Hautnah

Closer

USA 2004 · 104 min. · FSK: ab 12
Regie: Mike Nichols
Drehbuch:
Kamera: Stephen Goldblatt
Darsteller: Natalie Portman, Jude Law, Julia Roberts, Clive Owen u.a.
Strangers in the Nightclub: Natalie Portman und Clive Owen

Sex in der Ellipse

Goethe nahm einst den chemi­schen Begriff der Wahl­ver­wandt­schaften, um damit die schick­sals­hafte Verschie­bung von mensch­li­chen Bezie­hungen zu beschreiben. Die Vierer­kon­stel­la­tion zwischen dem Paar Eduard und Charlotte, sowie Ottilie und dem Hauptmann führt zum großen tragi­schen Konflikt, weil Eduard sich zu Ottilie hinge­zogen fühlt und die nur einen Ausweg sieht. Ein derart roman­ti­scher Liebestod findet man im aktuellen Groß­stadt­film eher selten, aber wie sehr die chan­gie­rende Gefühls­lage zwischen zwei Männern und zwei Frauen auch für das moderne Geschich­ten­er­zählen inter­es­sant sein kann, das zeigt nun im Kino Mike Nichols mit seinem präzisen Closer.

Es ist mehr als ein Zufall: In der von zeit­lu­pen­haften Körpern bevöl­kerten Straßen­welt Londons treffen sich zuerst die Blicke des erfolg­losen Schrift­stel­lers Dan (Jude Law) und der New Yorker Strip­perin Alice (Natalie Portman), die in London neue Wege bestreiten will. Ein Unfall bringt beide schließ­lich zusammen, eine schöne Romanze zwischen dem smarten Verfasser von Nachrufen und der quirligen Kleinen bahnt sich an. Schnitt.
Im Atelier von Anna (Julia Roberts) lässt sich Dan für die baldige Veröf­fent­li­chung seines Romans foto­gra­fieren. Er flirtet mit der selbst­be­wussten Künst­lerin, beide plaudern inter­es­siert über ihr Liebes­leben. Ein Kuss. Dann steht Alice in der Tür, um Dan abzuholen. Allein mit Anna erkennt sie bald die Situation. Mit einer Träne an der Wange ist Alice für Anna und deren Foto­kol­lek­tion von nach­denk­li­chen Menschen das optimale Motiv. Schnitt.

Es sind die Leer­stellen, die in Closer vom Glück der täglichen Liebe sprechen, was etwa Dan und Alice in der Zwischen­zeit erlebt haben. Im Bild sind immer nur Anfang und Ende einer Beziehung, Hoffnung und Verzweif­lung, auch als der Vierte ins Spiel kommt: der Arzt Larry (Clive Owen). Bei einem porno­gra­phi­schen Internet-Chat wird er vom amüsierten Dan in ein Blind-Date mit Anna geschickt. Auch hier beginnt aus dem Nichts eine Liebes­ge­schichte, zwischen dem forschen, männ­li­chen Dan und der nun zurück­hal­tenden Anna.

Closer ist ursprüng­lich das Thea­ter­stück des Londoner Autors Patrick Marber. Ein sehr erfolg­rei­ches modernes Well Made Play, 1997 urauf­ge­führt, das in wenigen Szenen die Höhen und Tiefen der Liebe auslotet, das aber im Gegensatz zu Kollegen wie Neil LaBute (In the company of men, Tag der Gnade) weniger auf Zynismus baut, sich statt­dessen ernsthaft den beiden Polen einer Beziehung widmet. Also der herr­lichsten Romantik und der bösesten Enttäu­schung, was Marber nun auch in seiner Dreh­buch­fas­sung scharf heraus­ar­beitet. Denn Dan und Anna beginnen zwangs­läufig eine Affäre. In einer Szene schmerz­hafter Ehrlich­keit verlässt Dan daraufhin Alice, die dadurch wieder zurück in ein Strip-Lokal kommt. Dort taucht irgend­wann der herun­ter­ge­kom­mene Larry auf, erkennt in der aufrei­zenden Tänzerin die Ex seines Konkur­renten – ein erotisch trieb­haftes Spiel zwischen Lust und Rache, Verlangen und Trost­lo­sig­keit entfacht. Der Kreis schließt sich, um später wieder neu aufzu­bre­chen und sich in alte Wunden hinein zu winden.

In Die Reife­prü­fung (The Graduate) hatte Mike Nichols 1967 den Liebes­reigen um Benjamin und seine Ms. und Mrs. Robinson als tempo­reiche Gesell­schafts­sa­tire verfilmt, dafür den Oscar als bester Regisseur bekommen. Auch für seinen neuen Film über die Liebe trauen es ihm nun viele zu. Denn meis­ter­lich versteht es Nichols, Closer dort als Theater zu belassen, wo die Qualitäten eines Bühnen­s­tücks am eindring­lichsten sind, etwa wenn er die spitzen Dialoge ganz seinen großar­tigen Schau­spieler anver­traut, und sich nur behutsam mit der Kamera an sie heran tastet. Wenn Jude Law gegenüber der netten Natalie Portman als lustiger Geschich­ten­er­zähler von nebenan erscheint, Law dann bei Julia Roberts plötzlich zum hemmungs­losen Roman­tiker wird, der von der Ziel­stre­big­keit der Roberts nicht lassen kann. Wenn Roberts dann bei Clive Owen die starke Schulter sucht und Portman im Stripclub als unge­heu­er­lich verfüh­re­ri­scher Vamp auftritt, dann wird hier, in der ständigen Verän­de­rung, der eine Charakter, und damit auch die eine, große Liebe völlig in Frage gestellt. Zuneigung führt zu Abhän­gig­keit und zum Besitz­denken, was in Closer in erster Linie sexuell gemeint ist. Sich auf die großen Ellipsen der Geschichte einlas­send, richtet Nichols nur in den Momenten des Umbruchs den Blick auf die Vier. Liebe wird nur in den Köpfen gemacht. So erklärt Anna einmal dem vor Eifer­sucht rasenden Larry, das Sperma von Dan schmecke besser als sein eigenes. Hinter den harten Eifer­suchts­dia­logen muss der Zuschauer sich das Drama selbst vervoll­s­tän­digen.

Natürlich setzt Nichols ebenso bewusst auf die Macht des Kinos. So wie Anna in den Bildern ihrer Ausstel­lung Menschen in einsamen Momenten zeigt, so geht auch die Film­ka­mera in größter Nahauf­nahme an die mal hoff­nungs­frohen, mal enttäuschten Augen heran, oder sieht dann wieder von Ferne zu, immer jedoch mit großem Interesse. Vor allem die Musik gibt mit ihrem sparsamen Einsatz Closer erst die eigent­liche Kontur. In der Zeit­lu­pen­szene vom Beginn treffen sich die Blicke von Dan und Alice zum ersten Mal, dazu hört man zum schwel­ge­ri­schen Cello die brüchige Stimme des Lieder­ma­chers Damien Rice, die sich sanft über­schlägt: »Can’t take my eyes of you«. Wenn sich am Filmende dann der Anfang spiegelt, und die Musik eine sehn­suchts­voll versöhn­liche Klammer um die Geschichte legt, wird klar, wie sehr Closer auch ein Film über das Sehen ist.