Berlin East Side Gallery

Deutschland 2014 · 126 min. · FSK: ab 6
Regie: Karin Kaper, Dirk Szuszies
Drehbuch: ,
Kamera: Karin Kaper, Dirk Szuszies
Schnitt: Werner Bednarz, Dirk Szuszies
Mauerdurchbruch mit dem Trabi ist okay.

Die Mauer ist weg, die Mauer soll bleiben!

Es steht noch ein Stück Mauer in Berlin. Es ist seit 1990 als »East Side Gallery« nicht nur eine der ersten Touris­ten­at­trak­tionen der wieder­ver­ei­nigten Stadt, sondern vor allem eines der wenigen Denk- und Mahnmale, die aus der Zeit der Teilung der heutigen Haupt­stadt übrig geblieben sind. Hier wird »Geschichte unmit­telbar erfahrbar gemacht«, so einer der Redner auf einer histo­risch doch irgendwie grotesk anmu­tenden Demo, die sich Ende des Jahres 2013 vehement für den Erhalt der Mauer einsetzte. Typisch Berlin eben, einer der wider­sprüch­lichsten und span­nendsten Städte weltweit.

Aber recht haben sie, die Berliner. Klamm­heim­lich und ganz allmäh­lich wird in der Haupt­stadt das Erinnern an die DDR im Zeichen der Attrak­tionen und des Turbo­ka­pi­ta­lismus ausra­diert – der Palast der Republik wich dem angeblich histo­ri­schen Stadt­schloss, der »Alex«, an dem die Geschichte machenden Montags­demos in Berlin statt­fanden, ist längst in Konsum und ringsum aufgehüb­schten Kauf­häu­sern aufge­gangen, und schon wird disku­tiert, ob die unweit des Alex­an­der­platzes stehenden Plat­ten­bauten mit Zentral­hei­zung, einst reser­viert für DDR-Funk­ti­onäre und hohe Staats­be­diens­tete, nicht doch zeit- und ideo­lo­gie­ge­mäßeren Luxus­bauten Platz machen sollten.

Berlin befindet sich voll im Würge­griff der Inves­toren. Auch das charmant verwest­li­chend »East Side Gallery« genannte Mauer­denkmal soll geld­brin­genden Luxus­bauten weichen, Inves­ti­ti­ons­ma­te­rial in einer sich selbst verges­senden Stadt. Dagegen steht das Bunte, Viel­fäl­tige, Spontane, Unge­ord­nete, das Berlin zumindest für die Westler in den Zeiten der Teilung – unab­hängig von der Möglich­keit, sich vor der Bundes­wehr zu drücken – so attraktiv machte. Es folgten die 90er Jahre, wo der Osten wild wurde und anar­chis­ti­sche Haus­be­set­zungen an der Tages­ord­nungen waren. Es wurde bewohnt, renoviert und ausge­stattet, was die Ange­reisten konnten. Was die Ost-Berliner, allesamt poten­ti­elle Spaß­bremsen, wollten, danach fragte damals keiner, es herrschte alter­na­tive Gold­gräber­stim­mung.

Auch das letzte Stück Mauer und seine Umgebung überließ man nicht sich selbst, weder den Mauer­spechten noch den Ostber­li­nern, damit diese ein eigenes Mahnmal entwerfen könnten. Unter dem auto­ri­sierten Pinsel­strich inter­na­tio­naler, über­wie­gend aus dem Westen kommender Künstler wurde es zu einer der Attrak­tionen, die die Stadt für Inves­toren erst so inter­es­sant gemacht hat – hier frisst zwar nicht die Revo­lu­tion ihre Kinder, aber doch die Inves­toren die Stadt der Möglich­keiten, die diese auf ihre ganz eigene Art inter­pre­tieren.

Als sie 2009 von bevor­ste­henden Sanie­rungs­ar­beiten an der »East Side Gallery« erfuhren, beschlossen die enga­gierten Doku­men­tar­filmer Karin Kaper und Dirk Szuszies, einen Film über das letzte verblie­bene Mauer­s­tück zu machen. Mehrere Jahre beglei­teten sie mit ihrer Kamera das Schicksal des Mauer­s­tücks unter den Pinsel­stri­chen und Aktionen der Künstler und durch die Augen der Touristen gesehen – bis es zum Wende­punkt kam. Ab da wurden die Proteste gegen die luxu­riösen Pracht­bauten und der Kampf um den Erhalt der »East Side Gallery« wichtig, plötzlich ging es ihnen mit ihrem Film auch darum, die Erin­ne­rung an die größte Frei­luft­ga­lerie weltweit zu bewahren und den Kampf um Freiraum fest­zu­halten.

Man darf nicht vergessen, dass heute in Berlin Stimmung gemacht wird gegen die Roll­koffer-Invasion der Touristen. Die auch die »East Side Gallery« so mögen, ein absurder Dialog im Film gibt darüber auf beste­chende Weise Auskunft. Insofern dürfte in diesen Kreisen der mahnende Satz auf einer der Demos gegen die Pracht­bauten – »wegen diesen wird hier niemand mehr ins Viertel kommen« – eher nur gleich­gül­tiges Achsel­zu­cken hervor­rufen. Eine Stadt der Selbst­wi­der­sprüche eben. Und doch ist es beun­ru­hi­gend, wie Deutsch­land »Erin­ne­rungs­ar­beit« betreibt: So tun, als ob es nie war. Die Mauer muss weg.

Berlin East Side Gallery stimmt niemals senti­mental, sondern konsta­tiert, hält fest, doku­men­tiert, das ist gar nicht so selbst­ver­s­tänd­lich, schon gar nicht bei einem so umkämpften Gegen­stand. Das große Verdienst des Films ist, die latente Wider­sprüch­lich­keit der »East Side Gallery«, Freiraum und zugleich Insti­tu­tion zu sein, aufzu­z­eigen. Subkutan wird deutlich, dass schon längst an einer neuen Mauer gebaut wird, die sich quer durch unsere Gesell­schaft zieht und die nicht weniger sichtbar und unüber­windbar ist, als die Mauer von 1961: es ist die Mauer von Inves­ti­tion und dem Ausver­kauf von Idealen, gegen deren Errich­tung sich die Menschen heute intuitiv stellen.