Dame, König, As, Spion

Tinker, Tailor, Soldier, Spy

GB/F/D 2011 · 127 min. · FSK: ab 12
Regie: Tomas Alfredson
Drehbuchvorlage: John Le Carré
Drehbuch: ,
Kamera: Hoyte van Hoytema
Darsteller: Gary Oldman, Colin Firth, Tom Hardy, John Hurt, Toby Jones u.a.
Der Geschmack von Dekadenz

Männer am Rand des Nervenzusammenbruchs

»Das Bekenntnis zum Bösen ist die Maske des Guten.« – Th. W. Adorno, Minima Moralia, §58

Dies ist ein Film, der einem sofort Lust macht, ihn noch einmal zu sehen, und sich außerdem nach dem Kino­be­such gleich einen Stapel Bücher zu besorgen, und eigent­lich gleich alles von John Le Carré zu lesen. Die langer­war­tete Kino­ver­fil­mung des Romans »Dame, König, As, Spion« durch den Schweden Tomas Alfredson, der bei uns mit So finster die Nacht bekannt wurde, ist zual­ler­erst zwar ein grad­li­niger Thriller, voller harter schmis­siger Dialoge, nerven­zer­reißender Spannung und über­ra­schender Wendungen. Doch nicht weniger besticht dieser Film ganz Le-Carré-gemäß als Portrait der Agen­ten­welt in ihrer Kombi­na­tion aus Wissen und Einsam­keit, Angst und Mut, verbo­tenen Einbli­cken und bravem, klein­bür­ger­li­chen Lebens­stil. Und ihrem Selbst­be­wusst­sein: »We are the only thing standing between Moscow and the third world war.«

»The fanatic is always concei­ving a secret doubt«, der Fanatiker trägt immer einen geheimen Zweifel in sich, so lautet einer der schönsten Sätze in diesem Film. Und wäre dies nicht vor allem ein Style- und Fashion-Statement, dann wäre dieser Film auch eine wunder­bare Ansamm­lung von solchen schönen Sätzen und klugen Gedanken. Etwa, als fast am Schluß des Films der Entlarvte seinem Jäger Smiley zugesteht, er sei von der Gegen­seite als gefähr­lich einge­schätzt worden. Und dann erklärt: »But you have a mild spot: As Ann’s Lover, you were not able to see me straight.« Er, der im Dienst der Gegen­seite stand, wurde nur deshalb der Liebhaber von Smiley Ehefrau, um als Verräter sicherer zu sein.

Ein aufse­hen­er­re­gender Mord an einem Briten in Budapest steht am Beginn des Films. Wir Zuschauer wissen, dass es sich bei dem Opfer, das als Geschäfts­mann einreiste, tatsäch­lich um einen briti­schen Agenten handelt. Er ist der letzte in einer ganzen Reihe von Spionen im Dienst ihrer Majestät, deren Tarnung »aufflog«. Doch wer hat sie verraten? Es muss einen »Maulwurf« in der Führungs­ebene des berüch­tigten »MI 6«, des briti­schen Geheim­dienstes geben. Und Smiley muss ihn aufspüren.

Die ist die Ausgangs­si­tua­tion vonDame, König, As, Spion (im Original: Tinker, Tailor, Soldier, Spy), einem hoch­span­nenden Spionage-Thriller, der uns zurück­führt in die Hochzeit des Kalten Krieges, als es noch einen Eisernen Vorhang gab und einen Ostblock.

Dabei ist dies aber keines­wegs Histo­ri­en­kino, sondern ein ganz und gar gegen­wär­tiger Film, mitten aus unserem Hier und Jetzt. Der britische Best­sel­ler­autor John Le Carré, von dem die gleich­na­mige Roman­vor­lage aus dem Jahr 1974 stammt, ist seit jeher berühmt für die Realitäts­nähe seiner Werke – kein Wunder, schließ­lich hat er selbst einst für den Geheim­dienst gear­beitet, und weiß, wovon er erzählt. Seine Haupt­figur des Smiley, eines führenden Agenten, die Ältere viel­leicht noch aus dem Fernseh-Sieben-Teiler von Alec Guinness gespielt kennen, ist ein tragi­scher, melan­cho­li­scher Charakter, geläutert und desil­lu­sio­niert durch seine Erfah­rungen. Ein stiller Beob­achter, ein Sammler von Infor­ma­tionen, der wie ein Jäger abwarten kann, bis sich das Wild zeigt.
Schon kalt­ge­stellt, wird er hier reak­ti­viert, um als Außen­seiter den Insider der Gegen­seite, den »Maulwurf« aufzu­spüren. Gespielt wird Smiley in einma­liger Art, zugleich liebe- und humorvoll durch Gary Oldman – jeder der den Film gesehen hat, versteht, warum Oldman für diesen Auftritt erstmals für einen Oscar nominiert wurde.

