Harlan – Im Schatten von Jud Süß

Deutschland 2008 · 99 min. · FSK: ab 12
Regie: Felix Moeller
Drehbuch:
Kamera: Ludolph Weyer
Schnitt: Anette Fleming
Veit Harlan, in den 60er Jahren

»Der beste Wetzer des Messers…«

Faschis­ti­sche Ästhetik – da denkt man an den Olym­pia­film von Leni Riefen­stahl, an ihre Bilder der von Albert Speer choreo­gra­phierten Reichs­par­tei­tage. Man denkt an Lichtdome und Wochen­schauen, viel­leicht denkt man auch an eher plumpe Propa­gan­da­filme wie Der Ewige Jude, oder Hitler­junge Quex, die ihre Botschaft so deutlich verbreiten, dass sie selbst Über­zeugte lang­weilen. Man denkt wohl auch an die Ufa-Stars der NS-Zeit, an Zahra Leander und Marika Rökk, an Gustav Gründgens, Heinz Rühmann und Hans Albers. Auch, aber viel zu wenig denkt man an Veit Harlan.

Wieviel Riefen­stahl in unserer populären Kultur herum­spuke, von der Werbung über Spiel­filme und Musik­clips (nicht nur von Rammstein) bis hin zu den Insze­nie­rungen der Sport-Stadien hat vor Jahren einmal der Film­kri­tiker Georg Seeßlen gefragt. Viel­leicht muss man einmal fragen, wieviel Harlan in ihr vertreten ist, in den Daily-Soaps und Schmon­zetten über Adel, Förster und Landärzte, in den Fantasy-Block­bus­tern Holly­woods, in den, sich harmlos auf Fass­binder und Douglas Sirk bezie­henden Auto­ren­filmen europäi­scher, sich als links verste­hender Regis­seure, überhaupt in der Renais­sance des Melo­dra­ma­ti­schen im Kino. Harlan wirkt im Vergleich zu Riefen­stahl harmlos. Aber sieht man die Filme genau an, ist jeder von ihnen schau­riger, als alles von Riefen­stahl zusammen.

Schwerblütig, verfüh­re­risch, betäubend, verklä­rend

»Ich habe soviel Liebe zu einem Künstler noch nie gesehen, wie die zu meinem Vater nach dem Krieg. Das kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Das war eine Seelen­welt in der sie sich trafen. Das ist einmalig, dass einer den Publi­kums­nerv so perfekt trifft.«
Thomas Harlan, der inzwi­schen 80-jährige Sohn von Veit Harlan, und selbst Filme­ma­cher und Schrift­steller, bringt in Felix Moellers Film Harlan – Im Schatten von Jud Süß auf den Punkt, was Harlans Werk bis heute faszi­nie­rend macht, und gerade darum auch abstoßend, was die Ausein­an­der­set­zung mit Harlans Schaffen erzwingt: Veit Harlan, geboren 1899, war nicht nur der künst­le­risch Verant­wort­liche für zwei der übelsten Propa­gan­da­filme der Nazi-Zeit, für den anti­se­mi­ti­schen Jud Süß (1939) und für das von Durch­hal­temoral und Volks­sturm-Ästhetik getränkte, sich offen aufs US-Vorbild Vom Winde verweht bezie­hende Kriegs­drama Kolberg (1945). Er war auch der Regisseur von Melo­dramen wie Die goldene Stadt (1942), Immensee (1943) oder Opfergang (1944) die so schwerblütig wie verfüh­re­risch, so betäubend wie verklä­rend wirkten, und noch in den späten 70er Jahren des Faschismus unver­däch­tige deutsche Auto­ren­filmer wie Rainer Werner Fass­binder faszi­nierten. Gerade diese Verbin­dung von Propa­ganda und Eska­pismus, von unbe­streit­barer Filmkunst und platter Amoral machte Harlan, mehr als die ungleich primi­ti­vere Leni Riefen­stahl zu »Des Teufels Regisseur«.

