USA 2004 · 113 min. · FSK: ab 16 Regie: Renny Harlin Drehbuch: Alexi Hawley Kamera: Vittorio Storaro Darsteller: Stellan Skarsgård, Izabella Scorupco, James D'Arcy, Remy Sweeney u.a. |
||
Die Archäologie des Grauens |
Eine böse Geschichte: Jahrelang wird ein neuer Film der erfolgreichen Exorzisten-Saga geplant. Paul Schrader bekommt schließlich den Zuschlag, dreht seine Vision einer Austreibung. Nachdem der Film fast fertig ist, fällt den Herren bei Morgan Creek Productions auf, dass zu wenig blutspritzende Gewalt vorkommt, der Zugang zu den Kinomassen scheint damit versperrt. Schrader wird aus dem Projekt geworfen und Renny Harlin – immerhin für die Blut- und Actionorgien A Nightmare On Elmstreet IV und Die Hard 2: Die Harder verantwortlich – mit einem Neudreh beauftragt. Noch mal werden 50 Millionen Dollar locker gemacht, der Plot umgeschrieben und bis auf wenige Szenen ein komplett neuer Film gedreht. Nun kommt dieser Exorzist – Der Anfang in die Kinos. Dass aber eine Menge Leute eigentlich auf die Version von Schrader gespannt sind, darauf hofft man bei Morgan Creek natürlich hinsichtlich der Veröffentlichung auf DVD, die dann beide Filmen beinhalten soll.
Exorzist – Der Anfang beginnt mit einem Ende. Eine gigantische Schlacht im tiefsten Mittelalter ist geschlagen. Der scheinbar einzige Überlebende findet eine kleine Figur, den Kopf eines seltsam böse schauenden Wesens. Eine Kamerafahrt in den Himmel offenbart das ganze Grauen: An unzähligen Kreuzen hängen unzählige Männer – mit dem Kopf nach unten. Das Böse taucht sofort in den mächtigsten Ausmaßen auf. Viel zu tun also für Lankester Merrin, der 1949 den Auftrag erhält, bei den Ausgrabungen einer frühchristlichen Kirche in Afrika nach eben dieser Figur zu suchen.
Schon vor einunddreißig Jahren machte William Friedkin bei der Verfilmung von William Peter Blattys Roman »Der Exorzist« den greisen Pater Merrin zum Held, der einem besessenen kleinen Mädchen den Teufel austreibt. Friedkin lockte damals mit New-Hollywood-Radikalität sehr viele Menschen ins Schauer-Kino, um sich dort virtuos inszenierten Grausamkeiten und Schockzuständen auszusetzen. Der erste Horror-Blockbuster der Filmgeschichte. Das Kino war als zugkräftige Geisterbahn etabliert. Im Jahr 2004 hat ein Exorzisten-Film natürlich einen ganz anderen Zuschauer zu bedienen, einen eingesehenen; einen, der mit den grellen Effekten des Gruselkinos aufgewachsen ist. Der den Exorzisten-Plot – Mensch(heit) wird von Teufel befallen, Pater muss Teufel austreiben und Mensch(heit) retten – nicht nur durch die Sequels von John Boorman und William Peter Blatty längst verinnerlicht hat. Exorzist – Der Anfang ist nun ein Prequel zum Kult von 1973, eine Vorgeschichte also, in der Pater Merrin quasi sein Exorzisten-Examen ablegen muss.
Die Archäologie des Grauens nimmt dieser Film ganz wörtlich, lässt seine Geisterjäger tief in die Dunkelheit des Christentums hinabsteigen. Außen in strahlendem Weiß, zeigt sich die Kirche, die ein kleiner Forschertrupp mit Hilfe der kenianischen Turkana-Stämme ausgräbt, innen gefährlich dunkel. Hinein muss Merrin allein, soll doch jeder der sie betritt, dem Irrsinn verfallen. Dort schimmern goldene Luzifer-Mosaike und bedrohliche Marmorstatuen zeigen Schwerter tragende Engel. Am geschändeten Kreuz hängt Jesus mit dem Kopf nach unten über dem steinernen Altar. Umgedrehte Kreuze, Fratzen von Dämonen und allerlei andere Vorboten der Finsternis findet Merrin auch bei Bession, dem ehemaligen Leiter der Ausgrabung, den er in einer Irrenanstalt aufsucht. Der Fluch der Kirche scheint Wirklichkeit zu werden, besonders als sich im Körper eines kleinen Jungen die vibrierenden Anzeichen des Bösen offenbaren.
Harlins Film tut sich schwer, die Oberflächen des Nervenkitzels zu durchstoßen. Die Räume sind meist dunkel beleuchtet, wirken Gefahr versprechend: von der heruntergekommen Station mit den engen Gängen bis zur gespenstischen Kirche und ihrem Unterbau. Das Personal changiert zwischen Freakshow und Voodoo, zwischen eitrigem, geilen Säufer und zum Fürchten bemalten Einwohnern. Weit entfernt vom amerikanischen Durchschnittshaus, in welches das Grauen bei Friedkin einst Einzug hielt. Außerdem ist das Böse jetzt richtig böse. Merrin plagt ein schweres Nazi-Trauma, musste er doch als Priester in Holland unter Zwang zehn Menschen in den Tod schicken. Das Priesteramt hat er seitdem nieder gelegt. Die schöne Ärztin Sarah Novack, eine der wenigen Verbündeten Merrins in Afrika, trägt eine KZ-Nummer am Arm, das Opfermal des Bösen. Der irre gewordene Bession hat sich schließlich ein riesiges Hakenkreuz in die Brust geritzt, er scheint der Teufel selbst zu sein.
Bei all den Menschlichkeiten, die dem Nationalsozialismus derzeit im deutschen Film widerfahren, täte ihm ein bisschen Dämonisierung bestimmt nicht schlecht. Aber so einfallslos, wie Exorzist – Der Anfang nur dieses eine Symbol für das Übel der Welt findet, verliert man schnell die Lust an der dunklen Seite. Da helfen auch die üblichen Schockeffekte zwischen Hell und Dunkel, Ruhe und Bewegung, Laut und Leise wenig, die mal von flatternden Raben, mal von bissigen Hyänen ausgelöst werden. Genauso kann der stets zerknittert dreinblickender Stellan Skarsgård die Glaubens(wieder)findung von Merrin nicht spannend gestalten. Auf andere geistvolle Figuren hat Harlins Film gleich ganz verzichtet, dagegen die Versuchung Merrins als erotische Horror-Mär in Szene gesetzt. Der gewaltig lockenden Ursünde muss er entgehen, um die Welt zu retten, die derweil einen teuflischen Krieg der Selbstzerstörung begonnen hat. Das Blut fließt in den Mengen, die sich die Produktion wohl schon von Schrader erwünscht hatte.
Das Ende ist wie der Beginn: Ein leichenübersätes Schlachtfeld. Dann der Platz vor dem Petersdom in Rom. Exorzist – Der Anfang sucht in der Totalen sein Heil – vergeblich. Zu eindeutig sind die Zeichen dieses Films, zu reibungslos funktioniert die Visualisierung von Gut und Böse, um wirklich beängstigen zu können.