Endlich Witwe

Enfin veuve

Frankreich 2007 · 97 min. · FSK: ab 12
Regie: Isabelle Mergault
Drehbuch:
Kamera: Philippe Pavans de Ceccatty
Darsteller: Michèle Laroque, Jacques Gamblin, Wladimir Yordanoff, Tom Morton, Valérie Mairesse u.a.
Die Witwe und ihr Tröster

Halbe Witwe

»Et si tu n'existais pas...« Diese bekannte Schla­ger­zeile inter­pre­tiert die »werdende Witwe« des Films, Anne-Marie Gratigny, in der Eingangs­szene des Films, und dies mehr schlecht als recht, während sie über den Strand joggt. Noch nicht einmal ein ganzer Satz, enthält er doch das ganze Grund­thema des Films: »Wenn Du nicht exis­tieren würdest«, und um dieses »Wenn« rankt sich die Probe, der sich die zukünf­tige Witwe stellen muss.

Bereits seit zwei Jahren ist Anne-Marie Gratigny (Michèle Laroque) heimliche Geliebte des Boots­bauers Leo (Jacques Gamblin). Verdenken kann man es ihr nicht, präsen­tiert sich doch ihr lang­jäh­riger Ehemann (Waldimir Yordanoff), ein Schön­heits­chirurg, als unsym­pa­thi­scher Besser­wisser, der keine Gele­gen­heit auslässt, seine Frau zu demütigen. Dennoch kann sich Mme Gratigny nicht von ihm trennen. Der gemein­same Sohn wäre längst erwachsen, allein der Mut fehlt ihr.
»Et si tu n'existais pas...« Als sie sich schließ­lich zu einem neuen Leben mit dem Geliebten durch­ringt, und sie nicht weiß, wie sie diese Tatsache ihrem Mann unter­breiten kann, kommt Anne-Marie der Zufall zur Hilfe. Das »Wenn« ist nicht mehr: Ihr Mann ist bei einem Auto­un­fall tödlich verun­glückt. Sie ist nun endlich Witwe und damit – so scheint es zunächst – frei. Jedoch hat sie nicht mit der über­bor­denden Fürsorge ihrer Familie gerechnet. Schwester, Sohn, Schwie­ger­vater und Schwä­gerin sind schon zur Stelle, bevor Anne-Marie überhaupt vom Tode ihres Mannes erfahren hat. Und sie bleiben. War die Ehe eine gefühltes Gefängnis, gleicht die neue Situation einem Kerker mit Hand- und Fußketten. Zum einen aus Fürsorge, zum anderen aus Miss­trauen heraus werden all ihre Schritte überwacht. Zusammen ergibt die Familie eine explosive Mischung und ein undurch­dring­li­ches Netz, das die beiden Liebenden trennt.
»Et si tu n'existais pas...« – »Was wäre mein Leben ohne Dich«, das sagen sich Leo und seine Moumousse, wie er die Witwe liebevoll nennt, wenn sie es im Fürsor­ge­terror dennoch schaffen, sich kurz zu treffen und ihren gemein­samen Weggang zu planen. Doch inmitten der Familie, die ihr die Rolle der trau­ernden Witwe aufer­legen will, ist Anne-Marie nun tatsäch­lich allein. Und kein Gegenüber, weder der Verb­li­chene, noch der Zukünf­tige können ihre Entschei­dungen anleiten. Wahre Freiheit kommt von innen. Das »Wenn« ist weg und die naive Anne-Marie muss zum ersten Mal seit langem wirklich Farbe bekennen, wenn sie sich aus ihrem inneren Gefängnis befreien möchte...

Vor allem in Frank­reich hat man gespannt gewartet auf den Film-»Zweitling« der Regis­seurin Isabelle Mergault, und man musste sich fast zwei Jahre gedulden. Ihr Debüt gab die ehemalige Schau­spie­lerin 2005 mit dem Film Je vous trouve très beau – in Frank­reich ein Vier-Millionen-Erfolg und bei uns zunächst ein Geheim­tipp. Sie wäre nicht die Erste, die am Nach­fol­ge­druck geschei­tert wäre.

