Ein deutsches Leben

Österreich/Deutschland 2016 · 114 min. · FSK: ab 12
Regie: Christian Krönes, Olaf S. Müller, Roland Schrotthofer, Florian Weigensamer
Drehbuch:
Kamera: Frank Van Vught
Schnitt: Christian Kermer
Der Faszination der Falten anheim gefallen, vergessen die Regisseure die Borniertheiten der alten Dame aufzubohren

Wenn Du geschwiegen hättest, Oma...

Wieder einmal Erzäh­lungen aus dem »Dritten Reich«, jenem deutschem Geschichts­raum des 20. Jahr­hun­derts, der unter den vielen Geschichten, die sich über ihn legen, ihn auch mit einer Aura zu umgeben drohen, in seiner banalen Wirk­lich­keit manchmal zu verschwinden droht.
Wieder einmal eine alte Frau, die auf ihr Leben zurück­blickt: Nach­denk­lich, fragend, mitunter sympa­thisch. Vor allem aber auch selbst­ge­recht, Erklä­rungen immer nur in Form von Ausreden und Rela­ti­vie­rungen suchend.

Diese Frau – sie heißt Brunhilde Pomsel – ist keine ganz normale Frau. Nicht nur weil sie, geboren im Januar 1911, ein mehr als bibli­sches Alter erreicht hat: Zur Zeit der Dreh­ar­beiten war sie 104, in diesem Januar ist sie mit 106 Jahren gestorben.
Dieses deutsche Leben ist vor allem deswegen besonders und schwer vergleichbar, weil Pomsel über mehrere Jahre die Sekre­tärin von Joseph Goebbels war – während der Diktatur der Natio­nal­so­zia­listen, der »Reich­mi­nister für Volks­auf­klä­rung und Propa­ganda« –, dem obersten PR-Mann des deutschen Faschismus – für seinen Fana­tismus gehasst und gefürchtet auch unter vielen Mitläu­fern und Sympa­thi­santen des Regimes.

Jahr­zehn­te­lang hat sie über ihre Geschichte geschwiegen, erst kurz vor ihrem Tod ließ sie sich dann überreden – gleich vier Regis­seure waren dazu offenbar nötig: Sie heißen Christian Krönes, Olaf S. Müller, Roland Schrott­hofer und Florian Weigensamer. Doch auch alle zusammen haben es nicht geschafft, es mit dieser Frau aufzu­nehmen, und die alte Dame an kruden Ausflüchten, ärger­li­chen Rela­ti­vie­rungen und infamen Beschwich­ti­gungen zu hindern.

Es geht noch gemütlich los – man staunt, dass sich Pomsel sogar an den Ausbruch des Ersten Welt­kriegs erinnern zu können glaubt. Da war sie drei­ein­halb Jahre alt. Und dann nach gut vier Jahren kam der Vater wieder: Der Blick in die Abgründe deutschen Erzie­hungs­all­tags ist inter­es­sant, aber schon hier fallen die Floskeln der Beschwich­ti­gung: »Mit Liebe und Vers­tändnis allein kam man nicht weit.« Das Prügeln des Vaters ist alltäg­lich, und es gehört zum Inter­es­san­testen an diesem Film, wie die alte Frau daraus eine Art Grund­ver­lo­gen­heit der deutschen Gesell­schaft, eine allge­meine Charakter-Dispo­si­tion ableitet: »Gehorchen… Schwin­deln… Lügen… die Schuld auf jemand anderen schieben…«
Trotzdem fällt kein böses Wort über das Eltern­haus, im Gegenteil: »Davon ist mir was geblieben: Pflicht­be­wußt­sein. Mir hat’s geholfen, meine Art.«
Später waren immer Wahlen, und es wäre gut gewesen, hätten die Erwach­senen die Kinder nicht so fern der Politik gehalten. Und dann sind wir schnell bei den Nazis, und es gibt keine Wahlen mehr. Dafür »Herrn Bley«, der kann was für sie tun, wenn sie nur in die Partei eintritt. Die jüdische Freundin wartet draußen, während Brunhilde sich einschreibt und dafür den horrenden Betrag von 10 Mark zahlen muss. Dafür wird dann der Kaffee gestri­chen.
Zwischen derar­tigen doch recht belie­bigen und insgesamt viel zu gemüt­li­chen Anekdoten – Reden im Sport­pa­last, Nazi-Freunde – blitzt allen­falls mal so eine Ahnung von Anstand (oder doch Scham?) auf, als Pomsel ihrem anderen jüdischen Arbeit­geber vom Partei­ein­tritt nichts erzählt.
»Es war eine so andere Welt… enges Leben… das könnt ihr alle nicht begreifen.«

Wahr­schein­lich. Aber das ist auch die beste Argu­men­ta­ti­ons­stra­tegie, um sich den Fragen der Jüngeren gar nicht erst stellen zu müssen. Noch schwerer zu begreifen sind jeden­falls andere Sätze: »Wir waren ja selber ein einziges Konzen­tra­ti­ons­lager…« Sie meint damit das Deutsch­land der Nazi-Zeit, und will erklären, warum angeblich niemand Wider­stand geleistet hätte. Wider­stand wäre ja auch »dumm« gewesen. Die Geschwister-Scholl waren also dumm? Stauf­fen­berg dumm? Bonhoeffer dumm? Georg Elser dumm? Das sind obszöne Behaup­tungen, die man in einem deutschen Doku­men­tar­film vor zehn Jahren noch unvor­stellbar gewesen wären. Aber seit Sarrazin, seit dem Aufstieg der AfD brechen die Dämme, fallen die Tabus auch für solche Frech­heiten. Oder muss man sich das damit erklären, dass der Film mehr­heit­lich mit öster­rei­chi­schem Geld finan­ziert wurde?