»Denn wer zum Führer geboren ist, braucht keinen Lehrer als sein eigenes Genie.«

Was bei der Betrach­tung von Harlans Werk oft übersehen wird: Der Regisseur Veit Harlan war überhaupt erst ein Geschöpf des Dritten Reichs. Zuvor war der 1899 geborene Harlan Schau­spieler, er hatte keinen einzigen Film gedreht. Gleich nach der Mach­tüber­nahme der der Natio­nal­so­zia­listen 1933 bekannte sich Harlan in einem Interview mit dem Völki­schen Beob­achter zu deren Politik. Er biederte sich den Macht­ha­bern an, und legte so den Grund­stein zu seiner Karriere als Regisseur. In den 13 Jahren der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schaft drehte er 20 Spiel­filme, also nahezu zwei pro Jahr. Zu fast allen von ihnen schrieb er auch das Drehbuch, war also einer der ersten deutschen Auto­ren­filmer. Seit Die goldene Stadt war er auch der Produzent seiner Filme. »Diese Filme sind sehr herme­tisch, und spiegeln von Anfang bis Ende in seinem Film­schaffen ein ganz bestimmtes Weltbild. In einer Konse­quenz wie man dass bei einigen großen Autoren hat: ein Entwurf der Welt, den sie allen ihren Filmen aufdrü­cken. Das kann man über Harlan mit Sicher­heit sagen.« (Stefan Drössler, Film­wis­sen­schaftler)

Die wich­tigsten Filme Harlans entstanden in den knapp sechs Jahren des Zweiten Welt­kriegs. Ausnahme: Der Film Der Herrscher von 1937, ein im Stil subtiles, aber ideo­lo­gisch plumpes Propa­gan­da­werk, das vage auf nach Gerhard Haupt­manns Vor Sonnen­un­ter­gang basiert, und der NS-Führe­ri­deo­logie huldigt: »Denn wer zum Führer geboren ist, braucht keinen Lehrer als sein eigenes Genie« heißt ein entschei­dender Dialog­satz. Der Freibrief zur Will­kür­herr­schaft. Dieser Film wurde zu Harlans Ticket an die Spitze des NS-Films.

Zutiefst reak­ti­onäre Schick­sals­gläu­big­keit

Von Beginn hat hatte Harlan den Hang zum großen »Illu­si­ons­kino« zum »Spiel mit Emotionen« sich perfekt mit den Vorgaben des Reichs­pro­pa­gan­da­mi­nis­te­riums deckte. Und politisch war Harlan »erzkon­ser­vativ und deutsch­na­tional – das ging gut zusammen.« Auch was die scheinbar unpo­li­ti­schen Melo­dramen wie Immensee für Goebbels so »staats­po­li­tisch wertvoll« machte, wird von Stefan Drössler treffend erklärt: »In der Zeit des Krieges, wo so viele sterben, und man sich die Sinnfrage stellt, war es wichtig, dass das Sterben etwas Bedeut­sames wird, dass es nachwirkt, das Leute trauern, das man FÜR etwas gestorben ist. Das drücken diese Filme aus.« Wenn man in dieser Zeit ein Melodram sah, und irgendwen verloren hatte, dann funk­tio­nierten diese Filme also als Sinn­an­ge­bote: Das Sterben ist nicht nur Sterben.

Dem Baye­ri­schen Rundfunk (Online) gilt Harlan noch heute »als einer der meis­ter­haf­testen Regis­seure der Film­ge­schichte.« und die Autorin wünscht sich, »die umstrit­tene künst­le­ri­sche Leistung und film­his­to­ri­sche Bedeutung Veit Harlans« mehr zu disku­tieren. Der Punkt des Filme­ma­chers ist aber nun gerade, dass die vom Poli­ti­schen nicht zu trennen ist.

Die chemische Herstel­lung von sehr falschen Gefühlen

Die Familie hat das besser erkannt. In Harlans senti­men­talen und schwerblü­tigen Dramen nach Vorlagen von Storm und Rudolf Binding, findet man über­spitzte Konstel­la­tionen, kitschige Melo­dra­matik, die chemische Herstel­lung, und das Hoch­züchten und Glaubhaft-machen von sehr falschen Gefühlen. Wenn Harlan Erfolg hatte, dann ging es um Unschuld und Verderben, Eros und Natur. »Das Perfide ist diese Schick­sals­gläu­big­keit« beschreibt seine Enkelin: »Das Unaus­weich­liche, Ausweg­lose wird da insze­niert. Und das ist natürlich etwas zutiefst Reak­ti­onäres.«

Es beginnt mit sichtbar privaten Bildern: Super-8-Aufnahmen, man erkennt an der Mode dass es sich um die späten 50er, frühen 60er-Jahre handeln muss. Man erkennt Capri, die Blaue Grotte, einen älteren Mann und seine jüngere Frau. Man sieht Zärt­lich­keit und Glück. Als diese Bilder entstehen, liegt der deutsche Völker­mord an den Juden schon über 15 Jahre zurück. Welchen Anteil Veit Harlan an ihm hat, ob und wie der Hetzfilm Jud Süß noch einmal fünf Jahre früher entstanden, überhaupt Harlans Film war, welchen Anteil dieser Film letztlich an der Vorbe­rei­tung des Völker­mords hatte, das ist die Frage gewesen, die sich wie ein Schatten über Harlans Leben nach 1945 gelegt hat. Es ist nur die eine zentrale Frage dieses Films. Die zweite Frage ist die, wie Harlans Familie mit dessen Erbe umgeht.

