Der Dummschwätzer

Liar Liar

USA 1997 · 99 min. · FSK: ab 6
Regie: Tom Shadyac
Drehbuch: ,
Kamera: Russell Boyd
Darsteller: Jim Carrey, Maura Tierney, Jennifer Tilly, Cary Elwes u.a.

Er schwin­delt den ganzen Tag. Von der kleinen Flunkerei über den harmlosen Trick und die handfeste Unwahr­heit bis hin zur unver­schämten, hunds­ge­meinen Lüge, Fletcher Reede (Jim Carrey) beherrscht sie alle perfekt. Kein Wunder also, daß er dieses Können im Fami­li­en­leben kaum mehr zu drosseln vermag. Seine Frau Audrey hat sich bereits von ihm getrennt, und auch sein Sohn Max zeigt sich zunehmend verprellt von Vaters leeren Verspre­chungen. Die Lage ist also schlimm, denn der geübte Zuschauer weiß ja, was heraus­kommen könnte, wenn ein ameri­ka­ni­scher Junge nicht regel­mäßig mit seinem Daddy Baseball üben kann: Über­ge­wicht, Waffen­fe­ti­schismus und Befür­wor­tung der Todes­strafe.

Schließ­lich aber wird Maxens Geburts­tags­wunsch beim Kerzen­aus­blasen, sein Vater möge doch wenigs­tens einen Tag lang die Wahrheit sagen, durch nicht näher erläu­terte Magie zur Wirk­lich­keit. Fletcher ist plötzlich unfähig, auch nur die kleinste Notlüge – und deren bedarf er vieler – zu äußern. Verhee­rend sind die Folgen, jede versuchte Schmei­chelei verwan­delt sich in eine blanke Frechheit, kein Fett­näpf­chen wird ausge­lassen, im Nu sind nicht nur sämtliche Kollegen gehörig beleidigt, sondern auch poten­ti­elle Geschäfts­partner. Auch Fletchers Rede­künste vor Gericht schwinden dahin, denn er reitet sich und seine aktuelle Klientin durch seine unge­wollte Wahr­heits­liebe immer tiefer ins Schla­massel.
Bald freilich erkennt er die Vorzüge, seines temporären Schwindel-Unver­mö­gens, entdeckt auch die Liebe zu seinem Sohn wieder. Und weil er dem das gleich erzählt und es dabei auch sicher ehrlich meint, hat Max ihn auch wieder ganz doll lieb; ja, und Audrey auch.

Sie haben Steve Martin klein­ge­kriegt, Dan Aykroyd, Whoopie Goldberg, Robin Williams, Eddie Murphy und alle anderen, sie haben sie abge­schmir­gelt, platt­ge­bü­gelt, einge­lullt mit Weih­nachts­me­lo­dien, parfü­miert und umla­ckiert, mit süßen Kindern, drolligen Hunden und patenten Frauen verban­delt und dabei reich, dick und lang­weilig gemacht. Sie werden auch mit Jim Carrey keine Schwie­rig­keiten haben. Amerika liebt seine Komiker, nimmt sie in den Arm, presst sie an die Mutter­brust und füllt sie so ab, daß sie nur noch Blubb sagen können. Oder wie einst Heinrich Haffen­loher sachte: »Isch scheiß disch sowas von zu mit Geld... und irgend­wann kommt dann der Punkt, da bist du so mürbe und so fertisch, und dann nimmst dus. Und dann hab isch disch.«

Jim Carrey glich noch in Cable Guy einer komö­di­an­ti­schen Wunder­tüte, dreißig Gags und Grimassen pro Minute; gewiß ist sein Spiel beizeiten etwas grenz­wertig, aber immerhin ein Ereignis, und glanz­volle Virtuo­sität kann man ihm auch für Der Dumm­schwätzer nicht abspre­chen. Doch der Wind, der da diesmal mit einher­weht ist lau, muffig, und riecht nach der ganzen Familie. Die Story vom einsich­tigen Vater bremst die natür­liche, höchst begrüßens­werte Bösar­tig­keit von Carreys Komik ganz erheblich. Bei der guten alten Phrase »Am Anfang war er gut, aber dann...« dürfte Carrey jetzt ungefähr das Komma erreicht haben. Bald wird er seine erste roman­ti­sche Komödie drehen, dann seine erste gaanz, ganz ernste Rolle spielen, irgendwas, wo jemand an Krebs stirbt oder so, und den Rest seiner erlah­menden Arbeits­kraft wird er Storys widmen, in denen wesent­lich mehr geheult als geblödelt wird. Klar sind das Behaup­tungen, aber wir wissen’s doch eigent­lich schon:
Wenn die Komö­di­anten an Kraft verlieren, man denke nur an den qualligen Robin Williams, aber auch an Jerry Lewis und Chaplin, retten sie sich immer ins Pathos, und das ist schad, »denn Pathos ist für alle Arten von Darstel­lern das Gefähr­lichste, weil es das Leich­teste ist.« (Egon Friedell)