Die Frau des Anarchisten

Deutschland/E/F 2008 · 122 min. · FSK: ab 12
Regie: Marie Noëlle, Peter Sehr
Drehbuch:
Kamera: Jean-François Robin
Darsteller: Juan Diego Botto, María Valverde, Nina Hoss, Alba Barragán, Ainoa Ruiz u.a.
Anarchistenmutter: Martyrium, Heilige

Liebe und bewaffneter Kampf

»Sing leise für die Liebe und ganz laut für die Freiheit« – natürlich ist dieser Film so kitschig, oder wenn einem das lieber ist, so pathe­tisch, wie diese Zeile. Ande­rer­seits ist das die Wirk­lich­keit ja manchmal auch...

Eine Liebes­ge­schichte, eine Sehn­suchts­ge­schichte, die Geschichte von einer starken Frau und einem schwachen Mann, der ihre Liebe nicht verdient hat. Ein Melodram aus dem Spani­schen Bürger­krieg und der bleiernen Zeit, die ihm folgte.
Die Frau des Anar­chisten von Marie Noëlle und Peter Sehr beginnt im Winter 1937. Noch sind die repu­bli­ka­ni­schen Truppen vom Sieg überzeugt. Madrid ist zwar von den Faschisten einge­schlossen. Doch inmitten des Bomben­ter­rors ist für Manuela (María Valverde) und Justo Alvarez Calderón (Juan Diego Botto) noch Zeit für ihr junges Glück und die Freuden des Fami­li­en­le­bens. Sie haben mit Paloma (Alba Barragán) eine kleine Tochter, ein weiteres Kind ist unterwegs. Die junge schöne Frau aus großbür­ger­li­chen Kreisen und der idea­lis­ti­sche Jurist scheinen auf den ersten Blick ein unglei­ches Paar, aber sie sind über­zeugte Anti­fa­schisten und stehen beide fest auf Seiten der Repu­bli­kaner, sympa­thi­sieren mit der anar­chis­ti­schen Linken: Justos Waffe, wie man so sagt, ist das Wort: Täglich feuert er im Radio als »Stimme der Revo­lu­tion« die Vertei­diger der Republik an.

Die erste Hälfte von Die Frau des Anar­chisten, der auf Spanisch gedreht wurde, und den man sich daher unbedingt im Original angucken sollte, auch wenn Julia Jentsch und August Diehl als Synchron­spre­cher ihre Sache besser machen, als viele, schildert eindrück­lich, detail­liert und weit­ge­hend über­zeu­gend das Leben im bela­gerten Madrid bis in die ersten Monate nach dem Sieg des Gene­ra­lis­simo Franco: Der Film beschreibt die »Mond­sch­ein­kom­mandos«, die geheimen Killer­banden der Faschisten, die schon während der Bela­ge­rung Repu­bli­kaner und ihre Familien mordeten, er zeigt den Oppor­tu­nismus der Klein­bürger, die sich nach Außen demo­kra­tisch gaben, heimlich mit Franco sympa­thi­sierten, und nach dessen Sieg zu Profi­teuren der neuen Ordnung wurden. Der Riss in Spanien ging mitten durch Familien: Justos Bruder ist ein Partei­gänger der Falange. Auch die Exzesse der anderen Seite werden nicht verschwiegen – aber der Film macht immer klar, wo die Täter saßen, und wo die Opfer. In Deutsch­land unbekannt ist vor allem, das nach Francos Sieg noch Hundert­tau­sende Repu­bli­kaner ermordet, und oft an unbe­kanntem Ort verscharrt wurden, Millionen gefoltert oder über Jahre in Zwangs­la­gern inhaf­tiert oder vertrieben. Das alles wird hier eindring­lich an einem Einzel­fall beschrieben.

Die zweite Hälfte ist geraffter, kurz­at­miger: Während Justo in den Wirren der Nieder­lage verschwand, für tot erklärt wird, ist nur Manuela davon überzeigt, ihn wieder­zu­sehen – wird darüber fast verrückt. Aber sie behält recht. Acht Jahre dauert es, da treffen sie sich in Südfrank­reich. Aber Justo ist verwan­delt. Gebrochen, verschlossen, verschweigt er Manuela zu viel: Was ihm in den acht Jahren wieder­fuhr, in der fran­zö­si­schen Résis­tance und im deutschen KZ Maut­hausen, seine Affaire mit der deutschen Kampf­ge­fährtin Leni (Nina Hoss), und seine Pläne für ein Attentat auf Franco – so recht findet das Paar nicht mehr zusammen.

