Feuerwerk am helllichten Tage

Bai ri yan huo

China 2014 · 109 min. · FSK: ab 16
Regie: Diao Yinan
Drehbuch:
Kamera: Dong Jingsong
Darsteller: Liao Fan, Gwei Lun Mei, Wang Xuebing, Wang Jingchun, Yu Ailei u.a.
Farben als Stimmungsträger

Ein Detektiv auf Abwegen

Bilder sind es nicht zuletzt, die von diesem hervor­ra­genden Film bleiben: Eislaufen bei Nacht. Sex in der Kabine eines Riesen­rads. Ein mensch­li­ches Auge in der Nudel­suppe eines Billig­im­biss. Ein Schla­fender an einer Straße im Schnee. Und ein »Feuerwerk am hell­lichten Tag« – so wie der deutsche Titel dieses Films höchst poetisch lautet.

Alles beginnt wie ein ganz normaler Krimi. »Tatort« in China. Eine Leiche wird gefunden, und obwohl sie zerteilt ist, schnell iden­ti­fi­ziert. Die Polizei ermittelt, verschie­dene Menschen sind verdächtig, darunter auch eine Frau, die Witwe des Toten. Dann versiegen die Ermitt­lungen im Sand.
Und eine Verhaf­tung, die in ein Blutbad mündet, zerstört das Leben von Zhang Zili, des ermit­telnden Poliz­ei­kom­mis­sars der Mord­kom­mis­sion. Er verliert seinen Job, muss sich mit Gele­gen­heits­ar­beiten durch­schlagen und beginnt zu trinken.

Jahre später setzt dieser Film dann nach einer guten Vier­tel­stunde zum zweiten Mal ein, und beginnt gewis­ser­maßen noch einmal von vorn. Und alles hat sich verändert. Der ganze Charakter des Films hat sich zu einer Sozi­al­studie gewandelt. Sie spielt irgendwo im land­schaft­lich gesichts­losen Nordosten Chinas, der kargen Kohle­re­gion, die von Förder­türmen und Geröll­halden geprägt ist, durch­zogen von Trans­port­trassen der Bahn. Es ist dort kalt und windig, und weil der Film nicht nur meist nachts sondern auch vor allem im Winter spielt, sind Straßen und Häuser oft schnee­be­deckt. Aber die Gefühle sind um so hitziger, die Leiden­schaften glühen so still wie dauerhaft vor sich hin.

Black Coal, Thin Ice, »Schwarze Kohle, dünnes Eis«, hieß dieser Film des chine­si­schen Regis­seurs Daio Yinan im Februar im inter­na­tio­nalen Vertriebs­titel, als er bei der Berlinale, für viele über­ra­schend, aber keines­wegs unver­dient den Goldenen Bären der Berliner Film­fest­spiele gewann. Jetzt kommt er unter dem Titel Feuerwerk am hell­lichten Tage heraus, der ausnahms­weise einmal recht treffend die etwas bizarre Poesie dieses Films verdichtet, seine Wider­sprüch­lich­keit, mit der hier Extreme verbunden werden.

Denn Feuerwerk am hell­lichten Tage ist ein Film über das China von heute, über eine Gesell­schaft im extremen Wandel und mora­li­schen Verfall bei gleichz­ei­tiger rasanter tech­ni­scher Moder­ni­sie­rung. Das dünne Eis ist auch eine soziale Metapher.

Dies ist ein Film der Metaphern: Hitze, Kälte, Amoral. Es sind Metaphern für die Folgen der Hyper­mo­der­ni­sie­rung, des rasenden Wandels im China von heute. Die Haltung des Regis­seurs im Blick auf die Gesell­schaft ist erkennbar kultur­kri­tisch und -pessi­mis­tisch, aber nie nost­al­gisch. Keiner sehnt sich hier nach irgend­wel­chen alten Zeiten zurück. Es geht Daio Yinan um präzise Beob­ach­tungen und Bestands­auf­nahmen und hierin, im kühlen Blick auf das Abgrün­dige, verbunden mit der Sympathie für die Menschen, mit ihren Schwächen, steht Daio Yinan seinen Kollegen des chine­si­schen Gegen­warts­kinos, insbe­son­dere dem Neorea­lismus der »Sechsten Gene­ra­tion« im Gefolge des berühmten Jia Zhang-ke nahe.

