The Ides of March – Tage des Verrats

The Ides of March

USA 2011 · 101 min. · FSK: ab 12
Regie: George Clooney
Drehbuch: , ,
Kamera: Phedon Papamichael
Darsteller: Ryan Gosling, George Clooney, Philip Seymour Hoffman, Paul Giamatti, Evan Rachel Wood u.a.
Der Assistent des Kandidaten

Der schönste Politiker der Welt

Will man von Mephisto regiert werden? Viel­leicht lieber als von Jesus. Mephisto führt keine Kreuzzüge, watet nicht übers Wasser, sondern bleibt an Land, und weiß: »Brandige Glieder können nicht mit Laven­del­wasser geheilt werden« (Hegel). Daher muss man sagen, so schön und unter­haltsam der neue Film von und mit George Clooney – The Ides of March – auch ist, so sehr führt er doch politisch in die Irre. Nicht auf Moral kommt es in der Politik an, sondern auf Politik. Und will man wirklich darüber disku­tieren, ob Sex mit Unter­ebenen und Ehebruch per se unmo­ra­lisch sind? Offenbar. Insofern ist dies ein Beitrag zum Stand der Dinge.»You can start a war, you can bankrupt the country, you can do all possible things, but the only thing, you can’t, is fuck your interns.« – dieser Satz ist es wohl, der die ganze Absur­dität des ameri­ka­ni­schen Poli­tik­be­triebs, und nicht nur des ameri­ka­ni­schen, auf den Punkt bringt. Er fällt ziemlich gegen Ende von The Ides of March, einem brisanten Polit­thriller, der zugleich als Satire auf seinen Gegen­stand funk­tio­niert. George Clooney selbst führt hier nicht nur Regie, er spielt eine der Haupt­rollen: Mike Morris, einen Gouver­neur der Demo­kra­ti­schen Partei, der sich um die US-Präsi­dent­schaft bemüht. Ein Hoff­nungs­träger, einer, der wie Obama verspricht, dass alles ganz anders werden könnte. Ein Präsi­dent­schafts­kan­didat, wie ihn sich liberale Ameri­kaner nur wünschen können. Er steht für eine Umver­tei­lung von Einkommen und Vermögen, für militä­ri­sche Zurück­hal­tung, für Umwelt­schutz, für die Trennung von Religion und Politik. Posi­tionen, zu denen sich in den USA kaum ein demo­kra­ti­scher Amts­be­werber bekennt. In Ohio stehen Mitte März die entschei­denden Vorwahlen an. Die eigent­li­chen Haupt­fi­guren des Films sind aber Morris' Berater im Hinter­grund: Ein Hoch­leis­tungs­team, das den Wahlkampf so effizient und skru­pellos führt wie eine Truppe einen Feldzug, eine verschwo­rene, aber immer durch Inter­essen bestimmte Gemein­schaft.

Einmal, da bekommt Ryan Gosling, der in diesem Film Stephen heißt und die rechte Hand des Wahl­kampf­ma­na­gers spielt, einen Anruf. Er kommt von seinem schärfsten Konkur­renten, dem Wahl­kampf­ma­nager der Gegen­seite. Eigent­lich dürfte Stephen gar nicht mit ihm sprechen. Erst recht dürfte er nicht auf das Angebot eingehen, sich unter vier Augen zu treffen. In dem Moment, in dem er es doch tut, verharrt die Kamera etwas zu lange auf seinem Gesicht, folgt seinen Blicken durch die Glas­scheibe hindurch über den rest­li­chen Raum, auf die arbei­tenden Kollegen. Musik aus dem Off setzt ein, zum ersten Mal in dem Film, der da schon eine Vier­tel­stunde alt ist. Und jeder im Zuschau­er­saal spürt, dass dies ein ganz entschei­dender Moment, ja: der entschei­dende Moment ist in diesem Film.
Es gibt noch zwei, drei andere Momente in The Ides of March, die ähnlich intensiv, ähnlich aus der Zeit gefallen sind. Und wie er diese Inten­sität herstellt, den Mut zum Pathos hat, ohne dass der Film nun deshalb pathe­tisch oder gar kitschig würde, das ist die große Kunst des Regis­seurs George Clooney. Zugleich spielt der Regisseur mit dem ästhe­ti­schen Arsenal des Verschwö­rungs­thril­lers der 70er Jahre: gedämpfte düstere Farben, Worte, Blicke und Gesten.

