Day Is Done

Schweiz 2011 · 111 min. · FSK: -
Regie: Thomas Imbach
Drehbuch: ,
Kamera: Thomas Imbach
Schnitt: Gion-Reto Killias, Tom La Belle
Gewitterstimmung über Zürich

Wolken ziehen vorüber

Day is done, der Tag ist vorbei, man kommt nach Hause, schließt die Türe hinter sich zu, und hört, während man sich der Straßen­schuhe entledigt, den Anruf­be­ant­worter ab. Ja, so war das früher.

Thomas Imbach, in Zürich ansäs­siger Filme­ma­cher, hat, wie es so oft in Kunst- und Künst­ler­kreisen der Fall ist, die Nach­richten, die er von Familie, Freunden und Kollegen auf seinem AB (für alle, die es schon vergessen haben: sprich: »A – Be«) vorge­funden hat, nach dem Abhören nicht gelöscht, sondern im Gegenteil, konser­viert. Seit Mitte der Neunziger, zur Zeit als Imbach seinen Film Ghetto drehte, sammelte er, faszi­niert von »dem damals neuen Medium«, wie er selbst in Erin­ne­rung ruft, die Bänder seines Anruf­be­ant­wor­ters. Es war der später in der Sackgasse verlau­fende Versuch, zeit­un­ab­hängig erreichbar zu sein, der mediale Gegen­ent­wurf zum späteren Mobil­te­lefon oder »Nahtel«, wie es in der Schweiz so schön einge­dy­tscht heißt.

Eine fast verlorene Geste des damaligen Alltags wird durch Imbachs Film wieder lebendig: das Sprechen in die Leere einer Wohnung hinein, mit dem Wissen um die baldige Anwe­sen­heit des Adres­saten. Eine durch und durch paradoxe Kommu­ni­ka­ti­ons­si­tua­tion: zu sprechen für den Moment, wo die Ansage abgehört wird, im Moment, in dem wie in einer (thea­tralen) Apostrophe der Abwesende angerufen wird. Genau diese Anru­fungs­mo­mente, meist emotio­naler Art, hat Imbach in seinem Film vereint. Das fragende Flehen um Rückruf, manchmal auch nur der Wunsch, seine Stimme wieder zu hören, sprechen vor allem Frauen auf Ts AB. T: das ist eine, wie die Anru­fenden, unsichtbar bleibende Person, die im Abspann aufge­führt wird. Die Frauen: das sind verstoßene Geliebte, die Mutter des Ange­ru­fenen, und die zunächst enttäuschte, dann verlas­sene und offen­sicht­lich allein­er­zie­hende Mutter seines Kindes. Die wenigen männ­li­chen Ansagen auf dem AB zeugen von der beruf­li­chen Seite des Lebens von T: der Dreh zu Ghetto, der Preis, den er für den Film bekommen hat, das Klagen seines Kame­ra­manns, der aufgrund eines Unfalls zeitweise arbeits­un­fähig wurde. Und der jetzt scho­ckiert und enttäuscht bemerken muss, dass T überhaupt keinen Vertrag mit ihm abge­schlossen hat.

T, das wird bald klar, ist ein mensch­li­ches Arschloch. Nie ruft er zurück, und dennoch rufen sie alle immer wieder an, über 20 Jahre hinweg. T ist ein Versager im Privaten, ein Ausnutzer im Beruf­li­chen. Und insgesamt ein Egomane, denn wer hat schon jemals – auch wenn er noch so eifrig gesammelt hat – aus den Tonschnip­seln seines Anruf­be­ant­wor­ters einen Film gemacht, in dem sich alles ausschließ­lich um ihn selbst dreht?

Aber: Wieviel Thomas (Imbach) steckt denn überhaupt in T? Gerade das Verhältnis von Imbach zu T ist ein schwie­riges. Imbach selbst nennt seinen Film eine »fiktive Auto­bio­gra­phie«, mit selek­tiertem, verdich­tetem und dadurch fiktio­na­li­siertem Material. Die Fiktio­na­li­sie­rung aber erreicht Imbach vor allem dadurch, dass er die Momente, in denen T die Ansagen scheinbar abhört, in drama­ti­sche visuelle Situa­tionen bettet.