Harlan, Sohn des Bühnen­dra­ma­ti­kers Walter Harlan, und Frei­wil­liger im Ersten Weltkrieg, war dreimal verhei­ratet. Seine erste Frau, die deutsch-jüdische Schau­spie­lerin Dora Gerson ließ sich 1925 von ihm scheiden, und wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Mit seiner zweiten Frau, der Schau­spie­lerin Hilde Körber, hatte er drei Kinder: Thomas (*1929), Maria und Susanne, die sich 1989 das Leben nahm. »Es war uns Kindern voll­kommen klar, das unsere Eltern eigent­lich gar nicht zusam­men­passten. Mein Vater war oft laut und grob und sie war unheim­lich zart besaitet. Eine Harfe und eine Pauke.« (Maria Körber, Tochter).

Die reine unver­dor­bene Söderbaum als Projek­ti­ons­fläche für schick­sal­hafte Stoffe

Nach zehn Jahren ließ er sich scheiden, und heiratete die 13 Jahre jüngere Kristina Söderbaum. In Schweden geboren, 1934 nach Berlin gekommen, hatte Söderbaum nach zwei Kurz­auf­tritten in schwe­di­schen Filmen danach bis 1958 immer nur unter ihrem Mann gespielt. Hier wurde sie berühmt für ihre zahl­rei­chen Filmtode: Die »Reichs­was­ser­leiche« Söderbaum verkör­perte einen Ideal­typus des NS-Kinos: Die naive Kindfrau, natürlich, blond und »arisch«, die Natur­ro­mantik, Reinheit, und Unver­dor­ben­heit ausstrahlte und so zu einem der best­be­zahlten Stars des NS-Films und Idol von Millionen wurde. Harlan nutzt Söder­baums Ausstrah­lung als Projek­ti­ons­fläche für seine bevorzugt schick­sal­haften Stoffe.

»Die Stärke meiner Mutter war ja nun nicht ihr Intellekt und ihre analy­ti­schen Fähig­keiten, da ist es nicht so weit her mit gewesen... Die hat nicht über­blickt, was sie da gemacht hat. Ihr da einen Vorwurf zu machen, ist wirklich albern.« (Kaspar Harlan)

Mit Söderbaum hatte Harlan zwei weitere Kinder. Alle noch lebenden Kinder und Susannes Tochter Jessica kommen in Felix Moellers Film ausgiebig zu Wort, auch die weiteren Enkel, zum Teil erst knapp zwanzig Jahre alt, und Harlans Nichte Chris­tiane Kubrick, die Frau des verstor­benen Stanley Kubrick. Ihre Äuße­rungen zeichnen ein facet­ten­rei­ches Bild von Harlans persön­li­cher Wirkung, seiner Arbeit, und von einer möglichen Inter­pre­ta­tion seines Verhal­tens im NS-Staat und danach.