So ist Feuerwerk am hell­lichten Tage zugleich ein Film über einzelne Menschen in dieser Gesell­schaft. Da ist zual­ler­erst Zhang Zili, der Polizist, der am Anfang ermittelt. Wir wissen, dass er gerade eine Scheidung hinter sich hat. Bald darauf scheitert er auch beruflich: Nach einer fehl­ge­schla­genen Verhaf­tung wird er vom Dienst suspen­diert, muss sich als Tagelöhner verdingen und trinkt zuviel. Nach dem Zeit­sprung setzt der Film damit wieder ein, dass seine ehema­ligen Kollegen ihn um Mithilfe bitten. Aus der zerstü­ckelten Leiche vom Anfang ist eine rätsel­hafte Mordserie geworden, und die Witwe weiterhin verdächtig. Er soll als eine Art Privat­de­tektiv verdeckt ermitteln, sprich sich an die geheim­nis­volle Schönheit heran­ma­chen, die in einer Reinigung arbeitet.

Und natürlich kommt es bald, wie es kommen muss: Der Ermittler verliebt sich in sein Ziel­ob­jekt, wie einst Robert Mitchum in Veronica Lake – ein Detektiv auf Abwegen und eine Femme fatale von nebenan, in deren masken­haft-schönem Gesicht keine Spur von Schuld und Sühne zu entdecken ist. In ihrem Leben gibt es – wenig über­ra­schend – noch einen anderen Mann. Und es gibt immer neue Morde, auch welche, die mit scharfen Eiskufen verübt werden, die in dieser Gegend jeder Zweite über den Schultern trägt.

So verbinden sich sozialer Realismus und Melodram zum fast klas­si­schen Film-Noir aus China, einem aufre­genden, visuell sehr anspre­chenden Licht-Schatten-Spiel, das auch vom mora­li­schen Zwielicht handelt.

Dies ist also das leider zu seltene Beispiel eines Films, in dem Form und Inhalt einander ganz entspre­chen. Eine moderne Spielart des Detektiv-Genres, spannend bis zum Schluss und so poetisch wie ein Klassiker der fran­zö­si­schen »Schwarzen Serie«.

Pferd im Flur

Auf der dies­jäh­rigen 64. Berlinale wurde Richard Linkla­ters über einen Zeitraum von zwölf Jahren gedrehtes Coming-of-Age-Drama Boyhood als klarer Favorit gehandelt. Über­ra­schen­der­weise entschied sich die Jury jedoch den Haupt­preis an einen verhält­nis­mäßig kleinen Beitrag aus China zu vergeben. So gewann der von Diao Yinan geschrie­bene und insz­e­nierte Thriller Feuerwerk am hell­lichten Tage den Goldenen Bären. Diese unver­hoffte Entschei­dung ist berech­tigt. Das Reich der Mitte präsen­tierte bei der Berlinale gleich mehrere starke Genre-Beiträge. Unter diesen stach Diao Yinans sehr atmo­s­phä­ri­scher und sehr eigen­s­tän­diger Neo-Noir deutlich hervor.

1999 in einer nord­chi­ne­si­schen Provinz. In einer Fabrik liegt auf einem Förder­band mit Kohle eine abge­trennte Hand. In einem Imbiss blickt ein mensch­li­ches Auge einen Kunden aus einer Nudel­suppe heraus an. Weitere Leichen­teile werden über die gesamte Provinz verteilt gefunden. Der Täter scheint schnell ausge­macht. Doch bei seiner Festnahme kommt es zu einer Schießerei, der zwei Poli­zisten zum Opfer fallen. Zhang Zili (Liao Fan) überlebt schwer­ver­letzt, wird jedoch vom Dienst entlassen. Er beginnt eine Arbeit als Wachmann und entwi­ckelt sich zu einem Trinker. Als es fünf Jahre später zu ähnlichen Morden wie damals kommt, erwacht Zhang aus seiner Lethargie und wird vom alten Jagd­fieber gepackt. Zusammen mit einem alten Kollegen bei der Polizei begibt er sich auf Täter­suche. Hierbei begegnet Zhang die geheim­nis­volle Reini­gungs­an­ge­stellte Wu Zhizhen (Kwai Lun-mei), die mehrere der Opfer persön­lich kannte. Er verab­redet sich mit der jungen Schönen und immer mehr gerät sein eigenes Leben in Gefahr...