Ziemlich am Anfang spielt und singt ein Barpia­nist das Lied: »We'll meet again, don’t know where, don’t know when.« Zwei Männer sitzen in der Bar, ihnen gehört später auch die vorletzte Szene des Films. Dann ist alles anders geworden. Es sind der junge PR-Berater Stephen Myers (Ryan Gosling), der wich­tigste Mitar­beiter des erfah­renen Wahl­kampf­ma­na­gers Paul Zara (Philip Seymour Hoffman). Stephen hat sich im Stahlbad des Politik-Geschäfts einen Hauch Idea­lismus bewahrt. Doch er macht Fehler. Nicht nur, dass er mit der Prak­ti­kantin Molly ins Bett geht. Viel schwerer wiegt, dass er in das heimliche Treffen mit dem Wahl­kampf­ma­nager der Konkur­renz einwil­ligt. Nun hat er Pauls Vertrauen verloren und ist erpressbar geworden. Und damit nicht genug: Irgend­wann erfährt Stephen, dass Molly auch mit dem Kandi­daten Morris etwas hatte – und ein Kind erwartet...

Immer dichter und kompli­zierter wird das Netz aus wech­sel­sei­tigen Intrigen, das Clooney spinnt. Er zeigt den demo­kra­ti­schen Poli­tik­be­trieb durch und durch desil­lu­sio­nie­rend als Welt, in der verlogene Rhetorik und mora­li­sche Korrup­tion den Ton angeben, in der jeder jederzeit stürzen kann, jede Handlung und Äußerung hoch­ge­fähr­lich ist, und in der man manchmal zynisch sein muss, wenn man seine Ideale verwirk­li­chen will. Er schildert Verfüh­rung, Mani­pu­la­tion und Verschwö­rung, die keine der Figuren unberührt lassen – wie in einem Shake­speare-Drama. »Die Iden des März«, das ist natürlich eine Anspie­lung auf die Geschichte von Julius Caesar, die auch William Shake­speare zur Tragödie fasste – des charis­ma­ti­schen Herr­schers, der als Retter der Republik begann und als Begründer der Diktatur endete. Mit dem Unter­schied, dass man bis zum Schluss nicht sicher ist, wer hier Caesar, wer Brutus und wer Marc Anton ist. Vor allem aber ist dies einer der ersten Filme, die unsere Gesell­schaft in ihrem Wesen als PR-Gesell­schaft beschreiben, als Welt, in der die PR-Berater, und das »Verkaufen« von Inhalten und Werten wichtiger geworden sind, als diese Inhalte selbst.

Im Unter­schied zu einem Film wie Mit aller Macht, der vom Clinton-Wahlkampf erzählte, ist hier der Kandidat keine Witzfigur und keine Mario­nette seiner Ehefrau. Aber er ist auch nicht frei. Er trifft seine Entschei­dungen nach den Vorgaben der PR-Consul­tants.
Nebenbei werden viele zumindest beden­kens­werte Aussagen getroffen: »Wenn man sagt: 'Umver­tei­lung des Wohl­stands', dann schreien die Reichen 'Sozia­lismus'. Darum sage ich: Ich bin gegen die Umver­tei­lung des Wohl­stands – zu den Reichen!« Oder über die Repu­bli­kaner: »They are meaner, rougher, and more disci­plined than we are.«

Darauf geht der Film dann aber nicht weiter ein. Statt die Frage zu debat­tieren, ob es eigent­lich wichtig ist, dass Politiker auch verhei­ra­tete Schür­zen­jäger und Sexisten sind, ob sie ihre Position ausnutzen, um mit Unter­ge­benen Sex zu haben, begibt sich der Film auf eine billige katho­li­sche Moral­po­si­tion, und rechnet mit Morris/Clooney moralisch ab: Statt zu zeigen, dass er weiterhin engagiert und intel­li­gent richtige Posi­tionen vertritt. Dies ist also am Ende kein poli­ti­scher, sondern ein mora­li­scher Film. Es geht um die Frage, ob man bereit ist, seine Seele zu verkaufen, damit das richtige Ergebnis heraus­kommt. Der Film zieht den falschen Schluss, dass man seine Seele nicht verkaufen darf. Diese Ansicht ist genau der Fehler zu vieler Linker.