20 Millionen Deutsche können nicht irren

Im Zentrum steht Jud Süß. In Prag gedreht sollte der Film als großes Melodram und Unter­hal­tungs­spek­takel verkauft werden. Jüdische Komparsen wurden aus den Ghettos Prag und Lublin heran­trans­por­tiert, eine Statis­ten­rolle als Zwischen­sta­tion auf dem Weg in die Mord­fa­briken. Bizarres Detail: An seinen ältesten Sohn Thomas hatte der Vater während der Dreh­ar­beiten eine Ansichts­karte geschickt: »Du weißt gar nicht, wie gern die Juden hier mit mir arbeiten.« In Deutsch­land haben den Film etwa 20 Millionen Zuschauer gesehen, in Europa noch einmal weitere 20 Millionen. Während des Films, so wird berichtet, habe es häufig Rufe gegeben: »Juden raus!« Der Film sollte im Auftrag von Propa­gan­da­mi­nister Goebbels allen SS- und Poli­zei­ein­heiten gezeigt werden, um sie psycho­lo­gisch auf den Massen­mord einzu­stimmen.
Sie habe den Film »wahn­sinnig schlecht« gefunden, Werner Krauss habe über­trieben, und »absicht­lich schmierig« gespielt, berichtet Tochter Maria Körber. Nichte Chris­tiane Kubrick fand ihn nur »entsetz­lich, auch Kristinas Rolle entsetz­lich. Mein Vater war sehr traurig darüber.«
»Ich war furchtbar betroffen davon, ob das jetzt gut gespielt war und die Regie gut oder nicht, das war mir egal, ich war betroffen von dem Geist, der dahinter steckt, und den man offen­sicht­lich gar nicht erkannt hat 1940. Sonst wäre der nicht so erfolg­reich gewesen.« So Jan Harlan, der Neffe des Regis­seurs. Und Enkelin Jessica Jacoby ergänzt:
»Ich glaube, dass er sehr wohl mit der jüdischen Kultur und der jüdischen Religion ein massives Problem hatte. Er war zwar mit einer Jüdin verhei­ratet, die aber später ihn verlassen hat und einen jüdischen Mann hatte – eine unglaub­liche narziss­ti­sche Kränkung! Und außerdem schöpft er aus dem Vollen, was diese ganze anti­jü­di­sche Bilder­welt der letzten Jahr­hun­derte angeht. Da kommt genau das an Ressen­ti­ments auch an Abneigung gegen die Kultur zum Ausdruck.«

»Es ist ganz schreck­lich, dass man spürt, da macht jemand sowas gerne.«

Thomas Harlan weist den Hinweis auf die narziss­ti­sche Kränkung dagegen als ober­fläch­lich zurück. Er spricht den Verstan­des­men­schen an und nimmt ihn auch moralisch für voll: »Ich glaube er hätte wissen müssen, dass er Unrecht tut. Ganz einfach. Und vor allem sich verbieten müssen, das gern zu tun. Es ist ganz schreck­lich, dass man spürt, da macht jemand sowas gerne.«

Und er fing überhaupt erst richtig an, und machte weiter bis zum bittren Ende, bis 1945. Da kam Kolberg in die Kinos, die teuerste und lang­wie­rigste Produk­tion des Dritten Reiches, deren Film­rollen noch über dem längst einge­kes­selten La Rochelle abge­worfen wurden, um die dortigen deutschen Truppen zum Durch­halten zu ermuntern. Der Film, dem fast unbe­grenzte Mittel zur Verfügung standen, ist ein weiterer Hetzfilm, er zeigt eine Goebbels-gleiche Gneisenau-Figur, der einen anti­na­po­leo­ni­schen Volks­sturm bildet, der aus 1000 Kehlen schreit »Und Volk steh auf und Sturm brich los.« – wie einst im Berliner Sport­pa­last. Der Film ruft auch die Zivil­be­völ­ke­rung zu unbe­dingtem Durch­halten auf, zu Opfertod und kollek­tivem Untergang – passend zur Politik des totalen Krieges.

In einem Interview 1963 erklärte Veit Harlan dazu: »Als Goebbels den Film zum ersten Mal sag, bekam er einen Tobsuchts­an­fall. Er schrie: Das ist ein pazi­fis­ti­scher Film. Er befahl alle Grauen-Szenen heraus­zu­schneiden ... Er nannte das sadis­tisch. ich sagte: Ja ich kann ja das Heldentum nicht darstellen Herr Minister, wenn ich nicht zeige WIE helden­haft die Menschen sind, ... Kurzum: Für zwei Millionen Mark Grauen wurde heraus­ge­schnitten und dadurch wurde der Film natürlich in seiner Gestalt wesent­lich verändert.«

Stanley Kubrick und sein großes Zahn­putz­glas Wodka

Bereits wenige Monate später, im Mai 1945 verfasste Veit Harlan eine Erklärung mit dem Titel: »Wie ich zum Natio­nal­so­zia­lismus stand« und berief sich hierin, wie später so mancher auf »Befehls­not­stand«. Nicht allen in der neuen Bundes­re­pu­blik wollte das einleuchten oder genügen. Berichtet wird in Moellers Film von einem Thea­ter­abend in Hamburg. Zweimal sei da Ida Ehre vor der Vorstel­lung auf die Bühne gegangen und habe vor dem Publikum gesagt, sie bitte Veit Harlan und Kristina Söderbaum, die Vorstel­lung zu verlassen, vorher fange es nicht an.
Aber zu keinem Zeitpunkt hat Harlan Verant­wor­tung über­nommen, sich distan­ziert, kein Wort der Selbst­kritik geäußert, nur Schuld und Verant­wor­tung abge­wiesen.

