Die Frau, die sich traut

Deutschland 2013 · 98 min. · FSK: ab 6
Regie: Marc Rensing
Drehbuch: , ,
Kamera: Tom Fährmann
Darsteller: Steffi Kühnert, Jenny Schily, Christina Hecke, Steve Windolf, Lene Oderich u.a.
Ihr Lebenstraum – der Ärmelkanal

Ihr letzter Wille

Beate kennt nur einen Lebens­in­halt: ihre Familie ist ihr Ein und Alles. Selbst während sie bei ihrer Arbeit in einer Großwä­scherei Maschinen bedient, erteilt sie ihren Kindern noch tele­fo­nisch Ratschläge. Doch dafür, dass sie sich völlig für die Familie aufopfert, erntet sie keinerlei Aner­ken­nung – ganz im Gegenteil: Als sie einen vermeint­li­chen Fehler bei den Haus­auf­gaben ihrer Enkelin macht, geht die allein­er­zie­hende Tochter, die kurz vor ihrem Examen steht, Beate harsch an. Der Sohn lässt sich im Hotel Mama fürstlich bedienen und zeigt wenig Vers­tändnis, wenn der Kühl­schrank mal nicht so prall gefüllt ist, wie es seiner Erwartung entspricht.
Dabei war Beate nicht immer das bessere Dienst­mäd­chen ihrer Kinder: Zu Zeiten der DDR wurde sie als erfolg­reiche Schwim­merin gehandelt, durchaus mit guten Aussichten, olym­pi­sches Gold zu holen, als ihr die Geburt der Tochter jäh einen Strich durch die Rechnung machte.

Plötzlich schlägt eine Nachricht wie eine Bombe in dieses fade, von Selbst­auf­gabe und Gefühls­armut geprägte Leben ein: Ihr Arzt diagnos­ti­ziert Krebs, vermut­lich eine Folge des Anabolika Miss­brauchs aus ihrer Zeit als Leis­tungs­schwim­merin. Diese Nachricht wird ihr Leben komplett aufwühlen und ihm eine völlig neue Richtung geben: Sie beschließt, einen Kind­heits­traum in die Tat umzu­setzen und setzt ihre ganze Energie in die Über­que­rung des Ärmel­ka­nals – der „Mount Everest für Schwimmer“. Ein ziemlich aussichts­loses Unter­fangen, liegen ihre Erfolge doch mehr als dreißig Jahre zurück, ihr Körper ist leidlich untrai­niert, auch meidet sie den nahe­ge­le­genen Strand, viel­leicht gerade deshalb, um die Erin­ne­rung an tief­lie­gende Sehn­süchte zu unter­binden.

Beate hat keine Träume mehr, sie besitzt kaum mehr eine eigene Persön­lich­keit mit Ecken und Kanten, Wünschen und Sehn­süchten. Die Defi­ni­tion ihrer selbst erfolgt durch das Außen. Ihr schlichtes Dasein wird ausschließ­lich durch die Nähe zu ihrer Familie genährt und bestimmt. Doch diese Situation ändert sich schlag­artig, als ihr Krebs diagnos­ti­ziert wird. Plötzlich gibt es für sie nur noch ein einziges Ziel: die Über­que­rung des Ärmel­ka­nals. Die Kinder, die eigent­lich schon längst flügge sein sollten, fesseln sie immer noch an sich und ihre Bedürf­nisse und hindern sie daran, sich selbst zu erfahren. Geschickt halten sie ihre Mutter emotional mit ihrer Unfähig­keit, ihr eigenes Leben zu meistern, in Schach. Sie plat­zieren Vorwürfe und Under­state­ments oder stellen Ansprüche, um sie für sich und ihre Bedürf­nisse zu instru­men­ta­li­sieren. Keine Situation, mit der man unbedingt tauschen möchte – die Bande sind zu fest gestrickt, das Blut zu dick, ein Ausweg scheint unmöglich, will sie nicht noch diesen Rest an Zuwendung in Form des Daseins für ihre Angehö­rigen verspielen.

Marc Rensings Film handelt davon, ange­sichts eines schwer­wie­genden Ereig­nisses wieder zu sich selbst zu finden, die längst verschollen geglaubten Träume neu zu entdecken und in die Tat umzu­setzen. Mögen die Grenzen noch so groß und schier unüber­wind­lich sein, sobald das Ziel klar und verin­ner­licht ist, gilt es, sich diesem mit aller Kraft und Energie hinzu­geben. Die Unter­s­tüt­zung, die sie erfährt, ist gering, Hinder­nisse und Versu­chungen lauern an allen Ecken, wichtig ist nur, sich von diesen nicht beirren zu lassen und den einge­schla­genen Weg weiter­zu­gehen. Derartige Einsichten und diese Form der Klarheit treten häufig erst im Angesicht schwer­wie­gender Krisen zu Tage, am Dras­tischsten beim letzt­li­chen Aus jeglicher Existenz: dem Tod.

Die Frau, die sich traut operiert mit eindrucks­vollen, tief­ge­henden Bildern. Rensing vertraut auf eine schlichte Struk­tu­rie­rung nicht nur bei der Auswahl der Hand­lungs­orte und hat den Film mit einer einfühl­samen, manchmal auch gewal­tigen Musik unterlegt. Trotz seines tragi­schen Grundtons erlaubt Rensing auch knappe und punktuell gesetzte Situa­ti­ons­komik. Damit gelingt es ihm, die Klarheit einer Entschei­dung aufzu­z­eigen und deutlich zu machen, wie wichtig es für uns alle ist, die eigenen Träume konse­quent zu leben und sich nicht von falschen Geistern täuschen zu lassen.
Wenn es etwas zu kriti­sieren gäbe, dann das unmit­tel­bare Aufein­an­der­folgen zweier Span­nungs­höhen und etwaiger Wende­punkte am Ende des Films, die leicht konstru­iert wirken. Über diese kleine Struk­tur­schwäche lässt sich aber getrost hinweg­sehen.