20 Jahre lang hat Imbach aus dem Fenster seines Ateliers, in dem der Anruf­be­ant­worter seine Abwe­sen­heit hütete, immer wieder den Blick gefilmt, der sich ihm offen­barte. Mit einer gebrauchten 35mm-Kamera wollte er seit Mitte der Neunziger Land­schafts­auf­nahmen drehen. Sein Expe­ri­men­tier- und Beob­ach­tungs­feld war der Blick über die Stadt Zürich, der sich von seinem indus­tri­ellen, großzügigen Atelier­fenster wie in einem Panorama-Gemälde auftat. Imbach zeigt drama­ti­sche Himmel, mit einschla­genden Blitzen, sich im Zeit­raffer verän­dernde Wolken­himmel und Abend­stim­mungen zur Nacht hin, während im Tal der Stadt wie in einer Spiel­zeug­land­schaft Züge vorbei­ziehen. Dazu hört man im Film die meist klagenden Worte der auf dem AB vorge­fun­denen Ansagen. Melan­cholie tut sich auf. Kein Zweifel: das Leben zieht in diesem Film vorüber wie die Wolken am Himmel und die Züge im Tal. Und, wie die Wolken am Himmel und die Züge im Tal: Das Leben verändert sich und bleibt doch immer gleich.

Imbachs Film ist, mehr als eine Doku­men­ta­tion über einen bestimmten Abschnitt in seinem Leben, eine Metapher. Eine Metapher für das Leben, ganz allgemein. Für das Kommen und Gehen der Ereig­nisse, die immer nur erahnt werden können, seltsam ereig­nislos bleiben. Ereig­nisse drama­ti­sieren sich nur im Hof, der sich unter dem Atelier­fenster auftut. Ein Feuer­wehr­ein­satz. Der Versuch Jugend­li­cher, in einem im Hof geparkten Auto einzu­bre­chen. Eines Abends ein vornehmer Empfang im Haus gegenüber. Schicke Autos, die vorfahren. Reich geklei­dete Menschen, die den Autos entsteigen. Tagsüber: spielende Kinder. Und täglich: eine Frau, die, einen Schlüssel schwen­kend, über den Hof geht. Die zurück­kommt und jetzt im Arm Post trägt. Immer wieder, in Zeitlupe. In einer weißen Jeans. In hohen Schuhen. In einem engen Rock. Mit und ohne Sonnen­brille. Die auch im Winter über den Hof geht. Immer in denselben, schwebend-glei­tenden Bewe­gungen. In all diesen Szenen unter dem Fenster zeigt sich einmal mehr die Thea­tra­lität des Imbach­schen Films: während der Himmel die Dramatik des Lebens entfacht, ist der Hof eine Bühne, auf dem sich das Leben konkre­ti­siert. Ein Leben freilich, das in voyeu­ris­ti­scher Weise erschli­chen wird, das ein fremdes ist. Von dem man aber auch nie mit letzter Bestimmt­heit sagen kann, dass es sich wirklich zuge­tragen hat, so unwahr­schein­lich erscheint es in seiner Verdich­tung und Zuspit­zung.

Imbach hat in Filmen wie Lenz oder I Was a Swiss Banker stets männ­li­chen Versa­ger­typen oder Schwäch­lingen die Haupt­rolle über­lassen. Auch in Day is done ist der unsicht­bare Prot­ago­nist, um den alles kreist, ein Anti-Held. Einer, der die Frauen schlecht behandelt und das Leben nicht auf die Reihe kriegt. Day is done spricht von der Poetik des Schei­terns, über den rasenden Still­stand der Zeit. Über dem Film schwebt eine rück­wärts­ge­wandte Melan­cholie und das unbe­stimmte Gefühl, etwas verpasst zu haben im Leben, im unstill­baren Drang, immer weiter zu gehen. Weiter­zu­ziehen wie die Wolken über der Stadt.