Tinker, Tailor, Soldier, Spyist ein Film der Sehnsucht auslöst. Ein Film, der nochmal gesehen werden will. Denn man kann hier alles Mögliche entdecken, soviel, wie bei einem einzigen Kino­be­such gar nicht auszu­schöpfen ist. Diese Sehnsucht hat ihre Ursache auch darin, dass dieser Film auf etwas völlig Irra­tio­nalem basiert, bezie­hungs­weise dieses Irra­tio­nale erst auslöst: Nostalgie nach dem Kalten Krieg. Nostalgie gegenüber einer grauen Welt ohne Mobil­te­le­fone und Internet, nach einer modernen Kunst, die sich mit ihren Ecken, ihrem Grau in Grau, der dicken, hart und grindig gewor­denen Farbpaste, in der die Quadrate auf ihren Lein­wänden gemalt sind, in Kontrast befindet zu allem Plüsch und allem Runden, Weichen, Knuffigen, zu all der neuen Gemüt­lich­keit und dem ästhe­ti­schen Bieder­meier, das die Einrich­tungen unserer Jahre dominiert. Die aber auch nichts zu tun hat mit dem Medi­en­krims­krams und Instal­la­ti­ons­bu­den­zauber, der heute die Kunstwelt beherrscht.

Wir begegnen hier zum Beispiel einem sehr über­la­denen, sehr braunen, sehr klas­si­schen Herren­ar­beits­zimmer begegnen. Es ist das von Smileys Boss »Control«, den John Hurt spielt. Dieses Arbeits­zimmer ist von allen Ecken einge­rahmt durch Bücher­re­gale, die prall gefüllt sind. Dazwi­schen und vor den Büchern stehen kleine Mitbringsel, Statuen, Fotos im Rahmen, Kostbares neben billigem Tand. Auf dem schweren Schreib­tisch türmen sich die Papier­stapel, man meint, den Staub riechen zu können. Es ist das 20. Jahr­hun­dert, dem man hier begegnet, und greift man wirklich zu hoch,wenn man sagt: Diese Arbeits­zimmer, in denen Forscher und Dikta­toren arbei­teten, Geheim­dienst­agenten und Psycho­ana­ly­tiker, waren einer der para­di­ma­ti­schen Räume dieses Jahr­hun­derts? In dem nichts klein und schnell zugäng­lich und digital war. Und in dem dies auch nicht weiter ins Gewicht fiel. »Your gene­ra­tion, your legacy«, sagt einmal jemand zu Smiley, natürlich in anderem Zusam­men­hang, aber es trifft auch hier zu.

Vor allem aber besticht der Film als nost­al­gi­sches Hohelied auf die Melan­cholie von älteren Männern, und auf unsere allernächste Vergan­gen­heit. Er beschwört die ästhe­ti­sche Aura des späten 20. Jahr­hun­derts. Tinker, Tailor, Soldier, Spy ist ein Film der Objekte, des Set-Design, der Dinge, die hier mehr erzählen, als alle Worte. Die, wenn es sich um Kleidung handelt, ihre Figuren charak­te­ri­sieren: Der Tweed, die Anzüge, die Trench­coats, die Kravatten. Wenn Terry Gilliams BRAZIL einst die Farce dieser vergan­genen Welt gewesen ist, dann erzählt Tinker, Tailor, Soldier, Spy ihre Tragödie. Aber es würde wahr­schein­lich schon genügen, diese unver­wech­sel­baren briti­schen Gesichter zu zeigen. Neben Oldman prägen sich John Hurt und Colin Firth besonders ein. Es macht ebenso großes Vergnügen, in der Origi­nal­ver­sion dieser briti­schen Sprache zuzuhören. Denn auch die Sprache und die Gesichter sind hier reine Objekte, auch sie erzählen alles.