Völlig neu erfindet Mergault sich nicht, dies lässt schon der Titel erahnen. Drehte sich beim Erstling alles um den Witwer, haben wir im Mittel­punkt des aktuellen Films die Frau­en­va­ri­ante in den mittleren Jahren. Mit der Haupt­dar­stel­lerin Michèle Laroque hat sie eine erpobte Thea­ter­schau­spie­lerin engagiert, die ihre Sache mit ausrei­chend Charme durchaus sehr gut macht. Auch die Leistung von Jacques Gamblin, der den Geliebten Leo gibt, ist ordent­lich. Das Paar muss sich aber an den Vorgänger-Schau­spie­lern, Michèle Blanc und Medeea Marinescu, messen lassen. Und deren origi­nelle Eigen­tüm­lich­keit bleibt uner­reicht. Dies liegt vor allem am Plot, den Mergault gewählt hat. Die »gefangene Witwe / heimliche Geliebte« als Grundidee ist Haupt­quelle aller Komik des Films, und die ist bald erschöpft.
Fast ist es schade, dass der unsym­pa­thi­sche Ehemann nicht länger leben darf, denn in den Gesprächen mit ihm (dank seiner herrlich trockenen Kommen­tare) und um ihn herum, wird sein Schön­heits-Beruf als banale Fließ­band­ar­beit deutlich, bei der seinen Patienten mit den Kilos, den Nasen­hö­ckern und den Falten, die Würde gleich mitent­fernt wird. Aber der Ehemann muss sterben, damit Mergault ihre Haupt­in­sze­nie­rung beginnen kann. Sie schafft es dabei durchaus, immer wieder absurde Szenerien zu stiften und herrlich komische Dialoge aufzu­bauen. Dabei treffen wir auf den obli­ga­to­ri­schen senilen Opa (Paul Crauchet in der Rolle des Schwie­ger­va­ters Gaby Gratigny), der durch seine Senilität allerlei Verwick­lungen provo­ziert, die bitter­böse miss­traui­sche alte Jungfer (Eva Darlan ist als Schwä­gerin wunderbar garstig und bieder) und den über­eif­rigen Sohn. Dieser wird in burlesker fran­zö­si­scher Tradition von Tom Morton gemimt. Wie gesagt, alle bekann­ter­maßen nötigen Zutaten, die man braucht, um leicht zu unter­halten und zum Schmun­zeln zu bringen, sind vorhanden. Aber einen Meis­ter­koch unter­scheidet vom Laien: das Uner­war­tete, das ihm zum Marken­zei­chen wird. Dieses Gewisse etwas fehlt bei Endlich Witwe. Manchmal scheint es greifbar: einige Dialoge haben Rhythmus und gewinnen an Fahrt (z. B. die Gespräche im Dorfcafé, um die Boots­bauer herum). Aber es bleibt ein Aufblitzen. Das Potential mancher Neben­fi­guren und -themen scheint nicht ausge­schöpft. Statt­dessen beschränkt sich die Regis­seurin auf ihre Hauptidee und spielt diese in allen denkbaren Varia­tionen durch. Einen Moment lang wird man dem als Zuschauer über­drüssig, aber noch recht­zeitig gelingt Mergault der Absprung und sei leitet das Finale ein.
Alles in allem braucht sich Isabelle Mergault mit ihrem zweiten Film nicht zu verste­cken. Es ist eine solides und gut insze­niertes Werk. Dass Mergault noch mehr kann, weiß man von Sie Sind Ein Schöner Mann. Deshalb kann man schon gespannt sein auf ihren dritten Film. Denn vom Druck, der nach einem ersten großen Erfolg auf Künstlern lastet, ist sie dann ja befreit.