Cinemania

»Es gibt nur zwei Städte auf der Welt, in denen man richtig ins Kino gehen kann: New York und Paris«, findet Bill. Und weil er ohnehin ein Fan fran­zö­si­scher Filme ist, überlegt er, wie er wohl eine Französin zum Heiraten finden könnte, zwecks Über­sied­lung. Einst­weilen begnügt er sich weiterhin mit den New Yorker Kunst­kinos, auch wenn er dort seine Thermo-Unter­wä­sche braucht.

Bill ist ein Cine­ma­niac – Kino-verrückt, in fünf Filmen pro Tag, jeden Tag. Und diese Leiden­schaft teilt er mit Roberta, Eric, Harvey und Jack, der uns durch den Film führt. Kino ist ihr Lebens­in­halt, das Sehen von Filmen, das Sammeln von Programmen (auch wenn die Regale schon über­quellen) und von Sound­tracks (auch wenn man keine Musik­an­lage hat) wichtiger als alles andere – und auch die Ernährung wird dem Film-Stun­den­plan angepasst. Ein Leben, gewidmet dem Genuss – wenn es bei der Vorfüh­rung keine Pannen oder Unacht­sam­keiten gibt, die einem die Freude vergällen. Da hilft es, die Tele­fon­nummer des Vorführ­raums im Handy gespei­chert zu haben. Und wie soll man die kleinen Nach­läs­sig­keiten des Kino­per­so­nals ertragen – Roberta reagiert da sehr unduldsam und hat deshalb schon Haus­verbot riskiert.

So ein Leben bringt natürlich auch Probleme mit sich: wie kann man einen Job ausüben oder Freund­schaften pflegen, wenn man den ganzen Tag im Kino ist? Natürlich fällt man durch das Raster der Norma­lität, wenn man seinen Tages­ab­lauf nach dem Kino­pro­gramm gestaltet und das Notieren von Film­längen derart wichtig wird. Doch während wir Jack ins Kino und zu seinen Mit-Cinemanen begleiten, stellen wir fest: Diese fünf Menschen haben ihren Platz im Leben gefunden: den Kino­sessel.

Angela Christ­lieb lernte die Kino­süch­tigen kennen, als sie an der Kasse der Anthology Film Archives (eines bekannten Kunst-/Reper­toire-Kinos) jobbte, ihrem Kollegen Stephen Kijak begegnete sie, weil auch er (für einen New Yorker Kabel­sender) an einem Portrait des Cine­ma­niac Jack arbeitete. Gemeinsam schufen sie diese faszi­nie­rende Doku­men­ta­tion eines ganz beson­deren Aspektes von Groß­stadt­leben.

Man muss nicht kino­süchtig sein, um die Darge­stellten inter­es­sant und liebens­wert zu finden. Und doch: bei der Vorfüh­rung auf dem Münchner Filmfest 2002 war ganz deutlich die Erleich­te­rung zu spüren, mit der die Festival-Maniacs fest­stellten, dass sie mit ihren Sehge­wohn­heiten eigent­lich noch ganz normal waren. Und wer den Film noch vor der anschließenden Diskus­sion mit Christ­lieb und Kijak verließ, weil schon das nächste Screening wartete, konnte zumindest auf das Vers­tändnis der Regis­seurin zählen.