Natürlich ist dies zugleich ein grad­li­niger Spio­na­ge­thriller, voller Hard-Boiled-Talk wie »This meeting is not taking place. Is that clear?« Oder: »This isn’t about soldiers and trenches anymore.« Ein weiterer Aspekt ist die Kombi­na­tion aus Wissen und Einsam­keit, Angst und Spießertum, die die Agenten auszeichnet.

Regisseur Alfredson macht einfach alles richtig. So gelingt ihm ein ganz und gar filmi­scher, also über Atmo­s­phäre und Bilder erzählter Film. Tinker, Tailor, Soldier, Spy ist keines­wegs verstaubt, sondern britisch-trocken; keines­wegs ruhig, sondern nerven­zer­reißend ange­spannt, keines­wegs grau, sondern psycho­pa­thisch und stylish.

Damit ist dieser nur scheinbar vergan­gene Stoff auch brand­ak­tuell: Er handelt vom mora­li­schen Verfall des Westens, von der Wahrheit und den Abgründen, die sich hinter den schönen Worten von Freiheit, Menschen­rechten und Toleranz auftun, die im Alltag längst zur bloßen Rhetorik, zur Propa­ganda des Westens verkommen sind.

Und der Regisseur trifft auch ästhe­tisch viele kluge, über­zeu­gende Entschei­dungen: Er ändert die Roman­hand­lung an manchen Stellen leicht ab, im Hinblick darauf, alles noch filmi­scher, mehr in Bildern statt in Worten zu erzählen, ohne aber das Ganze anzu­tasten. Dafür wechselt er Orte: Nicht in Prag, sondern in Budapest ereignet sich der Mord am Anfang, und auf vergleichs­weise dezente Art. Nicht in Lissabon, sondern in Istanbul spielt eine wichtige Nebe­n­epi­sode der Handlung. Das alles macht atmo­s­phä­risch viel Sinn. Genauso, wie die Tatsache, dass Alfredson nie Karla zeigt, Smileys Gegen­spieler in Moskau; er zeigt nie Smileys Frau Ann – wozu auch? Wir sollen sie fühlen, und wir sollen sie so fühlen, wie sie Smiley uns erzählt.

Alfredson erfindet umgekehrt auch ein paar besonders »filmische« Szenen dazu. So etwa als er die Weih­nachts­feier des »Circus«, des briti­schen Geheim­dienstes, zeigt: Da kommt es zu einem der schönsten Kino-Momente, der im Roman aber gar nicht vorkommt: Ein Clown mit Lenin-Maske tritt auf, und aus den Laut­spre­chern ertönt irgend­wann die Sowjet­hymne. Fast alle anti­kom­mu­nis­ti­schen Agenten stehen auf, und singen mit – nicht ironisch, sondern ehrlich bewegt, ehren sie den Feind. Großar­tiger kann man die Doppel­bö­dig­keit des Gesche­hens nicht in Bilder fassen.

»I am gonna miss the cricket in Moscow«, sagt der Entlarvte am Ende zu Smiley. Und dann begründet er seinen Verrat: »It was an aesthetic choice as well as a moral one.« Dazu läuft das fran­zö­si­sche Chanson »La mer« und das klingt dann zwar wie von Adamo, ist aber, wie der Abspann verrät, doch von Julio Iglesias gesungen. Der Osten! Als ästhe­ti­sche Entschei­dung!! Darauf muss man erstmal kommen. Das galt natürlich für Willy Brandt, Richard von Weiz­sä­cker und die ganzen anderen Großväter, die 1989 plötzlich trium­phieren konnten, weil sie die schönen Allen von »Mittel­deutsch­land« wieder­be­kamen. Aber für einen briti­schen Agenten im Jahr 1973?

Sehnsucht also nach dem Kalten Krieg. Aber auch diese Zeit hatte ihre Sehn­süchte, wie ein kleiner Dialog zwischen Smiley und seiner Ex-Kollegin Connie erzählt: »This was a good time, George.« – »It was the war, Connie.« – »A real war. Englishmen could be proud then.« Und sie war hell­sichtig und es waren bereits seiner­zeit Sätze möglich, die wir heute, leider mehr denn je unter­schreiben können: »The west has become very ugly, George.«

Das Gesamt­werk von John Le Carré, darunter auch »Dame, König, As, Spion«, ist in verschie­denen Fassungen auf Deutsch bei Ullstein erschienen, darunter in einer sehr gut gemachten John Le Carré-Gesamt­aus­gabe.