Manches ist nun geradezu atemlos an diesem Film, mitunter springt die Handlung viel zu schnell und ruckartig voran. Einer­seits hätte man straffen und glätten müssen, ande­rer­seits hätte viel mehr noch erzählt werden müssen, man spürt und versteht, dass die Regis­seurin an den Szenen hängt, und man bleibt, auch wenn der Ton mal schief ist, neugierig.

Insgesamt ist Die Frau des Anar­chisten also ein unge­wöhn­li­cher und unbedingt sehens­werter Film. Dies nicht etwa, weil er das Kino neu erfinden würde. Das behauptet er auch gar nicht. Der Stil ist konven­tio­nell, aber solide, also auch weit­ge­hend ohne jene Peinlich- und Geschmack­lo­sig­keiten, die einem derlei brave Histo­ri­en­filme sonst oft vergällen. Er ist aber sehens­wert, weil hier ein deutscher Film – aber ist das ein deutscher? – einmal nicht von Tätern und Mitläu­fern erzählt, und den wenigen bekannten Helden aus Offiziers- und Studen­ten­kreisen, sondern von jenen Facetten des Kampfs gegen den Faschismus, die in Deutsch­land unbekannt sind: Vom unbe­kannten bewaff­neten Wider­stand der Emigranten, die schon zehn Jahre vor dem 20.Juli 1944 Hitler mit Gewalt entge­gen­traten. Man hört solche Geschichten im verei­nigten Deutsch­land weniger gern und oft, als zuvor. Man kapri­ziert sich lieber auf aufrechte Unter­nehmer wie John Rabe oder die braven Großbür­ger­kinder um Hans und Sophie Scholl. Zufall? Nur Zufall? Kaum zu glauben, oder? Bei der Berlinale oder dem Deutschen Filmpreis vor wenigen Tagen kam dieser Film jeden­falls nicht vor – ähnlich wie vor Jahren Nico von Glasows Edel­weißpi­raten, der vom prole­ta­ri­schen Wider­stand in Köln handelte. Mit den Hofer Filmtagen hatte Die Frau des Anar­chisten nur auf einem renom­mierten, aber kleinen Festival Premiere.

Der Spanische Bürger­krieg (1936-1939) ist in Deutsch­land zu Unrecht vergessen, die Erin­ne­rung an ihn verdrängt, dabei war dies ein epochales Ereignis, politisch wie kulturell. Weil diese Erin­ne­rung unbequem ist.
Denn bis heute ist der Spanische Bürger­krieg eine offene Wunde nicht nur in der Geschichte Spaniens. Das Appeas­e­ment des Westens, der der freien Republik die Unter­s­tüt­zung gegen den Putsch der Faschisten verwei­gerte, ist eine der Ursünden demo­kra­ti­scher Politik im 20. Jahr­hun­dert, der Höhepunkt eines nach­gie­bigen, schwachen Verhal­tens, das der Aggres­sion Hitlers den Boden bereitete, nicht weniger politisch falsch und moralisch verwerf­lich als das »Münchner Abkommen« kurz darauf. Der Riss, der durch Spanien ging, ging seiner­zeit zugleich durch die ganze Welt, nicht zuletzt durch Deutsch­land: Hitlers Legion Condor überzog die Zivil­be­völ­ke­rung Spaniens mit Bomben­terror, dafür kämpften emigrierte Deutsche auch in den Inter­na­tio­nalen Brigaden sowie den anar­chis­ti­schen und kommu­nis­ti­schen Verbänden auf Seiten der Republik.

Die Filme­ma­cherin Marie Noelle, in Frank­reich als Tochter einer spani­schen Mutter und eines fran­zö­si­schen Vaters aufge­wachsen, erzählt in Die Frau des Anar­chisten auch die Geschichte ihrer Groß­el­tern und ihrer Mutter. Das Drehbuch basiert auf Erin­ne­rungen der Mutter Noelles, und der Befragung von Zeit­zeugen. Die Frau des Anar­chisten ist damit vor allem eine über­fäl­lige Würdigung der Biogra­fien vieler Linker im 20.Jahr­hun­dert. Sie kämpften immer wieder gegen den gleichen Feind – später in Algerien und Vietnam, auf den Straßen 1967/68... Und für das Selbe: Die Freiheit.

