Immer Ärger mit 40

This Is 40

USA 2012 · 134 min. · FSK: ab 12
Regie: Judd Apatow
Drehbuch:
Kamera: Phedon Papamichael
Darsteller: Paul Rudd, Leslie Mann, John Lithgow, Megan Fox, Maude Apatow u.a.
Leben und Lieben ohne Sinn und Verstand

Stückwerk Leben

Pete (Paul Rudd) und Debbie (Leslie Mann) leben mit ihren beiden Töchtern das nur allzu bekannte Abzieh­bild einer gehobenen Mittel­stand­fa­milie in L.A.; ein Bild, das sich unter leichten Stil­ab­zügen auf verwandte Mino­ritäten in London (Islington) oder München (Glocken­bach) über­tragen ließe: Pete besitzt ein kleines Musik­label, Debbie eine kleine Boutique, beide Kinder nerven mit ihren Strei­te­reien, die ältere jedoch im Beson­deren mit ihren Über­tre­tungen im Medi­en­konsum. Petes Label läuft schlecht, in Debbies Laden verschwindet Geld, die Wohl­stand­sidylle steht auf tönernen Füßen – ein bemer­kens­wertes Detail, das schon im letzten Jahr in Wander­lust thema­ti­siert worden ist und die ersten markanten Auswir­kungen der langsam aber stetig erodie­renden ameri­ka­ni­schen Mittel­klasse sein dürften.

Doch das alles sind noch Petes und Debbies kleinste Probleme – die eigent­liche Hölle sind nicht die anderen, sondern sie selbst. Ihre „Liebes­kre­dite“ sind nahezu aufge­braucht. Zwar gibt es immer noch leiden­schaft­liche Momente, doch immer wieder auch den Wunsch, dass der andere sterben möge, um den Alltags­krieg nicht mehr kämpfen zu müssen. Als innerhalb einer Woche für beide der 40. Geburtstag und damit auch ein körper­li­cher Abschied vom süßen Leben in Haus steht, verschärft sich die Krise.

Eher ein Plot für ein Drama, eine düstere Bezie­hungs­tra­gödie? Nicht, wenn er aus dem Hause Apatow kommt. Denn sowohl als ausfüh­render Produzent seiner Apatow Produc­tions (Brides­maids, Girls), Dreh­buch­autor (You Don’t Mess with the Zohan) als auch als Regisseur gibt es für Judd Apatow im Grunde nur die zahllosen Spiel­arten ameri­ka­ni­scher Komödien, mit denen er Leben und Lieben, Sinn und Verstand mensch­li­chen Daseins versucht zu erklären. Das dabei inzwi­schen fast seine ganze Familie mitwirkt – Leslie Mann ist seine Frau, die beiden Töchter im Film sind ihre echten Kinder – erweitert Apatows gesell­schaft­li­ches Anliegen um ein privates; seit Funny People ist Film für Apatow auch Werkzeug für den eigenen thera­peu­ti­schen Haus­be­darf. [1]

Mit Immer Ärger mit 40 schließt Apatow als Regisseur und Autor einen Lebens­zy­klus ab, der inzwi­schen von der Geburt bis zum Grab reicht, von dem Verlust der Jung­fräu­lich­keit (The 40 Year Old Virgin) bis zu unge­planter Schwan­ger­schaft (Knocked Up) und tödlicher Krankheit (Funny People). Auch wenn er als eine spie­le­ri­sche Fort­set­zung von Knocked Up gesehen werden kann (Pete und Debbie), ist Immer Ärger mit 40 jedoch glei­cher­maßen Synthese aller von Apatow bislang in den Fokus gestellten Lebens­phasen. Denn neben dem Alltags­kampf des Ehepaares werden in Immer Ärger mit 40 nicht nur die Kinder, sondern auch ihre Groß­el­tern vor dem Zerr­spiegel komö­di­an­ti­scher Gesell­schafts­ana­lyse platziert. Das funk­tio­niert immer wieder hervor­ra­gend; nicht nur bei den paar­in­ternen Ausein­an­der­set­zungen, die bis ins Mark gehen, sondern auch bei den gene­ra­ti­ons­über­grei­fenden Diskursen zwischen den Eltern von Pete und Debbie und ebenso in der entge­gen­ge­set­zten Zeit­schleife, etwa wenn Pete und Debbie ihre Kinder zum Cowboy- und India­ner­spiel ihrer Kindheit animieren wollen: weniger aus dem Moment einer Kritik an den selbst bereits lange einver­leibten digitalen Vorlieben als aus der Angst heraus, die alle Eltern irgend­wann einholt: dass ihre Kinder anders als sie werden könnten und ihnen damit ihre Liebe abhanden kommt.

Diese allum­fas­sende Perspek­tive hat ihren Preis. Anders etwa als die nur eine Lebens­phase beglei­tenden homogenen Produk­tionen Knocked Up und The 40 Year Old Virgin wirkt Immer Ärger mit 40 seltsam heterogen, wird der Fluss der Erzählung von eigen­ar­tigen Tempo­ver­schär­fungen- und Verschlep­pungen gebrochen; mutiert der Humor von zartem Witz zu Groteske und Kalauer, dann wieder zu drama­ti­schen und tragi­schen Elementen und zurück; ein Stückwerk scheinbar, das aber schon einen verwir­renden Moment später zu denken gibt. Denn sind nicht gerade diese Brüche exem­pla­risch für das Leben in der west­li­chen Spät­mo­derne? Und viel­leicht gerade weil Apatow es gelingt auch den mitge­lie­ferten Längen, Mühen und Grotesken dieses Lebens sowohl ein Lachen als auch ein Weinen und dann und wann auch nur bittere Gleich­gül­tig­keit abzu­ringen, möchte man kaum, dass dieser Film endet – genauso wenig wie wir wollen, dass unser eigenes Leben endet, egal wie beschissen es auch läuft.

[1] Judd Apatow im Interview mit Scott Foundas.