Die Höhle des gelben Hundes

Deutschland 2005 · 93 min. · FSK: ab 0
Regie: Byambasuren Davaa
Drehbuch:
Kamera: Daniel Schönauer
Darsteller: Urjindorj Batchuluun, Buyandulam Daramdadi Batchuluun, Nansalmaa Batchuluun, Nansal Batchuluun u.a.

Eine mongo­li­sche Noma­den­fa­milie, deren Leben durch ein Tier verändert wird: Regis­seurin Byam­ba­suren Davaa hängt an diesem Motiv. Anders als ihr oscar­no­mi­nierter Doku­men­tar­film Die Geschichte vom weinenden Kamel erzählt ihr neues Werk Die Höhle des gelben Hundes aber eine fiktive Geschichte.

Der Film handelt von dem kleinen Mädchen Nansal, das einen Vier­beiner aufsam­melt, ins Herz schließt und gegen den Willen ihres Vaters behalten will. Am Ende spielt der kleine Hund »Zochor« eine wichtige Rolle für das Fort­be­stehen der fünf­köp­figen Familie.

Es ist keine große Geschichte, die hier mit leisem Humor erzählt wird: Sie handelt vom Alltag einer Noma­den­fa­milie, die von der Schaf­zucht lebt, ihre Tradi­tionen pflegt und zum Schluss weiter­zieht in eine ungewisse Zukunft. Es geht aber auch um den Wandel und die Spannung zwischen der tradi­tio­nellen und einer moder­neren Lebens­weise: Nansal ist nur in den Ferien bei ihrer Familie und besucht sonst die Schule in der Stadt, und der Vater besitzt ein Motorrad. Trotzdem wirkt der Jeep, der den Weg der Nomaden kreuzt und über Laut­spre­cher Wahl­wer­bung macht, wie ein Fremd­körper in einer beinah archai­schen Welt.

Davaa bedient sich auch bei der Die Höhle des gelben Hundes vieler Mittel aus dem Doku­men­tar­film: So gibt es fast stilleben-artige Bilder der kargen Land­schaft und werden die alltäg­li­chen Arbeiten wie das Feuer­ma­chen aus Dung minutiös einge­fangen. Kame­ra­mann Daniel Schönauer gelingen wunder­bare Aufnahmen, wie zum Beispiel das Spiel von Licht und Schatten innerhalb eines Zeltes, oder die wech­selnden Perspek­tiven beim Blick auf die Natur. Die Kamera verharrt lange auf den Gesich­tern, fährt ganz nahe an sie heran und studiert sie förmlich. Dass die Schau­spieler so authen­tisch wirken liegt daran, dass sie nicht in einer fremden Welt agieren sie spielen sich selbst.

Die Höhle des gelben Hundes ist ein poeti­scher Film, der ohne Sozi­al­ro­mantik und Kitsch auskommt. Welt­be­we­gend ist er nicht. Gerade das macht ihn so rührend.

Heidi in der Mongolei

Mit der Nase im Schafs­dung: Die Höhle des gelben Hundes, der Ethno­bonus und die Sehnsucht nach dem Ursprüng­li­chen

»Kinder und Hunde sind zu vermeiden.« – W.C. Fields wusste wovon er sprach, als er seine Grund­sätze für gute Kinofilme aufstellte. Und auch, wenn jedem jetzt gleich ein paar Filme einfallen, die trotz Kindern und Hunden zum Erfolg wurden, Lassie zum Beispiel, oder zuletzt Byam­ba­suren Davaa mit ihrer oscar­no­mi­nierten Semidoku Die Geschichte vom weinenden Kamel, darf man mit guten Gründen fragen, ob Davaas Erstling, oder jetzt ihr neuer Film Die Höhle des gelben Hundes Fields' Grund­sätze nicht prächtig bestä­tigen.

Das sieben­jäh­rige Mongo­len­mäd­chen Nansal lebt mit Eltern und zwei Geschwis­tern ein tradi­tio­nelles Noma­den­leben in der nörd­li­chen Mongolei. Der Alltag ist hart, aber nicht unidyl­lisch, denn für die Menschen ist genug Schafs­käse und für die Tiere genug Gras vorhanden, und für viele Entbeh­rungen entschä­digt eine prächtige Natur. Nur manchmal kommen nachts die Wölfe und reißen ein Schaf Als Nansal eines Tages in der Steppe Schafs­dung sammelt, läuft ihr ein kleiner, schwarz-weiß gefleckter, herren­loser Hund zu. Sie nennt ihn »Zochor« und er wird ihr liebster Gefährte. Eine alte Nomadin erzählt Nansal außerdem, dass Hunde als Menschen wieder­ge­boren werden. Süß – oder?

Nein, ganz harmo­nisch bleibt die Handlung nicht. Denn die Wölfe werden zur Bedrohung des Noma­den­le­bens, und irgendwo hinter den sieben Bergen haust auch die böse Moderne, die auf ihre Weise dafür sorgt, dass es mit dem tradi­tio­nellen Leben irgendwie zuende geht. Außerdem ist Nansals Vater gegen den Hund, er hat Angst, dass dieser mit seinem Gekläff die Wölfe anlocken könnte.