Dafür drehte er später wieder Filme. Filme, in denen er bewies, dass er wirklich nichts gelernt hatte, oder nichts lernen wollte. Filme, die die Ästhetik der NS-Zeit nahtlos in die Fünfziger über­trugen.
Thomas Harlan versuchte es. Er drehte einen Film gemeinsam mit dem Vater: »Verrat an Deutsch­land« über Richard Sorge. Beide schrieben das Drehbuch gemeinsam. Dies ist, inter­es­san­ter­weise, einer der ganz wenigen west­deut­schen Filme der 50er Jahre, in dem von Verbre­chen der Wehrmacht – kurz – die Rede ist, und in dem die Truppen der Roten Armee nicht völlig propa­gan­dis­tisch verzerrt werden. Nun wurde Veit Harlan noch einmal kriti­siert – weil dies angeblich ein prokom­mu­nis­ti­scher Film sei.
Thomas Harlan nahm die Schuld stell­ver­tre­tend für den Vater an: »Ich war nicht gegen meinen Vater sein Sohn. Ich war mit meinem Vater sein Sohn. Und so weit, dass ich mit ihm all die schänd­li­chen Dinge, die mit seinem Zutun entstanden sind, dafür die Verant­wor­tung getragen habe. Das finde ich ganz selbst­ver­s­tänd­lich.« Er arbeitete als Nazi-Jäger, recher­chierte über die Vernich­tungs­lager Kulmhof, Sobibór, Belzec und Treblinka. Er schreibt Romane, Thea­ter­stücke, Dreh­bücher. »Es ist, auch mit 79, noch immer eine offene Wunde, ein Trauma«, sagt seine Tochter Alice. Und seine Nichte Jessica urteilt über die Folgen in der Familie: »Thomas' Leistung wird immer noch unter­schätzt.«

Eine letzte Anekdote des Films ist noch die von Stanley Kubricks Besuch bei Veit Harlan. Kubricks Eltern kamen aus Kiev und Rumänien. Und auf beiden Seiten der Eltern gab es Juden. Seine Frau Chris­tiane erzählt: »Stanley war in München, wir hatten uns entschlossen zu heiraten, er wollte mich mitnehmen nach Amerika, und Veit sagte: 'Du gehst nach Amerika, ist ja furchtbar', er wollte nicht, dass ich weggehe, meine Eltern waren da, Veit und Kristina waren da, noch ein paar andere. Ich hab' Stanley gesagt: jetzt triffst Du die alle, ich hatte längst alles gebeichtet, meine fürch­ter­liche Herkunft. Und er hat ein großes Zahn­putz­glas Wodka getrunken, und hat sie dann getroffen ... Es war für meinen Mann erschüt­ternd, diese höflichen und lustigen Menschen zu treffen. Er hat gesagt 'I am standing here like Woody Allen. Looking like ten jews'«

Film als Mord­in­stru­ment: »Es gab nur seinen Beruf. Alles andere war egal.«

Regisseur Felix Moeller ist ein ausge­wie­sener Experte für das Kino des Dritten Reichs und der Nach­kriegs­zeit. Er hat ein Buch über Joseph Goebbels und das Kino geschrieben (»Der Film­mi­nister«), und Doku­men­ta­tionen über die Familie Verhoeven, über Marlene Dietrich und Hildegard Knef gedreht. Harlan – Im Schatten von Jud Süß erscheint in den ersten Minuten wie ein konven­tio­nell erzählter Fern­seh­film, doch schnell entwi­ckelt er Inten­sität, und entfaltet – ohne platte Psycho­logie – aus den Äuße­rungen der vier über­le­benden Harlan-Kinder und mehrerer Enkel und anderer Verwandter ein inten­sives Fami­li­en­drama.

