Eva Hesse

USA/D 2016 · 105 min.
Regie: Marcie Begleiter
Drehbuch:
Kamera: Nancy Schreiber, Ed Moore, Liza Bambenek
Schnitt: Azin Samari
In den 60er Jahren jung gewesen, und dort geblieben: Eva Hesse, die viel zu früh verstorbene Künstlerin

Reise in eine Zeit von Aufbruch und Freiheit

»There’s not been one normal thing in my life. Not one.« – Eine Frau erzählt aus dem Off. Dazu sieht man alte Super8- und 16mm-Aufnahmen, leicht verschwommen mitunter und etwas grob­kör­niger als gewohnt, mit warmen Tech­ni­color-Farben. Warm ist auch die Frau­en­stimme, die aus dem Off uns Zuschauern ihr Leben erzählt. Sie gehört zwar nicht der Frau um die es hier geht, der Künst­lerin Eva Hesse, sondern von der ameri­ka­ni­schen Schau­spie­lerin Selma Blair gelesen, aber sie ist dieser Origi­nal­stimme sehr ähnlich, die wir später in einigen seltenen Momenten hören.

Eva Hesse ist ein Mythos. Ein paar Jahre lang war sie ab Mitte der Sechziger eine der gefrag­testen Gegen­warts­künst­le­rinnen, gerade auch in ihrem Geburts­land Deutsch­land. Dann starb sie mit erst 34 Jahren an einem Gehirn­tumor. Zurück blieb ihr Werk, blieben Erin­ne­rungen ihrer Mitmen­schen und persön­liche Aufzeich­nungen. »Eine auto­bio­gra­phi­sche Skizze eines Niemand« – so benannte die Künst­lerin Eva Hesse im Alter von 19 Jahren ihr Tagebuch. Etwas später aber klingt sie selbst­ge­wisser: »Ich bin eine Künst­lerin!« Gerade ihre ungemein reich­hal­tigen Briefe, Notizen und Tage­bücher, dazu Texte ihrer Familie, bilden die Grundlage des Doku­men­tar­films, in dem die New Yorker Regis­seurin Marcie Begleiter in ihrem ersten Debüt den Mythos Eva Hesse jetzt auf besonders spannende, eindring­liche Weise lebendig macht.

So folgt der Film ihrer Lebens­bahn: 1936 in Hamburg geboren, als Jüdin von ihren Eltern kurz darauf mit einem Kinder­trans­port nach England vor der Mord­ma­schine der deutschen Faschisten in Sicher­heit gebracht, dann später mit Eltern, Groß­el­tern und Schwester in New York aufge­wachsen. Hesse studierte Malerei und Archi­tektur, wurde von Marcel Duchamp angeregt, und begann ab Anfang der 1960er Jahre eine Karriere als Künst­lerin – was zu dieser Zeit für eine Frau immer noch unge­wöhn­lich war.

Hesse war ein junges Genie, das 1965, als sie nach einer Jugend im ameri­ka­ni­schen Exil in ihre deutsche Heimat zurück­kehrte, schon mit noch nicht einmal dreißig die west­deut­sche Kunst­szene durch­ein­an­der­wir­belte. Ein paar Jahre lang war sie Avant­garde: Ganz vorn in der Kunst-Szene von Manhattan und Europa.

Hesses oft abstrakte Objekt­kunst, die der Arte Povera und der Prozeßkunst zuge­rechnet werden, zeichnen sich durch einen ganz eigenen, auch eigen­wil­ligen und unver­wech­sel­baren Stil aus.

Geprägt wird Beglei­ters Doku­men­tar­film neben Inter­views mit Wegge­fährten, Künstlern und Ausstel­lungs­ma­chern, durch atem­be­rau­bende alte Film­auf­nahmen, Archiv­ma­te­rial, Texte Hesses, die aus dem Off gelesen werden – als ob die Künst­lerin ihr Leben selbst erzählt. Dabei spricht sie offen über Selbst­zweifel, Einsam­keit, aber auch die freudige Erregung des Künst­le­rin­nen­da­seins.

