Halbe Treppe

Deutschland 2001 · 111 min. · FSK: ab 12
Regie: Andreas Dresen
Kamera: Michael Hammon
Darsteller: Steffi Kühnert, Gabriela Maria Schmeide, Thorsten Merten, Axel Prahl u.a.

Im Wartesaal des Glücks

Die Sehnsucht ist einge­schlossen. Nur in dem kleinen schmalen Plas­tik­rahmen ihrer Urlaubs­dias finden die Träume dieser zwei Familien Platz. Beim gemein­samen Diaabend aber überwiegt bereits die Trübnis, und man muss schon mehr als nur ein Bier trinken, um ein bisschen Spaß zu haben. Doch auch dann ist die Stimmung immer nahe dran, umzu­kippen.

Grau sind die Gedanken, grau die Gesichter, grau der Himmel – Alltag in Frankfurt/Oder, wo Warschau fast so nahe liegt, wie Berlin. Aber die Tristesse dieses Lebens ist nicht die einer spezi­ellen »Nachwende«-Situation im deutschen Osten, oder die der neuen Krise der ganzen Republik, ein Kater nach der Party der New Economy. Denn diese ist hier, dazu genügt ein Blick, überhaupt nie ange­kommen. Man begegnet kleinen Leuten in kleinen Wohnungen inmitten immer­glei­cher Plat­ten­blocks einer Traban­ten­stadt. Für ein bisschen Farbe sorgt allen­falls ein quietsch­gelber Motor­roller, oder Hans-Peter, der Kana­ri­en­vogel von Uwe und Ellen. Als der eines lausigen Morgens verschwunden ist, wirkt dies als Katharsis: Der routi­nierte Streit, der folgt, läßt jeden merken, dass man in dieser müden Durch­schnitt­sehe nicht mehr viel vonein­ander erwartet.

Eine frus­trierte Parfüm­ver­käu­ferin, eine gelang­weilte Spedi­ti­ons­an­ge­stellte, ein chole­ri­scher Würst­chen­bu­den­be­sitzer und der halb­sei­dene Moderator einer depri­mie­rend gutge­launten Radio­sen­dung – Andreas Dresens neuer Film Halbe Treppe zeigt geronnene Sehn­süchte und Lebens­welten, die im deutschen Kino nicht alltäg­lich sind. Es liegt nahe, diese Menschen gegen die schicke Yuppie­welt der Bezie­hungs­komö­dien auszu­spielen, die neuer­dings – in Doris Dörries Nackt und Dani Levys Väter – fröhlich Wieder­auf­er­ste­hung feiert. Dresens Film läßt anderes und vor allem mehr vom Leben in diesem Land erkennen, als alle kunter­bunten Appar­te­ments und gläsernen Bürolofts zusammen. Weil es in seiner Norma­lität und Bieder­keit, vermischt mit der Ödnis des kalten grauen Winters, aber schon wieder etwas Pitto­reskes hat, bildet dieses Panorama aus dem alltäg­li­chen Mief eines deutschen Klein­bür­ger­da­seins jederzeit ein dankbares Filmsujet. Zumal der Witz, den der Regisseur und seine Mitar­beiter in die spontan entwi­ckelten Dialoge einge­woben haben, gut genug ist für viele Lacher, die Charak­tere dabei aber doch kaum preisgibt, liebevoll bleibt und den Sinn schärft für die Würde, die auch in ihrem Dasein liegt, obwohl mit ihm wohl kaum jemand tauschen möchte. Man hat Mitgefühl mit den Figuren in ihrer Depres­sion, und ihrer sprach­losen Sehnsucht nach mehr.

Kurz nachdem Hans-Peter verschwunden ist, beginnt Ellen eine Affaire mit Chris, dem Radiomann, der »mit der Dauer-Power vom Power-Tower« die tägliche Morgen­sen­dung der Region moderiert. Man trifft sich im miefigen Hotel, unter der Auto­bahn­brücke, das Äußerste an Exzeß ist ein gemein­sames Schaumbad – bei dem sie prompt von Chris' Frau Kathrin ertappt werden. Auch dies alles zeigt eher die Grenzen des Ausbruchs, als seine Möglich­keit, unter­mauert die Trägheit der Figuren in all ihrer Unruhe und Trau­rig­keit. Am ehesten spürt man noch bei Uwe, dem Imbiss­bu­den­be­sitzer so etwas wie eine Revolte gegen die engen Bahnen, in denen sein Leben verläuft. Er rackert und kämpft, und auch wenn der Horizont so eng ist, wie seine neue Einbauküche, ist doch zu spüren, dass hier einer noch nicht an der Endsta­tion angelangt ist.