Die gegen­ein­ander geschnitten Äuße­rungen lassen den Film mehr und mehr wie ein Fami­li­en­ge­spräch in Kino-Dimension wirken, zugleich wie einen Mikro­kosmos der wider­strei­tenden Ansichten zu Harlan:

»Der Film ist ein Mord­in­stru­ment geworden ... da kommt auch meine gnaden­lose Unge­rech­tig­keit gegen meinen Vater her.« (Thomas Harlan)
»Film wird ja immer miss­braucht als Propa­ganda.« (Kristian Harlan)
»Im Grunde seines Herzens ist mein Vater sicher­lich ein relativ unpo­li­ti­scher Mensch gewesen. Er war halt ein Künstler und es ist mit ihm durch­ge­gangen, und das ist so nicht recht verzeih­lich, wie es gelaufen ist. ... Er ist garan­tiert kein Anti-Semit gewesen und garan­tiert kein Nazi gewesen. Er hat so abfällig über Nazis gespro­chen. Die Filme ...wollte er ja auch nicht machen. Aber warum er die dann so toll macht, so einen richtig schönen Film daraus macht, das kann ich nicht nach­voll­ziehen. Das ist für mich der Vorwurf, der bleibt.« (Kaspar Harlan)
»Es gab nur seinen Beruf. Nur was er sich da vorge­nommen hatte. Alles andere war egal. Das wollte er durch­setzen.« (Maria Körber, geb. Harlan)
»Ich glaube er war ein Mitläufer. Er war ein ehrgei­ziger Filme­ma­cher, der Karriere machen wollte und Karriere gemacht hat.« (Jan Harlan, Neffe)

»...dass der Nicht-Antisemit der beste Wetzer des Messers war. Das ist das Infame.«

Die Gesamt­schau der Äuße­rungen zeichnet ein facet­ten­rei­ches Bild von Harlans persön­li­cher Wirkung, seiner Arbeit, und von einer möglichen Inter­pre­ta­tion seines Verhal­tens im NS-Staat und danach. Bei aller Kritik entsteht doch auch ein einfühl­sames Portrait, von Fami­li­en­seite aus oft verstehen wollend, manchmal liebevoll.

In Erin­ne­rung von diesem wichtigen Kapitel deutscher Film­ge­schichte bleibt in der Zusam­men­schau der Aussagen aber vor allem das Bild eines Oppor­tu­nisten, der »die« Spiel­filme des Dritten Reiches gedreht hat, der vom System profi­tierte wie man von ihm nur profi­tieren konnte, und dessen Taten im Ergebnis schlimmer wirkten, als die vieler Über­zeugter. Oder mit den Worten des Sohnes Thomas: »Das wirklich Inter­es­sante ist, dass der Nicht-Antisemit der beste Wetzer des Messers war. Das ist das Infame.«

Aber trotz aller Eindeu­tig­keit bleiben Rätsel und unge­klärte Fragen. Vor allem Thomas Harlans von Hass-Liebe-Beziehung zu seinem Vater ist eindring­lich erkennbar. Der älteste Sohn stellt in Moellers Film die präzi­sesten Fragen, ist bereit, erstaun­lich viel zu erklären und zu verzeihen, und öffnet so gerade den Blick in die tiefsten Abgründe: Die Behaup­tung, Harlan sei gezwungen worden, Jud Süß zu drehen, will er dem Vater sogar abnehmen. Aber gerade, wenn das stimmt, wieso verpflich­tete er dann seine Frau Kristina Söderbaum für die Haupt­rolle?
»Ich sag mal so. Seine Behaup­tung, er sei gezwungen worden, die nimmt man ihm ab. Aus lauter lauter Gründen. Und auch weil genug Zeugen da sind. Und dann kommt doch die Frage: Wieso zwinge ich meine Frau? Wieso biete ich meiner Frau eine Lage an, in der sie etwas Verwerf­li­ches tun muss, was ich doch eigent­lich gar nicht tun wollte. Ich würde sagen: Der Umstand, das sie spielt, ist fast der Beweis dafür, dass er sich nicht große Sorgen gemacht hat. So einfach ist die Erklärung, und die erschreckt mich sehr.«

Literatur:
Veit Harlan: Im Schatten meiner Filme; BRD 1966
Anne von der Heiden: Der Jude als Medium. »Jud Süß«; diaphanes 2005
Dorothea Hollstein: Jud Süß und die Deutschen; Ullstein 1986
Georg Seeßlen: Leni Riefen­stahl wird 100. Kann ein Koral­len­riff faschis­tisch sein? In: Konkret, Heft 8.
Susan Sontag: Faszi­nie­render Faschismus; In: dies.: »Im Zeichen des Saturn« Frankfurt/M.

Film:
Christoph Hübner: Wander­splitter; BRD 2007