Exit Marrakech

Deutschland 2013 · 122 min. · FSK: ab 6
Regie: Caroline Link
Drehbuch:
Kamera: Bella Halben
Darsteller: Samuel Schneider, Ulrich Tukur, Hafsia Herzi, Josef Bierbichler, Sophie Rois u.a.
Verirrung auf dem Bazar der Klischees

Die Frau, die zuviel wusste

Gut zehn Jahre ist es nun her, dass sie für Nirgendwo in Afrika ihren Oscar gewann, den ersten für eine Deutsche seit über 20 Jahren und überhaupt erst der zweite nach dem Krieg. Seitdem hat sich Caroline Link über­ra­schend rar gemacht, und nicht wirklich aus dem großen Schatten dieses Triumphs gelöst. Dabei ist die 49-jährige Münchner Regis­seurin doch mit ihrer Mischung aus Anspruch und Prag­ma­tismus, der Vielfalt ihrer Inter­essen und der Genau­ig­keit ihres Blicks, genau der Typ Filme­ma­cherin, von der man gern viel mehr sähe, und genau das, um es einmal pathe­tisch zu formu­lieren, »was das deutsche Kino braucht«.

Natürlich gibt es für die Spar­sam­keit einfache Erklä­rungen: Link neigt nicht zum Übereifer, ein Projekt platzte, sie wollte sich um ihre junge Tochter kümmern, und mit Im Winter ein Jahr kam 2008 ein Film heraus, der sehr freund­lich aufge­nommen wurde, und zu den ange­nehmen deutschen Kino­er­fah­rungen der letzten Dekade zählt – ohne wirklich »einzu­schlagen«. Doch auch Links neuer Film, Exit Marrakech, lässt sich eine Frage nicht verdrängen, deren Antwort man nach dem fünften Film einer Regis­seurin langsam kennen sollte: Was möchte diese Künst­lerin? Warum macht sie Filme? Was treibt sie an?

Links Hand­schrift ist klar: Sie erzählt realis­tisch, ist frei genug Poesie zuzu­lassen, sie scheute die erzie­he­ri­sche Haltung einiger Kollegen ebenso wie den Hang zur Unter­hal­tung um jeden Preis, der manche Filme so entset­z­lich seicht macht. Link macht sich die Dinge nicht leicht, ohne dass ihre Filme je schwerblütig wären. Sie inter­es­siert sich für Beob­ach­tung, und was sie da sieht, dass sind mensch­liche Geschichten, für familiäre Bezie­hungen, für das kleine Schweigen im großen Gerede.

Auch Exit Marrakech ist von diesem Interesse für Fami­li­en­struk­turen und Fami­li­en­ge­heim­nisse dominiert. Josef Bier­bichler, Haupt­dar­steller in Links letztem Film, spielt zu Beginn einen Lehrer, der den ersten Satz aus Tolstois »Anna Karenina« zitiert, und damit gewis­ser­maßen das Programm auch dieses Films: »Alle glück­li­chen Familien gleichen einander, jede unglück­liche Familie ist auf ihre eigene Weise unglück­lich.« Gedämpft wird solches Pathos dann durch die grund­sät­z­liche Boden­s­tän­dig­keit Links: Gefühle – ja bitte. Aber bloß nicht zu dick auftragen.

Wieder einmal ist Link von Zuhause ausgerückt, hat deutsche Menschen in eine fremde Umgebung verpflanzt – ins Gewusel der schönsten Altstadt Nord­afrikas, wo bereits Alfred Hitchcock einst einen Thriller drehte, der ein verstecktes Ehedrama in sich birgt: The Man Who Knew Too Much mit James Stewart und Doris Day

Über­ra­schend ähnlich wirkt Ulrich Tukur hier in der Haupt­rolle dem klas­si­schen Hollywood-Star. Denn wie dieser in vielen Rollen spielt auch Tukur einen Mann, der stärker tut, als er ist, dessen Verlet­z­lich­keit sich offenbart, und die er dann doch selbst besiegt. Dieser Heinrich ist nach Marrakech gereist, um dort seinen Sohn Ben (Samuel Schneider) zu finden. Beide haben Probleme mitein­ander, die Atmo­s­phäre ist ange­spannt. Ben ist Inter­nats­schüler und Schei­dungs­kind, der Vater ein Künstler, der sich für seinen Sohn weniger inter­es­siert als für Literatur.

Dann bricht das Fremde ein, zunächst verfüh­re­risch in Form der bild­schönen Prosti­tu­ierten Karima (Hafsia Herzi, Star des fran­zö­si­schen Kinos), der Ben in ihr Heimat­dorf in der Wüste folgt – wäre dies nicht der Film von einer Frau, würde man hier von Männer­phan­ta­sien sprechen. Link erzählt offen, hat einen neugie­rigen Blick – das ist ihre Stärke. Aber der Vater reist dem Sohn hinterher, und weil dies eine Geschichte für Erwach­sene ist, die doch irgendwie gut ausgehen soll, wird ein Joint geraucht und der Ödipus-Konflikt so lange verquas­selt, bis man sich in der Wüste versöhnen kann – wie Paul Bowles und Berto­lucci findet auch Link in Marokko vor allem erotische Versu­chung und einen Ort der Katharsis, wie zahllose deutsche Filme, die Deutsche im Urlaub mal ordent­lich in die Krise geraten lassen, ange­fangen von den Roman­ti­kern, sind fremde Länder auch für Link und ihre Figuren vor allem ein Grund zur Selbst­fin­dung und dazu, sich sehr deutsch zu benehmen. Etwas mehr südliches Flair und Heiter­keit, etwas weniger Boden­s­tän­dig­keit hätte der Handlung und den Figuren gut getan. So ist alles recht erwartbar – immer intel­li­gent, schön anzusehen, aber nie richtig spannend.