Hannibal

USA 2001 · 131 min. · FSK: ab 18
Regie: Ridley Scott
Drehbuch: ,
Kamera: John Mathieson
Darsteller: Anthony Hopkins, Julianne Moore, Giancarlo Giannini, Francesca Neri u.a.

Ein paar Schnapp­schüsse, eine Melodie, ein Duft. Die Stimme, die Erin­ne­rung. Und eine Art Liebes­brief: Wenn der Geliebte fern ist, bleiben von ihm nur Stückchen, Mementos, Spuren. FBI-Agentin Clarice Starling weiß, wie man Spuren verfolgt – und auch wenn sie es nie einge­stehen würde: Für sie ist Dr. Hannibal »The Cannibal« Lecter so etwas wie ein Geliebter. Einst haben sie sich tief in die Seele geschaut und haben sich erkannt – nicht im bibli­schen Sinne, aber der Unter­schied war nicht groß.

Doch nichts ist mehr wie damals, als man sich so gefähr­lich nahe kam, in Das Schweigen der Lämmer (Silence of the Lambs). Clarice ist eine andere (auch im Wortsinn: Julianne Moore ersetzt Jodie Foster), und ebenso die Welt in der sie sich bewegt. Das FBI ist nicht mehr Hort der Aufrechten und Guten – auch die Jagd auf Seri­en­killer ist nun Teil der freien Markt­wirt­schaft. Selbst Staats­be­amten gilt statt dem Gebot der Gerech­tig­keit das Höchst­gebot in Dollar. Und das bietet Mason Verger (Gary Oldman), den Hannibal einst buchs­täb­lich in den Gesichts­ver­lust trieb. Wie ein Stephen Hawking der Börse rollt er nun gräßlich entstellt durch seinen Landsitz. Sammelt mit perverser Lust Souvenirs an seinen Erzfeind. Und plant bizarre Rache: Er will die Perle Lecter vor die Säue werfen.

Auch der Ton des Films ist ein anderer geworden: So schlüssig und viel­schichtig wie der Vorgänger – dieser Essay über’s Sehen und Begehren, über das Kino selbst – ist Hannibal nicht; manchmal spürt man da eine gewisse Ratlo­sig­keit gegenüber der Roman­vor­lage. Viele Details des Buchs sind brav über­nommen, ohne dabei jedoch den entspre­chenden Kontext zu impor­tieren – zuviel steht da unver­bunden und unver­s­tänd­lich im Raum. Ein Film der Mementos eben: Von Lecter, von Silence of the Lambs, vom Roman »Hannibal«. Dafür wird aus dem üppigen Bildungs­bal­last von Thomas Harris bei Ridley Scott sinnfrohe Opulenz: Lecter ist ein Mann mit Geschmack, ein Mann der Alten Welt; sein Aufent­halt in Florenz erinnert an das barock ausschwei­fende Italo-Horror­kino der 70er; in den Farben, in der Atmo­sphäre ist da manchmal selbst Meister Argento nicht fern.

Und der Film ist ein Festmahl für die Schau­spieler: Mit sicht­li­chem Genuss schlüpft Anthony Hopkins wieder in seine Para­de­rolle, lässt keinen Bissen, keinen Tropfen der saftigen Aufgabe unaus­ge­kostet – und muss sich doch fast von Oldman die Show stehlen lassen, der auch hinter Makeup-Schichten verborgen noch mehr perverse Freude am Bösen ausstrahlt.

Clarice Starling (nun Beschüt­zerin statt Jägerin) wird da mehr zur Randfigur, zum Kata­ly­sator. Starling kommt der Halt abhanden in ihrer sicher geglaubten Welt, ihr Leben wird zur taumelnden Karus­sell­fahrt. In einen Liebe­salb­traum schlit­tert sie schließ­lich, ein surreales Dinner For Three ohne Angst vor BSE-Risi­ko­ge­webe. Hannibal zeigt da seine ganze Mons­tro­sität – und uner­war­tete Verletz­lich­keit. Ausge­rechnet er, das Monster, ist als einziger in dieser Welt zu einem selbst­losen Akt der Liebe fähig. Und wenn der Geliebte geht, bleibt immer etwas von ihm zurück...