Dies ist darum auch ein Film über das Erwach­sen­werden beider Geschlechter in einer von den Alten beherrschten Welt, und über die Durch­set­zung und Eman­zi­pa­tion einer Frau in einer von Männern domi­nierten Ordnung. Über den Kampf um Gleich­be­rech­ti­gung. Gerade auch, weil Hesse das Etikett einer »weib­li­chen Kunst« strikt ablehnte.

Künst­ler­do­ku­men­tar­filme sind nicht unpro­ble­ma­tisch. Entweder handelt es sich um ausge­wei­tete Lexi­kon­ar­tikel, oder sie sind drama­ti­siert. Dann folgen sie dem Modell des verkannten Genies oder der immer schon ange­legten Erfolgs­ge­schichte. Oder sie beschreiben Scheitern, frühen Tod und Nachruhm, oder erzählen von Schick­sals­schlägen, die in Form von Kunst­werken fruchtbar werden. Alles Kitsch im Grunde.
Künstler wissen nichts von solchen Senti­men­ta­lismen und Phrasen. Das alles vermeidet Begleiter. Ihr Film faszi­niert nicht allein als Hommage an eine faszi­nie­rende Frau. Er ist auch eine fesselnde Zeitreise in jene Jahre, als Europa jung und progressiv war, den alten Muff der Kriegs-und Nach­kriegs­zeit abschüt­telte. Eine Zeit, in der – so kommt es einem vor – die Menschen Hoff­nungen und Ideale hatten und eigent­lich vieles besser war.

Eine ungemein freie Zeit muss es gewesen sein in den späten fünfziger und den sechziger Jahren. Man beginnt sich als Zuschauer sofort danach zu sehnen, möchte selbst in so einer zukunfts­zu­ge­wandten Epoche des Aufbruchs leben. Ob wir Zeit­ge­nossen so viel Freiheit und Hoffnung auch noch irgend­wann einmal erleben wie Eva Hesse? Zu hoffen wäre es. Einst­weilen bleibt ein Film wie dieser.

Avantgarde in Latex

Ein großer, leerer Rahmen mit bläulich gefärbtem Betttuch umwickelt, aus dem ein dünner Schlauch heraus­ragt, der über den Boden streicht und in den Rahmen zurück­fließt. Neunzehn filigrane Röhren aus Kunstharz, von unter­schied­li­cher Größe und wie dünne Pappröhren an einzelnen Stellen geknickt und einge­drückt.

Eine kubische Struktur, die nach oben hin offen ist und deren Seiten aus Loch­git­tern bestehen, die nach außen hin eine glatte Fläche bilden, in denen zur Innen­seite hin jedoch zahllose, unter­schied­lich lange Gummi­sch­läuche stecken.

Und schließ­lich: Eine an ausufernde Spin­nen­weben erin­nernde Raum­in­stal­la­tion aus in Latex einge­gos­senen Hanf­seilen von unter­schied­li­cher Stärke, deren seltsam sperrig-fließende Formen aus dem Zusammen- und Gegen­ein­an­der­spiel der räum­li­chen Entfal­tungs­ten­denzen des Seils und des Gummis zustande kommen.

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Diese avant­gar­dis­ti­sche Kunst wirkt häufiger wie von einem anderen Stern und ist etwas, was selbst viele Kunst­kenner niemals zuvor gesehen haben. Dabei sind diese Werke keines­wegs der neuste Schrei auf dem Kunst­markt, sondern bereits ein halbes Jahr­hun­dert alt und aufgrund der unbe­stän­digen Mate­ria­lien stark im Verfall begriffen.

Auch ist die Schöp­ferin dieser bizarren Objekte keine Bewoh­nerin solch entle­gener Land­striche auf dieser Erde, dass sie deshalb erst im heutigen Medi­en­zeit­alter einer größeren Öffent­lich­keit bekannt wurde. Statt­dessen handelt es sich bei der Künst­lerin um die gebürtige Hambur­gerin und Wahl-New-Yorkerin Eva Hesse.