Auf die Fugen des Bildes beharren

Ihre Mutter muss oft von der Gross­mutter erzählt haben. Wie sie 1937 in dem von Faschisten bela­gerten Madrid ausharrte und auf ihren Mann Justus wartete, der als Radio­re­porter Wider­stand leistete. Wie sie diesen über alles geliebten, stolzen Mann Jahre später im südfran­zö­si­schen Exil wieder­traf. Ausge­mer­gelt, mit tief­schwarzen Ringen unter den Augen. Viel­leicht ließ ihre Mutter nur verein­zelt Bemer­kungen fallen, viel­leicht schil­derte sie die Ereig­nisse ganz offen, stolz. Egal. Marie Noelle hat ihr zugehört, die Erzählung hallte nach. Bei mancher Erin­ne­rung ihrer Mutter hat die Regis­seurin nach­ge­fragt, sprach sie mit Zeit­zeugen und recher­chierte über die Zeit des Spani­schen Bürger­krieges. So drehte sie mit ihrem Mann, Regisseur Peter Sehr, den Spielfilm Die Frau des Anar­chisten. Eine Liebes­ge­schichte.

Gleich im Vorspann tauchen Origi­nal­pla­kate auf, die zum Kampf gegen Franco und sein Regime aufrufen. Doku­men­tar­auf­nahmen zeigen Bomben­staf­feln und zerstörte Gebäude. Madrid wird im Winter 1937 von der Falange Espanola belagert. Das Univer­sitäts­viertel Moncloa haben sie bereits einge­nommen, der Rest der Stadt ist in den Händen der Repu­bi­kaner. Noch. Im Radio wettert die »Stimme der Revo­lu­tion« feurig gegen Franco; sie gehört Justo Alvarez Calderon (Juan Diego Botto). Seine Frau Manuela (Maria Valverde) und Tochter Paloma (Alba Barragan) verfolgen am Röhren­gerät jedes seiner Worte.

Von Anfang an vermengen die Regis­seure Fiktion mit Fakten, um diese Liebes­ge­schichte mit aller Wucht zu erzählen und den Geist dieser Jahre herauf­zu­be­schwören. Ellip­sen­haft fassen sie die Jahre des Bürger­krieges in Spanien zusammen, ebenso wie die Zeit des Exils in Südfrank­reich. Wie sollte man auch anders die Unge­heu­er­lich­keit des Krieges in 122 Minuten erzählen. Manche Szene jedoch irritiert, wenn Manuela etwa im Nerz­mantel durch die Straßen stolziert oder sich in einem Salon die Hände maniküren lässt. Insbe­son­dere als es auf dem Heimweg zu einem Bomben­an­griff kommt, bei dem ein Mädchen stirbt. Andere Szenen wiederum bewegen, wenn Paloma (Ivana Baquero) etwa mit einem herun­ter­ge­rutschten Seiden­strumpf hilflos vor ihrem Vater steht. Ihre letzte Begegnung liegt Jahre zurück, da trug Justo sie auf seinem Arm und war noch nicht von deutschen Soldaten ins Lager Maut­hausen inhaf­tiert worden.

Solch eine Collage (ver)führt zu Brüchen, zu Leer­stellen, zu Fugen. Doch bei all diesen Sprüngen, die sich die Regis­seure erlauben, rührt das Erzählte an eine innere, verges­sene Wahrheit. Es lässt Raum, sich zu erinnern, dass Intel­lek­tu­elle wie Ernest Hemingway, Georg Orwell, Egon Erwin Kisch, Bertolt Brecht oder Robert Capa damals nach Spanien reisten, um in den Schüt­zen­gräben für die junge Republik zu kämpfen. Der spanische Bürger­krieg war mehr als eine nationale Ange­le­gen­heit. Die Welt wollte nicht tatenlos hinnehmen, dass die Demo­kratie dieser­orts durch einen Putsch unter­graben wird – und schei­terte schließ­lich mit ihrem hehren Unter­fangen, dem es an Entschie­den­heit fehlte; mit Francos Sieg konnte sich der Faschismus endgültig in Deutsch­land und Italien breit machen.

»Gerade auf den Fugen des Bildes ist zu beharren. Viel­leicht steckt in ihnen die Wahrheit, um derent­willen, ohne daß es die Erzähler wüßten, erzählt wird«, schreibt Hans Magnus Enzens­berger 1972 in seinem Roman Der kurze Sommer der Anarchie. Darin versucht er über Broschüren, Flug­bät­tern, Repor­tagen, Reden, Memorien und Inter­views mit Augen­zeugen Leben und Tod des Anar­chisten Buena­ven­tura Durruti zu rekon­stru­ieren und die Erin­ne­rung an ihn wach zu halten. Marie Noelle und Peter Sehr erinnern mit Die Frau des Anar­chisten ebenfalls an längst Verges­senes. An den Wider­stand der Linken im Spani­schen Bürger­krieg und an all die noch nicht erzählten, tief verbor­genen Geschichten dieser Zeit – auch innerhalb der eigenen Familie.