Erkundungen des Grausamen

Eigentlich eine Liebesgeschichte: Ridley Scotts Hannibal

Unter­gangs­sze­na­rien, Kata­stro­phen­bilder – im Horror scheint zumindest eine Konti­nuität der Filme im Wett­be­werb der dies­jäh­rigen Berlinale zu liegen. Nach dem Stalin­grad­drama zur Eröffnung der Berlinale, und den Filmen von Soder­bergh (Traffic) und Kaufman (Quills) gab es nun mit dem außer Konkur­renz laufenden Hannibal, Ridley Scotts lang und mit Spannung erwar­teter Fort­set­zung des vor zehn Jahren oscar­ge­krönten Quali­täts­scho­ckers Das Schweigen der Lämmer (Silence of the Lambs) (Regie damals: Jonathan Demme) eine weitere Erkundung des Grausamen zu sehen.

Allein die Vorge­schichte zeigt, dass man es hier mit einem schwer vergleich­baren Projekt zu tun hat: Nach jahre­langem Zögern legte der Schrift­steller (und Rechte­inhaber) Thomas Harris vor gut zwei Jahren seinen dritten Band in jener Reihe vor, in deren Zentrum der hoch­in­tel­li­gente Seri­en­mörder Hannibal Lecter steht. Mit Bedacht und einem gewissen spie­le­ri­schen Ehrgeiz hatte Harris absicht­lich ein „unver­film­bares“ Werk geschrieben. Für Unsummen von Hollywood gekauft, setzte man zunächst David Mamet daran, eine Dreh­buch­fas­sung zu erstellen. Mamet, selbst Regisseur so span­nender wie geschmack­voller Filme, aber auch Autor von Filmen, Romanen und Thea­ter­s­tü­cken von hohem Rang, legte ein Script vor, das zwar von den beiden Stars des ersten Teils, Anthony Hopkins und Jodie Foster akzep­tiert worden war, nicht jedoch von den Studios. „Zu brutal“ hörte man. Mamet zog zurück. Nachdem sein Script von dem ebenfalls über alle Zweifel erhabenen Steven Zaillian mit erheb­li­chen Ände­rungen versehen war (jetzt befinden sich die Namen beider Autoren auf dem Abspann), ging es zwar bei den Studios durch, nicht aber bei der Haupt­dar­stel­lerin.
Ersetzt wurde Foster durch Julianne Moore. Das stellt sich in Scotts Fassung als eine gute Wahl heraus, denn die etwas herbere Moore gibt der zehn Jahre geal­terten FBI-Agentin Clarice Starling den nötigen resi­gnierten Ernst, ohne aus ihr eine völlig andere Figur zu machen.

Überhaupt ist Ridley Scotts Film eine ange­mes­sene und gelungene Fort­set­zung des Stoffes, gerade weil sie gar nicht erst versucht, ein „zweiter Teil“ zu sein. Hannibal ist ein eigen­s­tän­diger Film, der zwar mit Kenntnis von Silence of the Lambs weit besser vers­tänd­lich ist, trotzdem aber jederzeit der Falle entgeht, bloßes Zitat zu sein. Trotzdem können auch Scott und der wieder exzellent agierende Hopkins in der Rolle seines Lebens nicht verhin­dern, dass jeder neue Auftritt der Figur des Dr. Lecter auto­ma­tisch Kommentar aller vorhe­rigen ist. Seit einem Jahrzehnt gehört sie zum festen Inventar der Popkultur: ein Zeichen.
Die Struktur der Geschichte ist entspre­chend die eines Verspre­chens und seiner ständig aufge­scho­benen Erfüllung. Zwei Stunden lang harrt der Zuschauer auf das unver­meid­liche Wieder­sehen von Detektiv und Killer. Bis es dazu kommt wird er mit drei Neben­hand­lungen bei Laune gehalten, die allesamt spannend sind, zusammen den Film aber ein wenig konfus wirken lassen. Denn zu deutlich geht es um anderes: die unaus­ge­spro­chene Liebes­ge­schichte zwischen den beiden Haupt­fi­guren. Wie sie sich schließ­lich erfüllt, darf nicht verraten werden. Leser des Romans sollten aller­dings wissen, dass das letzte Film­drittel mit ihm kaum noch etwas zu tun hat, alle anderen Zuschauer sollten sich auf großartig insze­nierten, schlimmen Horror gefasst machen.
So ist Hannibal ein würdiger Nach­folger geworden, wenn ihm auch eindeutig der epochale Rang des ersten Teils fehlt. Seine Fans wird er trotzdem zufrie­den­stellen.