Experten gilt Eva Hesse schon lange – auch jenseits ihres Geschlechts – als eine der bedeu­tendsten Künst­le­rinnen des vergan­genen Jahr­hun­derts. Ihr Hauptwerk entstand im Umfeld des Mini­mal­künst­lers Sol LeWitt, der auch Eva Hesses bester Freund war. Doch Eva Hesses Arbeiten sind extrem eigen­s­tändig: Im Gegensatz zu den Werken ihrer mini­ma­lis­ti­schen Küns­ter­freunde wirken ihre Werke alles andere, als nüchtern, sondern sehr sinnlich und sehr surreal.

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In ihrer schlicht Eva Hesse beti­telten Doku­men­ta­tion widmet sich die Ameri­ka­nerin Marcie Begleiter dem Leben und Werk der 1970 im Alter von nur 34 Jahren an einem Hirntumor verstor­benen Künst­lerin, die wie auch sie deutsch-jüdische Wurzeln besitzt.

Wenn man sich dieses kurze, von zahl­rei­chen harten Schick­sals­schlägen gezeich­netes Leben anschaut und die Inten­sität, in der Eva Hesse alles immer wieder für ihre Kunst fruchtbar gemacht hat, dann löst dies noch heute Begeis­te­rung und Bewun­de­rung aus.

In den fünf letzten Jahren ihres kurzen Lebens schuf Eva Hesse ein sowohl in seinem Umfang als auch in seiner Viel­fäl­tig­keit verblüf­fendes Werk, mit dem schon einmal das New Yorker Guggen­heim Museum von oben bis unten komplett bestückt werden konnte.

Dies zeugt von einer Inten­sität, die an die zeit­genös­si­sche Maxime »live fast, die young« erinnert. Aller­dings galten Eva Hesses Exzesse ihrer Arbeitswut. Für Sex & Booze & Partys war dahin­gegen ihr erster Mann, der Bildhauer Tom Doyle zuständig, der zugleich eine Schlüs­sel­rolle in Eva Hesses früher künst­le­ri­scher Entwick­lung innehatte.

So war es auch nicht die noch unbe­kannte Eva, sondern der schon länger erfolg­reiche Tom Doyle, der von den deutschen Indus­tri­ellen und Kunst­sammler Friedrich Arnhard Scheidt eine Einladung nach Kettwig an der Ruhr erhielt, wo das Ehepaar ein Jahr lang arbeitete und wo Eva Hesse ihre eigene künst­le­ri­sche Sprache fand.

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Die aufre­gende Lebens­ge­schichte von Eva Hesse wird von Marcie Begleiter in dieser eher klas­si­schen Doku­men­ta­tion nach­ver­folgt. Dabei gelingt es der Autorin und Regis­seurin jedoch sehr gut, eine große Nähe zu der Künst­lerin herzu­stellen. Nach Möglich­keit lässt Begleiter stets Eva Hesse selbst zu Wort kommen, in Form von nach­ge­spro­chenen über­setzten Briefen an ihre Freunde – allen voran an ihren Seelen­ver­wandten Sol LeWitt.

Zudem werden zahl­reiche Wegbe­gleiter von Eva Hesse inter­viewt, wie ihr Ex-Mann Tom Doyle und viele weitere Künstler aus ihrer damaligen New Yorker Clique sowie Evas ältere Schwester Helen. – Die beiden konnten Ende 1938 mit einem der letzten Kinder­trans­porte nach Holland vor den Nazis gerettet werden. Ein Jahr später emigrierten sie gemeinsam mit ihren Eltern in die USA. – Alle weiteren Verwandten fielen dem Holocaust zum Opfer; die psychi­sche kranke Mutter stürzte sich 1946 aus dem Fenster.

Ansonsten lässt Marcie Begleiter bevorzugt Eva Hesses Kunst für sich selbst sprechen. Dies ist konse­quent, war es doch das erklärte Ziel der Künst­lerin, dass ihre Arbeiten in eine Sphäre hinein­ragen, welche ihr eigenes Vers­tändnis überragt und Werke zu schaffen, die »keine Kunst mehr sind, die aber auch nicht Nichts sind«.