Gestrandet

Deutschland 2015 · 78 min. · FSK: ab 0
Regie: Lisei Caspers
Drehbuch:
Kamera: Fabian Klein
Schnitt: Jamin Benazzouz
Neue Heimat in Ostfriesland

Flüchtlinge als Facetten und Fallstudie

»Ganz herzlich will­kommen mitten im Herzen Ostfries­lands, wo dieser Tradi­ti­ons­sport, Burzeln, seit über hundert Jahren ausge­führt wird. Wir hoffen natürlich um das dann viel­leicht mitzu­nehmen in eure Heimat.« Was macht man eigent­lich in Ostfries­land? Als Fremder? Vor allem: Was macht man, wenn man aus Afrika kommt, aus Eritreia, und als poli­ti­scher Flücht­ling plötzlich in einem voll­kommen fremden Ort gelandet ist, wo das Wetter kalt ist, und manchmal auch die Herzen, einem Ort wie Strack­holt, einem 1500-Seelen-Dörfchen, 20 km von Aurich.

Dort sind Anfang des Jahres 2014 fünf junge Männer aus Eritrea »gestrandet«, wie es der Titel dieses Doku­men­tar­films auf den Punkt bringt.

Die junge Regis­seurin Lisei Caspers, die bereits 2007 mit Grenz­ge­biet debü­tierte und 2011 einen Doku­men­tar­film über die Situation in Palästina drehte, stammt selbst aus Strack­holt, und erfuhr bei einem privaten Besuch vom Schicksal der fünf Flücht­linge. Kurz darauf begann sie eine Lang­zeit­do­ku­men­ta­tion über deren erste Monate in Deutsch­land – dies wurde ein zwei­jäh­riges Projekt, das sich ganz zufällig auch parallel zur begin­nenden Eska­la­tion der Flücht­lings­si­tua­tion entwi­ckelte.

»Millionen von Menschen sind auf der Flucht. Tag für Tagen haben wir die Bilder vor Augen, wo Menschen auf ihrer Flucht elendig im Mittel­meer ertrinken. Es ist ein Gebot der Mensch­lich­keit, diesen Menschen Schutz, Hilfe und Unter­s­tüt­zung zu gewähren und nicht mit Ablehnung Vorbe­halten und Miss­trauen zu reagieren, wenn sie zu uns kommen. Meine Damen und Herren, helfen wir diesen Menschen, nehmen wir sie in unser Mitte auf!«

Caspers zeigt viele Facetten der Flücht­lings­frage. Dazu gehören Sonn­tags­reden wie diese, denen man gern in allem zustimmt, die aber doch weit entfernt sind von den Erfah­rungen des Alltags.

Zu diesen Erfah­rungen gehört zum Beispiel die totale Über­for­de­rung im Labyrinth einer überaus langsamen deutschen Büro­kratie mit ihrer Regelwut und mit ihren Vorstel­lungen von Ordnung und Exaktheit, und einer Unfähig­keit, sich auf Menschen und Verhält­nisse einzu­stellen, die nicht den Ordnungs­vor­stel­lungen deutscher Beamter entspre­chen, die ange­sichts der Wirk­lich­keit nur absurd wirken.

So etwa, wenn eine hoch­en­ga­gierte Flücht­lings­hel­ferin im Amt die Heirat eines ihrer Schütz­linge orga­ni­sieren will: Da verlangt der Beamte dann »eine aktuelle Ledig­keits­be­schei­ni­gung des dortigen eritrei­schen Stan­des­amts«.

Das ist im Einzel­fall lustig, im Gesamt­bild oft traurig bis depri­mie­rend.

Caspers zeigt sich in diesem Film als ein neugie­rige, unvor­ein­ge­nom­mene und auch geduldige Beob­ach­terin, die die Wirk­lich­keit der deutschen Will­kom­mens­kultur in den Blick nimmt. Die besteht in ihrem Film in der Regel aus hoch­en­ga­gierten Menschen und positivem Denken.

Etwa der Rentner Helmut, oder Chris­tiane, eine Mutter mehrerer Kinder. Es gibt in Strack­holt zumindest kaum Frem­den­feind­lich­keit, keinen Rassismus, und wenig sichtbare Vorur­teile. Über­for­de­rung gibt es natürlich schon.

Caspers färbt dabei nicht schön, sie zeichnet kein vorbe­haltlos positives Bild der Neuan­kömm­linge. Aber sie ist immer empa­thisch für ihre Haupt­fi­guren, die auch ausgiebig zu Wort kommen.

So ist Gestrandet eine wunder­bare Fall­studie über fünf Eriträer in einem ostfrie­si­schen Dorf – der Regis­seurin ist ein viel­fäl­tiges, facet­ten­rei­ches und sehr, sehr sehens­wertes Film­por­trait gelungen. Gestrandet ist eindring­lich und mensch­lich, ein Blick auf Flücht­lings­fragen jenseits einge­schlif­fener Klischees.