Alles in allem ist Halbe Treppe eine Erzählung vom Fehl­schlagen der Ausbrüche. Von einem Leben, das seinen Trott nicht verlassen kann, in dem alles einfach weiter läuft, auch wo es drama­tisch werden könnte. Doch von Drama ist nichts zu spüren und je länger es dauert, um so mehr vermisst man die Abgründe hinter der Banalität. Viel­leicht ist der schlimmste Abgrund ja sein Fehlen? Aber sichtbar sind hier nur kleine Dellen, und auch über die hüpft der Film im Zweifel mit einem schnellen Scherz. So schwankt er zwischen der Suche nach Nähe, nach Authen­ti­zität, nach »Dran­bleiben« und dem Bruch mit dem Schein der Unmit­tel­bar­keit durch die stilis­ti­sche Distan­zie­rung in Form von inter­viewar­tigen Exkursen. Von der Wirk­lich­keit lässt sich nur anhand konkreter Menschen erzählen, heißt das, aber die Ordnung der Dinge muss ein Stück weit der Zuschauer vornehmen.

Auch darin, in seiner Verhal­ten­heit, dem Stehen­bleiben auf halbem Weg, und im Zweifel der Ausflucht ins Komische, ist Halbe Treppe viel­leicht nur allzu typisch für die geistige Situation einer Zeit, die den Abgesang hinter sich hat, und für einen Aufbruch zu müde ist, weil die Zeit­ge­nossen selbst nicht an seine Möglich­keit glauben können. Dresens Ungenügen am Status Quo ist spürbar, ebenso sein Versuch, dem Privaten sein Poli­ti­sches abzu­ringen.
Politisch ist diese Perspek­tive, da sie nicht psycho­lo­gi­siert, nicht Menschen zeigt, sondern Verhält­nisse, aber sie greift zu kurz, weil die Welt außerhalb der privaten Enge zwar vorkommt, aber doch nur kurz und illus­trativ aufblitzt, fast wie ein Alibi. Dies trennt Halbe Treppe dann doch vom Realismus briti­scher Sozi­al­komö­dien, mit denen man ihn, als er wohl­ver­dient bei der Berlinale im Februar einen Silbernen Bären erhielt, voreilig vergli­chen hat.

Hand­werk­lich betrachtet, ist Dresens warm­her­ziger Film aber eine spannende Leistung. Dies nicht etwa wegen der inzwi­schen üblichen Verwen­dung der Hand­ka­mera, mit der der Filme­ma­cher Bilder erzeugt, die wieder weit weg von der ange­spannten Ruhe liegen, die man zuletzt in André Téchinés Loin bewun­derte, wieder näher am spontanen »Dogma«-Touch. Die Hektik und Indif­fe­renz, die gewisse Verwahr­lo­sung der Bilder durch die Verwen­dung der Hand­ka­mera, und durch das verschwom­mene, ungenaue Licht, das auch Halbe Treppe über weite Strecken prägt, muss man nicht mögen. Aber sie erfüllt hier jeden­falls perfekt ihren Zweck, indem sie mit der emotio­nalen Verwahr­lo­sung der Verhält­nisse und der Tristesse des Alltags der vier Haupt­fi­guren korre­spon­diert. Nicht weniger wichtig ist, dass Dresen mit extrem kleinen Team und ganz ohne Drehbuch arbeitete, mit vergleichs­weise wenig Geld und in kurzer Drehzeit, seinen Film mehr impro­vi­siert, als konzi­piert.
Man muss das Ergebnis ernst nehmen, sollte es nicht unter­schätzen, indem man nur das Rührende, Niedliche in ihm sehen will. Es handelt sich um den Versuch, heute wieder so etwas wie Auto­ren­kino auf die Beine zu stellen. Und zwar zeitgemäß, nicht trotzig ignorant. Dieser Versuch ist nicht nur aller Ehren wert, er ist geglückt.