Doch die wahre, womöglich buddhis­ti­sche, Harmonie liegt weniger in dem, was hier gezeigt wird, als wie es geschieht. Wie schon in Die Geschichte vom weinenden Kamel soll den Zuschauern, wenn es nach der Regis­seurin geht, nicht einfach etwas gezeigt werden, mit dem sie dann anfangen können, was sie möchten. Vielmehr soll man vor allem »empfinden«, »sich einfühlen«, Beschei­den­heit lernen, und das die einfachen Dinge am Ende die wich­ti­geren sind.

So wie die Menschen hier das Leben als Kreislauf begreifen, betreibt Davaa auch das Filme­ma­chen als Kreislauf, und knüpft nicht nur nahtlos an ihren Erstling an, sondern erzählt auch immer das Gleiche ein wenig anders. In der Praxis führt das dann dazu, dass man den verschie­denen Verrich­tungen und überhaupt dem Leben der Menschen hier ziemlich lang und oft noch ein wenig länger zuguckt. Natürlich ist es erstmal das Problem jedes einzelnen, ob er dazu Lust hat, und die nötige Geduld aufbringt. Aber es gab schon Fälle, da fiel es einem leichter, diese Geduld aufzu­bringen, weil man spürte, dass hier Neugier im Zentrum stand, die Filme­ma­cher nicht schon vorher wussten, was sie sagen wollten, und man als Zuschauer nicht das Gefühl hatte, dass man hier mit der Nase in den, nun ja, Schafs­dung gedrückt werden soll.

So kann man sich den Vorwurf nicht ersparen, dass Die Höhle des gelben Hundes mit der Einfach­heit seiner Geschichte koket­tiert, mit der Ursprüng­lich­keit des Gezeigten und ein wenig auch damit, dass die Regis­seurin ja schließ­lich 1971 in Ulan Bator geboren wurde, und selbst aus einer Noma­den­fa­milie stammt. Was soll man da noch sagen?

Wenn das alles nun im Baye­ri­schen Wald spielen würde, würde sich das Publikum trotzdem mehr­heit­lich über den Heidi-Aufguß mokieren, und über Retro-Heimat­film-Schmon­zetten lästern. Aber Buddha sei Dank spielt der Film in der Mongolei und hat darum einen fetten Ethno­bonus. Ethno­bonus – das bedeutet, etwas plötzlich gut zu finden, was man sonst nicht gut finden würde, oder was man sich nicht trauen würde, gut zu finden, nur weil es aus fremden Ländern und Kulturen stammt. Wer weiß schon, wie hier­zu­lande eine Schä­fers­fa­milie lebt, ein Bauern­mäd­chen und ein herren­loser Hund? Und wer würde sich darüber eine Kinodo­ku­men­ta­tion angucken? Doch im Weinenden Kamel begeis­terten sich 300.000 deutsche Zuschauer, die zuhause nie auf ihren Fernseher verzichten würden, und den Hersteller verklagen, wenn der Kühl­schrank seinen Geist aufgibt, am einfachen Leben bitter­armer Mongolen. Auch diesmal kann man darin eintau­chen, und sein Behagen mit so genannten östlichen Weis­heiten wie »Jeder stirbt, aber niemand ist tot« oder »Mit Gott spielt man nicht« orna­men­tieren.

Doch wenn alle Einsichten selbst­ver­s­tänd­lich tief sind, jede Selbst­ver­ges­sen­heit wunderbar, die Schönheit natürlich und das Verhältnis zur Natur respekt­voll, dann werden vor allem die esote­ri­schen Sehn­süchte, die Sozi­al­ro­mantik und der latente Kultur­pes­si­mismus eines west­li­chen Publikums bedient, das lieber a la Rousseau vom »Zurück zur Natur« schwärmt, als sich den Krisen vor der eigenen Haustür zu stellen. So gesehen ist Die Höhle des gelben Hundes wie schon sein Vorgänger vor allem als Kultur­phä­nomen bemer­kens­wert.

Um nicht miss­ver­standen zu werden: Davaa ist eine clevere Erzäh­lerin, der Film »funk­tio­niert«, er ist charmant und gut gemacht, er ist stel­len­weise überaus rührend und seine Laien­dar­steller, allen voran die Darstel­lerin der kleinen Navaa sind bezau­bernd. Überdies lassen sich manche Bilder gegen den Strich lesen, ist Davaa persön­lich weitaus realis­ti­scher, als ihre Filme wirken, und erzählt in Inter­views, dass sie junge Mongolen sich nach nichts mehr sehen, als west­li­chen Lebens­ver­hält­nissen, dass nur Westler um die kultu­relle Identität der Mongolen fürchten. Aber ihr neuer Film bedient trotzdem wieder primär den Exotismus, die Zivi­li­sa­ti­ons­mü­dig­keit und die Sehnsucht nach folk­lo­ris­ti­schen Märchen­stunden. Wenn sie dann auch ihre nächsten Werke Die Ballade vom roten Dchaf und Der Fluss der fröh­li­chen Feldmaus fertig gestellt hat, dreht sie viel­leicht einfach mal: Die Legende vom ursprüng­li­chen Leben.