Feuerwerk am hellichten Tag besitzt alle Zutaten eines klas­si­schen Film Noir; reichert diese jedoch um ganz eigene Elemente an. Zu Recht erhielt Liao Fan für seine Darstel­lung des abge­half­terten Ex-Cops Zhang Zili den Silbernen Bären als bester Haupt­dar­steller. Der versof­fene Verlierer, der es noch einmal wissen will, ist ein fast arche­ty­pi­scher Antiheld und zugleich eine sympa­thi­sche Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur. Zhang ist ein Durch­schnitt­styp, dessen Schwächen schnell ersicht­lich sind. Aber trotz seiner rauen Schale ist er kein schlechter Mensch und man fiebert mit ihm bei seiner Suche nach persön­li­cher Reha­bi­li­ta­tion und nach Erlösung mit. Zhang gegenüber­ge­stellt ist die von der Taiwa­nesin Kwai Lun-mei verkör­perte Wu. Diese Figur ist sofort als die Femme fatale erkennbar, die in keinem anstän­digen Film Noir fehlen darf. Aller­dings ist Wu keine klas­si­sche Alpha-Frau wie zu Zeiten der origi­nalen Schwarzen Serie, sondern eine trotz ihrer relativen Größe recht verloren und fast zerbrech­lich wirkende Person.

Diese ungla­mourösen Charak­tere passen zu der Feuerwerk am hell­lichten Tage ausz­eich­nenden Boden­s­tän­dig­keit. Die unbe­kannte nord­chi­ne­si­sche Klein­stadt besitzt nichts von der Mondänität einer chine­si­schen Metropole, wie man sie aus Klas­si­kern des Genres, wie Orson Welles' Die Lady von Shanghai (1947) kennt. Das Thema des Films ist weder die Verkom­men­heit einer deka­denten Ober­schicht noch die Leiden im Sinkflug begrif­fener ehema­liger großer Stars wie in Billy Wilders Boulevard der Dämmerung (1950). Statt­dessen stellt der im kommu­nis­ti­schen China spielende Film ganz einfache Menschen in den Mittel­punkt. Statt rauschender Feste mit Sekt und Kaviar gibt es hier Schweiß, Bier und Kohlen­staub.

Trotz dieses leicht ranzig-schmud­de­ligen Charmes ist Feuerwerk am hellichten Tag stark stili­siert. Hierbei sind es immer wieder die beiden Komple­men­tär­farben Rot und Grün, die aus der vorherr­schenden Dunkel­heit leuchtend hervor­treten. Die oft grellen Farben im Film setzen nicht bloß optische Ausru­fez­ei­chen, sondern sind auch starke Stim­mungs­träger. Das kühle Grün vermit­telt emotio­nale Distanz, das feurige Rot Sinn­lich­keit und Leiden­schaft, aber auch Gefahr und Tod. Generell funk­tio­niert Diao Yinans Film viel mehr über seine starke Atmo­s­phäre und seine wech­selnden Stim­mungen als über den oftmals recht ziellos umher­schlin­gernden Plot. Hierbei gilt die besondere Aufmerk­sam­keit des Filme­ma­chers dem kleinen skurrilen Detail.

Etwa der aller­ersten Einstel­lung; dem Blick auf einen Kohle­trans­port, wo inmitten von Kohle ein verdächtig, verschnürtes Bündel sichtbar wird. Es steigert sich im Verlaufe der Handlung zu surrealen Szenerien, wie einem Pferd, das unver­hofft im Flur eines Polizei­re­viers steht. Der Höhepunkt ist das titel­ge­bende „Feuerwerk am hell­lichten Tage“, bei dem der Film völlig unver­hofft abbricht. Dass ausge­rechnet diese für den Film bezeich­nende, aber nicht hand­lungs­re­le­vante Passage auch im chine­si­schen Original Bai ri yan huo für Feuerwerk am hell­lichten Tage titel­ge­bend wurde, ist ein einziges filmi­sches Augen­zwin­kern. Es zeugt von der Chuzpe eines ebenso kompe­tenten, wie humor­vollen Filme­ma­chers, der sein Handwerk derart gut beherrscht, dass er nicht nur einzelne Szenen scheinbar beiläufig mit lockerer Hand hinwirft, sondern sogar den gesamten Film auf diese Weise unver­hofft ausklingen lässt.