Niederlande 2015 · 92 min. · FSK: ab 6 Regie: Pieter van Huystee Drehbuch: Pieter van Huystee Kamera: Giovanni Andreotta, David de Jongh, Hans Fels, Gregor Meerman, Rogier Timmermans, Erik van Empel Schnitt: David de Jongh, Michiel Rummens, Chris van Oers, Tim Wijbenga |
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Das Mysterium bleibt intakt |
In seinem berühmten Aufsatz »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« (1935-1939) weist der deutsche Philosoph und Kulturkritiker Walter Benjamin darauf hin, dass die Kunst mit dem Aufkommen der neuen Massenmedien Fotografie und Film zwar eine viel weitere Verbreitung finde, hierbei jedoch auch etwas ganz Entscheidendes verliere: ihre Aura.
Wie groß das Bedürfnis danach ist, selbst auf vollkommen digitalen Wege erzeugte Kunstwerke in einer konkret greifbaren Form – und dabei am liebsten auch noch als „Original“ – zu besitzen, zeigt sich beispielsweise an dem Verkauf von Filmen in der Form von immer aufwendiger gestalteten Mediabooks. Diese versuchen in Zeiten immer umfangreicherer Streamingdienste zum einen durch ein inhaltliches Plus in der Gestalt von möglichst umfangreichem Bonusmaterial einen konkreten Kaufanreiz zu schaffen.
Sie tun dies jedoch ebenfalls dadurch, dass sie das Mediabook durch eine möglichst aufwendige Gestaltung zu einem fetischistischen Wunschobjekt erheben, dessen Bedeutung für den Käufer weit über die eines schnöden Medienträgers hinausgehen soll. Da werden DVDs und Blu-rays in mit erhabenen Schriftzügen und Bildern versehene Aluminiumbehältnisse verpackt oder die Hülle wird mit einem aufwendig gestalteten Hologramm versehen. Wenn solch ein Mediabook auch noch in einer streng limitierten Auflage daherkommt, verbindet sich mit dessen Besitz zudem das gute Gefühl ein echtes „Original“ in seinem heimischen Regal stehen zu haben.
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Früher war all dies vermeintlich wesentlich einfacher: Wer ein auf Leinwand gemaltes und auf Keilrahmen aufgezogenes Ölgemälde sein Eigen nennen kann, der besitzt ein Kunstwerk, das man nicht nur sehen, sondern ebenfalls ertasten und sogar riechen kann. Wenn es dann noch in der rechten unteren Ecke eine Signatur des Künstlers besitzt, handelt es sich zudem um ein richtiges Original.
Ein großer Teil der Dokumentation Hieronymus Bosch – Schöpfer der Teufel dreht sich darum, dass die Frage nach dem Original bei den Werken des niederländischen Künstlers (1450-1516) alles andere als einfach zu beantworten ist. Denn wie damals in den holländischen Künstlerwerkstätten üblich, beschäftigte der Meister eine Reihe von Assistenten, die alle kräftig an seinen Werken mitmalten. Da war es keine Seltenheit, dass bis zu vier Personen gleichzeitig an einem Gemälde arbeiteten. Selbst ausgewiesenen Experten ist es deshalb fast unmöglich zu sagen, welche von all diesen fleißigen Händen von Bosch selbst geführt wurde. Somit ist die Frage nach dem Original ein ideales Thema für angeregte Diskussionen unter Kunsthistorikern.
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Aus solchen Diskussionen besteht ein großer Teil der Dokumentation von Pieter van Huystee. Diese zeigt die umfangreichen Vorarbeiten zu einer großen Bosch-Ausstellung, die 2016 anlässlich des 500. Todestags des Künstlers in dessen niederländischer Heimatstadt stattfindet. Dieses Unterfangen stellt eine große Herausforderung dar, da das Noordbrabants Museum in ‘s-Hertogenbosch selbst keine eigenen Werke des berühmten Sohns der Stadt besitzt. Fast alle Bilder von Hieronymus Bosch befinden sich zudem heute außerhalb der Niederlande, wobei die meisten im Prado in Madrid zu sehen sind.
Hieraus ergibt sich die zweite große Schwierigkeit für die geplante Bosch-Ausstellung: Für die Leiter des Prado ist der von den Spaniern als „El Bosco“ adoptierte Künstler fast ein Landmann, den sie im Zweifelsfall wesentlich besser, als die holländischen Kunsthistoriker verstehen. So treffen jene in Madrid auf eine geballte Mauer aus Arroganz, die des fraglich erscheinen lässt, welche Werke tatsächlich in Boschs Heimat gezeigt werden können.
Nicht viel besser ergeht es den Holländern in Venedig, wo ebenfalls viele Bosch-Gemälde hängen. Immerhin zeigen sich die Italiener wesentlich pragmatischer: Sie erlauben den Niederländern unter der Bedingung ihre wertvollen Bosch-Werke auszuleihen, wenn sie jene auf eigene Kosten restaurieren ...
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Und wo bleibt bei all diesen Expertenstreiten um die Echtheit der Bosch-Gemälde und all dem Kompetenzgerangel unter den verschiedenen Ausstellungsmachern eine tiefere Erhellung von Hieronymus Bosch als dem Schöpfer der Teufel?
Diese findet kaum statt. Denn obwohl Boschs äußeres Leben, bis in die jährliche Höhe seiner Steuerzahlungen hinein, gut dokumentiert ist, wissen wir fast nichts über die innere Welt des Künstlers und über die Quellen seiner Inspiration. So macht sich in Hieronymus Bosch – Schöpfer der Teufel immer dann eine große allgemeine Ratlosigkeit breit, wenn es um die Ursprünge von Boschs einzigartigen Kreationen geht.
Bis heute bleibt es unergründlich, woher der Künstler die Ideen zu seinen von fantastischen Fabel- und Höllenwesen bevölkerten surrealen Welten genommen hat. Das Einzige, was sich mit Sicherheit sagen lässt, ist, dass Bosch die christliche Gedankenwelt seiner Zeit aufnimmt. So illustrieren viele seiner Gemälde den Menschen am Scheideweg zwischen Himmel und dem Fegefeuer der Hölle.
Positiv formuliert lässt sich somit sagen, dass das Mysterium um den genialen mittelalterlichen holländischen Künstler auch nach der Sichtung von Hieronymus Bosch – Schöpfer der Teufel weitestgehend intakt bleibt.