Außerdem ist alles voller Wider­sprüche: Eben war noch der Olym­pia­sommer schön und sonnig, dann Konzen­tra­ti­ons­lager. Und will Pomsel uns wirklich aufti­schen, dass es für sie, Sekre­tärin bei Herrn Bley, beim Deutschen Rundfunk, und später im Propa­gan­da­mi­nis­te­rium genauso war wie für Juden, Kommu­nisten, Homo­se­xu­elle und andere im KZ? Kein Unter­schied? Oder was soll der Satz besagen? Dass Konzen­tra­ti­ons­lager ja nicht so schlimm waren?

Auch für ihren Chef Joseph Goebbels findet Pomsel viele aner­ken­nende Worte: »…gepflegt, vornehm, fast edle Vornehm­heit – und da dieser tobende Zwerg. Also einen größeren Kontrast kann man sich kaum vorstellen.« Sie schwärmt auch für sein »gutes Aussehen« und die »dollen Anzüge«. Nur dass er hinkte, habe etwas gestört und ihr immer »ein bisschen leidgetan«. Immerhin mit dem Verbre­cher hat sie Mitleid, nicht so sehr mit den »armen verfolgten Juden«.
Ein »ausge­zeich­neter Schau­spieler« sei Goebbels gewesen, ein »wohl­er­zo­gener Mensch«, der sich nur hie und da »in einen wüsten Krakeeler« verwan­delt habe. Sie hat das dann, zum Beispiel bei der Sport­pa­last-Rede zum »Totalen Krieg« in »zehn Metern Abstand« verfolgt.
Sie war also nahe dran: »Da zu arbeiten war nett, alles angenehm, gefiel mir gut…«

Nicht selten ist es von derart empö­render Unbe­darft­heit, was diese Frau von sich gibt – da hilft dann auch die Achtung vor der Greisin nicht mehr weiter. Dafür redet die Frau einfach viel zu viel Mist.

Noch empö­render, zunehmend ärger­li­cher ist, wie die Filme­ma­cher mit ihrem Objekt umgehen: Der Film setzt die alte Frau mit über­trie­bener Würde und Aura ins Bild, auch mit über­trie­bener Distanz: Komplett Schwarz­weiß, von hellem weichen Licht erleuchtet, sehr oft in Groß­auf­nahmen des Gesichts, die die Falten und Runzeln ihrer Haut über­be­tonen. Die Wirkung von dieser Vorge­hens­weise ist, dass dieser Mensch Brunhilde Pomsel uns ganz entrückt scheint, aber auch immer sehr schön, sehr stili­siert.

Der alten Frau gehört auch die Tonspur fast komplett: Goebbels kann man nur lesen. Musik gibt es kaum. Immerhin rela­ti­vieren alte Doku­men­tar­auf­nahmen die Fixierung auf die Haupt­person, ordnen das Gesagte ansatz­weise ein.

Man wüsste gern, was die Regis­seure – viel­leicht waren die vier sich ja nicht immer einig – geritten hat, sich auf einen solchen, ebenfalls mindes­tens unbe­darften Zugang einzu­lassen. Vor allem aber fragt man sich, warum so viel hier unwi­der­spro­chen bleibt, und nicht einge­ordnet wird. Nicht einmal in Goebbels' Vorzimmer will Pomsel etwas von den Mordtaten und Verbre­chen der Deutschen mitbe­kommen haben. Vom millio­nen­fa­chen Mord an den Juden, so behauptet sie, ohne dass hier Gegen­ar­gu­mente formu­liert werden, habe sie erst nach der Rückkehr aus ihrer Gefan­gen­schaft erfahren.

»Weil ich ja nichts getan habe als bei Herrn Goebbels getippt. Und was dahinter steckte, wusste ich ja alles gar nicht. Jeden­falls, na wenig.«
Immer wieder stehen in dieser Weise große Ausreden neben kleinen Einsichten. Und wer nicht schon viel weiß, ist mit diesem Film ganz schön allein.

Ein deutsches Leben ist für manchen Zuschauer eine Zumutung: Unwi­der­spro­chen stehen hier die Ausreden, Ausflüchte, Schuld­ver­wei­ge­rungen, steht die verquere unein­sich­tige Geschichts­sicht einer sehr alten, sehr bornierten Dame, die zu intel­li­gent ist, auch zu schlau in ihrer Gesprächstaktik, als das man ihr all das als reine Naivität durch­gehen lassen könnte.

Ein deutsches Leben ist ein in vieler Hinsicht erschre­ckendes Dokument. Aber haben ihre Ausfüh­rungen der Geschichts­schrei­bung noch Substan­ti­elles, gar Neues hinzu­zu­fügen? Alles in allem ist Ein deutsches Leben nicht mehr als eine histo­ri­sche Fußnote. Neues erfährt man nicht, nur viel zu viel Altbe­kanntes.

»Es ist wie mit allen Dingen: Auch das Schöne hat Flecken.« Das Schöne, das ist wohl Goebbels' wohl­er­zo­gene edle Art. Mit den Flecken, da sind die Millionen Ermor­deten gemeint. Es gehört halt ein bisschen mehr dazu, einen guten Doku­men­tar­film zu machen. Und Pomsel hätte wohl besser auch den Rest ihres Lebens einfach geschwiegen.