Happiness

USA 1998 · 134 min. · FSK: ab 16
Regie: Todd Solondz
Drehbuch:
Kamera: Maryse Alberti
Darsteller: Jane Adams, Jon Lovitz, Philip Hoffmann, Lara Flynn Boyle u.a.

This is not America

Todd Solondz' Blick in die Abgründe der ameri­ka­ni­schen Gesell­schaft

Regisseur und Autor Todd Solondz sieht aus wie der Junge, der in der Schule jeden Tag gehänselt und verspottet wurde: Ein Geek, lächer­lich, schwach und bemit­lei­dens­wert. Wahr­schein­lich besteht das Universum seiner Filme deshalb fast ausschließ­lich aus Verlie­rer­typen. War sein letzter Film Welcome to the Dollhouse (falsche deutsche Titel-über­set­zung: Will­kommen im Tollhaus) noch ein relativ versöhn­li­ches und opti­mis­ti­sches Porträt der Probleme eines häßlichen 11 jährigen Mädchens, so ist in Happiness alles eine Stufe düsterer angelegt.

In bester Short Cuts-Manier beschreibt Solondz in intel­li­gent mitein­ander verwo­benen Episoden die Probleme dreier Schwes­tern in New Jersey. Im Unter­schied zum Vorgän­ger­film handelt es sich aller­dings um Erwach­sene, die zudem allesamt gestört oder neuro­tisch sind. Dem Zuschauer wird schnell klar, daß eine Verän­de­rung zum guten Vorzeige-Ameri­kaner außer Frage steht kein Happy-End in Sicht. Trotzdem – und das ist das große Verdienst dieses Films bleiben die Personen stets liebens­wert und erwecken das Mitgefühl des Zuschauers. Geschickt legt Solondz das Innere seiner Charak­tere bloß, indem er sie in den pein­lichsten und persön­lichsten Momenten zeigt: Beim Onanieren, beim Psych­iater, bei der Sexu­al­auf­klä­rung der Kinder, oder beim Beichten von Gewalt­ver­bre­chen. Amerika, wie es sonst selten im Film zu sehen ist: Solondz konzen­triert sich fast ausschließ­lich auf die Ausschnitte des Alltags­le­bens, die im normalen ameri­ka­ni­schen Main­stream-Film ausge­spart bleiben.

Die drei zentralen Figuren der Schwes­tern sind so unter­schied­lich wie nur möglich: Joy ist sensibel, einfühlsam und schüch­tern. Der Anfang des Films zeigt in akri­bi­scher, pein­lichster Genau­ig­keit wie sie mit ihrem Freund Schluß macht. Wenige Tage später wird er tot in seinem Appar­te­ment aufge­fun­denSelbst­mord. Ihre Schwester Trish dagegen ist, ober­fläch­lich betrachtet, die Vorzeige-Ameri­ka­nerin: Fröhlich, aufge­schlossen, direkt, gutaus­se­hend, mit Mann, Haus und Kind. Doch alles ist nur Fassade: Das Ehepaar hat keinen Sex mehr, und ihr Mann fühlt sich sexuell zu kleinen Jungen hinge­zogen, die er schließ­lich auch verge­wal­tigt.

Ganz anders die dritte Schwester, Helen: Neuro­tisch, exzessiv und intel­lek­tuell lebt sie ihre Sexua­lität aus und braucht den stetigen Kick. Einer ihrer Nachbarn -fett, einsam und häßlich- himmelt sie an, weiß aber, daß er keine Chancen bei ihr hat. Deshalb belästigt er bevorzugt fremde Frauen am Telefon und onaniert dabei. Als er schließ­lich doch eine Partnerin findet, ist das aufkei­mende Glück von kurzer Dauer.

Solondz zeigt die Abgründe der ameri­ka­ni­schen Gesell­schaftein scho­nungs­loser Blick, der aber nie ohne Humor und Zärt­lich­keit ist. Die Form der episo­di­schen Erzähl­weise beherrscht er exzell­ent­sein Film wirkt wie eine dunkle und böse Version von Robert Altmans Short Cuts und ist dabei mindes­tens ebenso wichtig und bemer­kens­wert. Doch im Gegensatz zu Altmans auf Kurz­ge­schichten basie­renden Streifen spürt man, daß hier alles etwas näher an der Realität ange­sie­delt ist, als es einem manchmal lieb ist. Eine großar­tige Tragik­komödie, und zugleich einer der unge­wöhn­lichsten und gewag­testen ameri­ka­ni­schen Filme der letzten Zeit.