehen einer typischen Mittel­stand­sehe, die musi­ka­li­schen und mensch­li­chen Folgen von Dylans berühmten Motor­rad­un­fall, sein vers­tö­rendes Bekenntnis zum Chris­tentum.

Diesen Reichtum an verfah­renen Leben­si­tua­tionen garniert Haynes mit Dylans eigener Musik, mal einem Original, dann wieder mit einer Cover-Version. Im besten Fall gelingt es Haynes damit, den faszi­nie­renden Wider­spruch zwischen Leben und Werk zu verdeut­li­chen, der Dylan von seinen Anfangs­zeiten bis in die jüngste Gegenwart begleitet hat. Meist jedoch bleibt Haynes deutlich dahinter zurück. Immer wieder scheint es, als wolle er auch noch sein letztes Lieb­lings­lied unter­bringen, reicht ihm oft ein Song für eine Szene, eine Situation nicht, vergisst er die Möglich­keit des Dialogs zeitweise komplett. Dadurch wirkt I’m not there über weite Strecken wie ein über­langer Videoclip, der manchmal nett, witzig, dann und wann auch über­ra­schend surreal daher­kommt – leider aber immer wieder auch langweilt.

Wer sich mit Dylans Musik und seinem Leben – und wenn auch nur spie­le­risch – beschäf­tigt haben sollte, bei dem dürfte die Lange­weile bisweilen in Ärger umschlagen. Denn spätes­tens nach einem Drittel des Films wird die beklem­mende Ahnung zur Gewiss­heit, dass Haynes Mutmaßungen über Dylan nicht viel mehr als ein schlechtes Remake schon beste­henden Materials sind. Die Szenen mit Cate Blanchett zitieren kaska­den­artig Penne­bakers Doku­men­tar­film Don’t Look back mit einer Dylan zwar erstaun­lich ähnlichen Cate Blanchett, doch bleibt Dylan dann doch der bessere Dylan, weil Blanchett in Haynes Film nicht einmal im Ansatz die Chance gegeben wird, über Dylans eigene dekon­struk­tive Insze­nie­rung hinaus­zu­wa­chen und den Mut eines wirk­li­chen Rück­blicks, eines »do look back«'s zu wagen. Dass diese Art des Rück­blicks nichts voll­kommen Unmög­li­ches ist, hat Martin Scorsese 2005 in seiner Dylan-Doku No Direction Home bewiesen, den Haynes etwa in Form der Inter­views mit Joan Baez, ebenfalls zitiert. Aber auch hier scheint es Haynes gerade darauf anzulegen, die wirklich brisanten, ernüch­ternden Erkennt­nisse über Dylan in ein fiktiv-groteskes Palaver einzu­dampfen. Bei so viel Zitierwut darf es nicht verwun­dern, dass auch Haynes surrea­lis­ti­sche Form­sprache im Umgang mit Dylans Leben Zitat ist, und sich an Dylans eigenen, 1978 erschienen Film Renaldo and Clara anlehnt – in dem Dylan sich aller­dings nur von einem Schau­spieler, dem Musiker Ronnie Hawkins, darstellen ließ.

Zitate, Bruch­s­tücke, wahllose Fund­s­tücke und Überreste – Haynes und sein I’m Not There erinnern auf fast tragische Weise an den selbst­er­nannten Dylan-Forscher Alan Weberman, der Dylan jahrelang auf Schritt und Tritt verfolgte und auf der Suche nach Indizien zu seiner »Dyla­no­logie« am Ende sogar Dylans Mülleimer durch­stöberte.