The Gift

USA 2015 · 109 min. · FSK: ab 12
Regie: Joel Edgerton
Drehbuch:
Kamera: Eduard Grau
Darsteller: Jason Bateman, Rebecca Hall, Joel Edgerton, Allison Tolman, Tim Griffin u.a.
Nuancierte Charakterstudie. Hier: Joel Edgerton

Bröckelnde Gewissheit

Jeder von uns kennt Situa­tionen wie diese: Beim Einkaufs­bummel läuft man einem früheren Schul­ka­me­raden über den Weg. Bleibt stehen. Wechselt ein paar höfliche Worte. Täuscht echtes Interesse vor. Und versi­chert, dass man sich unbedingt wieder­sehen muss. Der alten Zeiten wegen. Ein Gespräch, das in vielen Fällen keinen blei­benden Eindruck hinter­lässt. Anders ergeht es da den Prot­ago­nisten in Joel Edgertons erster abend­fül­lender Regie­ar­beit, für die der austra­li­sche Hollywood-Schau­spieler auch gleich das Drehbuch verfasste. Hier drängt sich der Bekannte, dem Simon (Jason Bateman) und Robyn Callum (Rebecca Hall) kurz nach ihrem Umzug ins sonnige Kali­for­nien begegnen, in das Leben des Paares und scheint eine Freund­schaft regel­recht erzwingen zu wollen.

Das alles klingt nach einer klas­si­schen Ausgangs­si­tua­tion, wie man sie in unzäh­ligen Stalking-Thrillern gesehen hat. In der Tat füttert Edgerton den Zuschauer zunächst mit altbe­kannten Versatz­stü­cken. So wollen die Callums in ihrem schmucken, fens­ter­rei­chen Anwesen in den Hügel von Los Angeles einen Neustart wagen, da sie erst kürzlich einen Schick­sals­schlag in Form einer Fehl­ge­burt erlitten haben. Während Simon einen gut dotierten Job antritt, versucht Robyn, den Verlust zu verar­beiten und sich langsam wieder an ihre Tätigkeit als frei­be­ruf­liche Desi­gnerin heran­zu­tasten. Das zufällige Treffen mit Simons früherem Mitschüler Gordon (Joel Edgerton) – damals nur „Gordo, der Spinner“ genannt – lässt die schönen Absichten aller­dings wie Seifen­blasen zerplatzen. Erst recht, als Simon nach einem gezwun­genen Abend­essen und mehreren kleinen Zwischen­fällen weitere Annähe­rungen untersagt.

Spätes­tens von diesem Moment an hätte Edgerton die übliche Plot-Maschine anwerfen und den reichlich ausge­lutschten Exzessen huldigen können, die man zuletzt etwa im komplett ambi­ti­ons­losen Reißer The Boy Next Door über sich ergehen lassen musste. Anders als dort und in vielen ähnlichen Genre­bei­trägen leuchtet der Regie­de­bü­tant seine anfangs klar umris­senen Figuren jedoch weiter aus und enthüllt so manche ungüns­tige Wahrheit, die sich vorher bloß in kleinen Andeu­tungen bemerkbar gemacht hat. An die Stelle der üblichen Gewalt­es­ka­la­tion rückt eine konse­quent psycho­lo­gi­sche Spannung, die The Gift zwischen­zeit­lich sogar in ein aufwüh­lendes Ehedrama verwan­delt. Gordos Eindringen in die Privat­sphäre des Paares beschwört alte Konflikte herauf und sorgt gerade bei Robyn für ungeahnte Zweifel. Immerhin lernt sie eine andere Seite ihres doch eigent­lich so fürsorg­li­chen, wenn auch ehrgei­zigen Mannes kennen.

Zu viel sei hier nicht verraten, da man dem geschickt konstru­ierten Film andern­falls einen Großteil seiner Wirkung nähme. Edgerton gelingt in jedem Fall ein raffi­niertes Spiel mit der Erwar­tungs­hal­tung des Zuschauers, der irgend­wann auch Mitgefühl für den eigen­wil­ligen Stalker aufbringen kann. Schaltet eine solche Figur ab einem gewissen Punkt für gewöhn­lich in den Psycho­pa­then-Modus, tritt der Außen­seiter hier, bei aller Gren­züber­schrei­tung, erstaun­lich zurück­ge­nommen auf. Offene Drohungen und Wutaus­brüche werden nicht bemüht. Und doch erfasst den Betrachter schnell ein Gefühl des Unbe­ha­gens, weil Gordo durch seine dezente Aufdring­lich­keit – eine schöne Ambi­va­lenz! – weitaus unbe­re­chen­barer ist als so mancher Genre­zwil­ling.

Überhaupt ist es angenehm, dass sich der Regisseur auch in anderen Zusam­men­hängen von allzu eindeu­tigen Aussagen verab­schiedet und die Erzählung auf diese Weise in der Schwebe hält. Als gutes Beispiel dient das stan­dard­mäßige Verschwinden des Haustiers, das jedoch nicht ins Gras beißen muss, sondern plötzlich wieder quick­le­bendig auf der Matte steht. Was genau passiert ist, bleibt unserer Fantasie über­lassen. Auch wenn The Gift verein­fachte psycho­lo­gi­sche Muster bemüht, erweist sich der Film als eine Charak­ter­studie mit durchaus nuan­cierten Figu­ren­zeich­nungen. Prophe­tisch ist vor allem eine Szene, in der Simon belustigt fest­stellt, dass sich manche Menschen auch Jahr­zehnte nach der Schulzeit nicht verändern. Eine vermeint­lich beiläu­fige Aussage, deren Doppel­bö­dig­keit sich erst später erschließen wird. Dann nämlich, wenn Edgerton mit einem über­ra­schenden Dreh unsere anfäng­liche Empathie-Ausrich­tung gehörig durch­ein­an­der­wir­belt.

Während der Film lange Zeit von einer diffus-brodelnden Spannung lebt, zieht er im Schluss­drittel merklich an. Hier über­schlagen sich förmlich die Ereig­nisse, was teilweise erzwungen wirken mag, dafür aber – dem gelun­genen Schnitt­rhythmus sei Dank! – einen unglaub­li­chen Sog entfaltet. Die vorherige Zurück­hal­tung und manche Unge­wiss­heit werden hier über Bord geworfen. Und das Drehbuch orien­tiert sich nun deut­li­cher an einer konven­tio­nellen Thriller-Mechanik. Erfreu­lich ist aller­dings, dass der Regisseur einen letzten bösen Twist aus dem Ärmel schüttelt, der sich einer klaren Auflösung entzieht. Genau wie Robyn und Simon bleibt man als Zuschauer verstört zurück, womit The Gift auf die genreüb­liche Wieder­her­stel­lung der Ordnung verzichtet. Am Ende liegt die Welt der Callums in Scherben. Und wer die Haupt­schuld trägt, ist gar nicht mal so einfach zu sagen.