Erklärt Pereira

Sostiene Pereira

Italien/Frankreich 1996 · 103 min. · FSK: ab 12
Regie: Roberto Faenza
Drehbuch: ,
Kamera: Blasco Giurato
Darsteller: Marcello Mastroianni, Joaquim de Almeida, Daniel Auteuil, Stefano Dionisi u.a.

Der Mann in der Menge

Marcello Mastroi­anni in seinem letzten Film

Der Abschied eines großar­tigen Schau­spie­lers: Noch einmal kann man den genialen Marcello Mastroi­anni in allen Facetten bewundern. Mit Alters­weis­heit und seiner einma­ligen, nuan­cierten Mischung aus kind­li­cher Spiel­freude und ruhiger Melan­cholie trat der einstige Fellini-Star und Latin Lover hier noch ein weiteres, ein letztes Mal, vor seinem Tod im Dezember 1996 vor die Kamera. Schon deswegen sollte man Erklärt Pereira nicht versäumen.

Zugleich ist der Film weitaus mehr, als nur eine posthume Hommage an einen ganz Großen des Films. Es handelt sich auch um eine über­ra­schende Anknüp­fung an ältere Tradi­tionen eines sehr europäi­schen, epischen Erzähl­kinos, das unterhält und zugleich eine durch­dachte Ausein­an­der­set­zung mit Kultur und Geschichte unseres Konti­nents darstellt. Schon oft, etwa bei Luchino Visconti und Bernardo Berto­lucci, kamen solche Geschichten aus Italien.

Lissabon 1938, in der Anfangs­phase der rechten Salazar-Diktatur und während der Hochzeit des europäi­schen Faschismus: Der verwit­wete, bequem gewordene Kultur­re­dak­teur Pereira (Mastroi­anni) wird durch das Enga­ge­ment eines jungen Autors (Joacquim de Almeida) und durch Gespräche mit seinem Arzt Dr. Cardoso (ebenfalls hervor­ra­gend: Daniel Auteuil) aus seiner Gleich­gül­tig­keit gerissen.

Der bisher wenig aufge­fal­lene Italiener Roberto Faenza verfilmte hier den gleich­na­migen Roman von Antonio Tabucchi. In vielen Gesprächen, Neben­hand­lungen und kurzen Momenten zeigt diese Geschichte ganz gewöhn­li­cher Menschen zwischen konkreter Humanität und angst­vollem Heraus­halten das Gesicht des Faschismus in direkten, authen­ti­schen Alltags­er­fah­rungen. Gegen seinen Willen lernt Pereira, daß er sich verändern und aus seiner Passi­vität befreien muß. Die Begegnung mit einer Jüdin auf der Flucht (Marthe Keller) wird für ihn endgültig zum Wende­punkt.

Erklärt Pereira ist eine berührend insze­nierte Ausein­an­der­set­zung mit einem histo­ri­schen Ereignis, die zugleich zeigt, daß jede Vergan­gen­heit hoch­ak­tu­ellen poli­ti­schen und mora­li­schen Spreng­stoff birgt. Mit dogma­ti­schem »Schlußstrich« lassen sich die Fragen, die hier verhan­delt werden, nicht erledigen.

Das eigent­liche Erlebnis des Films bleibt dennoch die Wieder­be­geg­nung mit Mastroi­anni, dem sein Regisseur hier einige wunder­volle Auftritte gönnt. Er spielt diese alte, dick und bequem gewordene Figur, die sich lange Zeit frag­würdig verhält, und letztlich doch mora­li­sche Verant­wor­tung übernimmt, mit Hingabe. Ob in inten­siven Momenten, wie den Zwie­ge­sprächen mit der verstor­benen Frau, oder ganz beiläufig, beim Trinken einer Limonade, überall erhält dieser Pereira durch Mastroi­annis Spiel Charme und große Würde.
Und am Ende, in einer letzten langen Einstel­lung, zur Musik des anderen großen Filmita­lie­ners Ennio Morricone, verschwindet dieser Durch­schnitts­mensch wieder in der Menge, aus der er gekommen ist. Ein bewe­gender, ange­mes­sener Abschluß.