USA/D 2012 · 87 min. · FSK: ab 18 Regie: Tommy Wirkola Drehbuch: Tommy Wirkola, D.W. Harper Kamera: Michael Bonvillain Darsteller: Jeremy Renner, Gemma Arterton, Famke Janssen, Pihla Viitala, Derek Mears u.a. |
Seit 200 Jahren können Kinder die gesammelten Märchen der Gebrüder Grimm selbst lesen oder sich vorlesen lassen. Für kleinere Kinder geht das nicht immer ohne Schrecken ab. In Kindertheatern sind nach einer Grimms-Märchen-Aufführung nicht selten die Sitze naß. Kinder, die sich von bösen Märchenfiguren wie Wolf und Hexe haben verängstigen lassen, machten sich in die Hosen.
Höchste Zeit, zurückzuschlagen!
Der neue Film Hänsel und Gretel von Tommy Wirkola lässt die beiden erwachsen gewordenen Geschwister zur Waffe greifen und auf Hexenjagd gehen. Das tut der Film innerhalb eines sehr eigenen Wertesystems: Süßigkeiten sind schlecht. Waffen sind gut.
Der Film zeigt das, was die National Rifle Association im Dezember 2012 gemeint haben könnte. Die US-amerikanische Waffenverteidigungsorganisation NRA hatte behauptet, dass der Amoklauf von Newtown nur deshalb so stattfinden konnte, weil zu wenige Waffen zur Verfügung gestanden hätten. Hätten die Kinder der Sandy Hook Elementary School in Newtown, Connecticut das Waffendepot von Hänsel und Gretel zur Verfügung gehabt, wäre der Amoklauf anders ausgegangen. Die Kinder hätten zurückschiessen können. Und Barack Obama hätte es jetzt noch schwerer.
Waffen sind also gut und nützlich. Süßigkeiten hingegen sind böse und machen krank. Wie auch im Märchen der Gebrüder Grimm wird der Film-Hänsel gemästet, um irgendwann der Hexe munden. Dabei musste er so viele Süßigkeiten verschlingen, dass er zuckerkrank wurde. Immer wieder muss er sich als nun Erwachsener eine riesige Insulin-Spritze setzen.
Mit einem schnoddrigen »Happy F*&@ing Birthday« auf dem Filmplakat wird den Märchen der Grimms zum 200. Geburtstag gratuliert. Weil ein deutsches Märchen in deutscher Umgebung so schön authentisch wirkt, wurde der Geburtstagsfilm unter anderem in Braunschweig, Bamberg und im Studio Babelsberg gedreht. Und es durften auch einige deutsche SchauspielerInnen mitmachen. Der sonst eher in anspruchsvollen Filmen spielende Rainer Bock mimt den freundlichen Bürgermeister. Thomas Scharff, der in der TV-Serie »Die Kommissarin« Hannelore Elsner als Berufs-Junger-Mann zur Seite stand, spielt den Vater der beiden Kinder.
Das Hauptpersonal wurde aus einem internationalen Pool rekrutiert, mit sehr biologischen Begleiterscheinungen. Als die Kinder Hänsel und Gretel zu Beginn des Märchens vom eigenen Vater im dunklen Wald sitzen gelassen werden, sind sie ungefähre neun und zehn Jahre alt. Als Gemma Arterton (Gretel) und Jeremy Renner (Hänsel) als hochprofessionelle und radikale HexenjägerInnen unterwegs sind, beträgt der Altersunterschied erstaunliche und sichtbare 15 Jahre. Jeremy Renner ist für die Rolle eines wild um sich schlagenden Teenagers einfach zu alt. Gemma Arterton als in schwarzes Leder gebundenes Randale-Girlie ist gerade noch vertretbar.
Die zuckerfeindliche Geschichte schleudert so dahin, aber die Kostüme und Masken sind wirklich sehr kreativ und schön anzusehen. Punkige – also bitterböse – Junghexen müssen sich mit guten, pastellfarbenen Hexen aus dem Bio-Milieu prügeln.
Die Waffen für den letzten Kampf von Hänsel & Gretel mit den bösen Hexen werden sogar gesegnet werden. Von einer guten Hexe.
Eine letzte Frage:
Warum werden eigentlich nur brave und freundliche Kinder von den bösen Hexen entführt, um gefressen zu werden. Schmecken böse Kinder nicht?
Und das Fazit:
Hänsel und Gretel ist eine Teenie-Randale-Klamotte mit einem wichtigen Aufruf an alle verratenen und gequälten Kinder dieser Welt: Wehrt Euch! Und geht regelmäßig zum Zahnarzt!