Die Chaoscamper

RV

USA/D 2006 · 99 min. · FSK: ab 0
Regie: Barry Sonnenfeld
Drehbuch:
Kamera: Fred Murphy
Darsteller: Robin Williams, Cheryl Hines, Joanna "JoJo" Levesque, Josh Hutcherson, Jeff Daniels u.a.
Familie Munro

Fäkalfontäne

oder: Was von Ralph Waldo Emerson übrig bleibt

Es ist ein weit verbrei­tetes Miss­ver­s­tändnis, dass der Horror­film das gruse­ligste aller Genres sei. Nein, das wirklich große, wahre Grausen packt einen (na gut: mich zumindest) nirgends so sehr wie bei US-ameri­ka­ni­schen Fami­li­en­komö­dien.

Es ist das konser­va­tivste aller Genres. Seit Jahr­zehnten beharr­lich, voll­s­tändig resistent gegen alle ästhe­ti­schen Inno­va­tionen, die den Rest des Kinos so beschäf­tigen. Und vor allem ein ewiges Hadern mit allen sozialen, poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen Verän­de­rungen. Die US-Fami­li­en­komödie ist die letzte große Bastion der weißen Mitte: Ein einziges, immer­wäh­rendes Kämpfen um die Wieder­her­stel­lung des Ideals der glück­li­chen, patri­ar­cha­li­schen Familie, an der alles (untere) Mittel­klasse und »middle-brow« ist – die poli­ti­sche Haltung, das Einkommen, die Lebens­ziele, der Geschmack.

Das Ziel dieser Filme ist damit vorde­fi­niert – ihr »komö­di­an­ti­sches« Potential beziehen sie aus einer anfäng­li­chen Bedrohung dieser idyl­li­schen Vision. Meist ist es die Position des Vaters, die gefähr­lich ins Wanken gerät. Und so ist’s auch hier in Die Chaos­camper (Origi­nal­titel: RV): Bob Munro ist nicht mehr der Held für seine Tochter, seit diese in der Pubertät steckt; sein Sohn hört dauernd – Herr hilf! – HipHop (den bekannt­lich bedroh­liche Neger machen); mit seiner Frau hat er schon länger nicht mehr gesch­nackselt; und sein Chef (der deutlich jünger ist als er) verlangt von dem alternden Bob, dass der sich an das Geschwind­marsch-Tempo des Globa­li­sie­rungs-Kapi­ta­lismus anpasst.
Eine verhee­rende Gemen­ge­lage also für’s weiße, männliche Mittel­klasse-Ego – Bobs Rolle als Fami­li­en­ober­haupt, Autorität, Ernährer, Liebhaber, kurz: seine Potenz von allen Seiten unter Beschuss.

Aber wo derlei Gefahr wächst, wächst – zumindest in solchen Kollektiv-Fantasien – das Rettende auch. Denn dafür sind sie ja da, diese Fami­li­en­komö­dien – dass all die kleinen, armen Bobs im Publikum Trost, Halt und Hoffnung finden.
In RV tarnt sich die Rettung zunächst als vermeint­li­ches Unglück: Bob bekommt vom Chef den lange geplanten Urlaub gestri­chen und wird für eine Präsen­ta­tion nach Colorado abbe­or­dert. Dort soll er einen nach demo­kra­ti­schen ‘68er-Idealen geführten, ebenso erfolg­rei­chen wie human-verant­wor­tungs­be­wussten Softdrink-Hersteller dazu bewegen, das Fami­li­en­un­ter­nehmen mit Bobs Arbeit­geber zu fusio­nieren – einem anonymen, profit­geilen Mega-Konzern.
Weil aber Bob weder den Chef noch die auf Hawaii einge­stellte Familie ganz enttäu­schen kann und will, verfällt er auf die Idee, mit einem gemie­teten Wohnmobil (amerik. »recrea­tion vehicle«, kurz »RV«, daher der Origi­nal­titel) nach Colorado zu tuckern und seinen Lieben dies als Ferien zu verkaufen.

Bevor es besser wird, muss es – auch ein ehernes Fami­li­en­komö­dien-Prinzip – erstmal schlimmer werden. Drum gerät die Wohnmobil-Reise zum erwart­baren Horror-Trip. Und weil sich der für das Genre typische Humor seit jeher durch eine seltsame, ungute Mischung aus Regres­sion und Aggres­sion auszeichnet – wohl, weil er eben einen so unhalt­baren Posten gegen so eine böse, wandel­bare Welt vertei­digen muss – geht es vor allem für Bob von einer Station der Entwür­di­gung zur nächsten. Dass der Kloaken-Tank des Miet­mo­bils übervoll ist und Bob beim Versuch des Leer­pum­pens eine Dusche in einer gewal­tigen Fäkal­fon­täne nehmen muss, ist erst der Anfang. Aber erst als ganz gebro­chener Mensch kann Bob phönix­gleich sich erheben und als Held, Vater, Fami­li­en­ver­sorger, MANN wieder­auf­er­stehen.

Was freilich nicht ohne fremde Hilfe geht. Und auch die erscheint zunächst in Gestalt einer vermeint­li­chen Plage: Die Gornickes. Eine »white trash«-Familie, deren Wohnmobil ihr einziges Heim ist. Die Cowboy-Look trägt; laut, aufdring­lich und herzlich ist; die ihre Kinder selbst unter­richtet, statt sie in die Schule zu schicken.
Den Hauptteil des Films sind die Munros – so bedacht auf Wohlstand und welt­läu­figen Mittel­klasse-Konfor­mismus – auf der Flucht vor dieser ihnen pein­li­chen Bande. Aber was wie das Andere aussieht, ist selbst­ver­s­tänd­lich nur das verdrängte Selbst. Und es ist der Schlüssel zur Heilung, zum Heil: Die Munros müssen nämlich schließ­lich implizit erkennen, dass die Gornickes Verkör­pe­rung eines »American Spirit« sind, der ihnen, den Munros, abhanden gekommen ist.

Die Land­schaft von Colorado, das ist klas­si­sches Pionier-Terri­to­rium. Die Unter­schicht in Cowboy-Gewand, die sich von Eliten und der Moderne nicht drein­reden lässt in das, was ihnen ihr »gesunder Menschen­ver­stand« instinktiv als das Richtige und Natür­liche eingibt – das sind, komö­di­an­tisch überhöht, für RV offenbar die wahren Erben der US-Grün­der­väter.
Und das Wohnmobil – diese selbst­genüg­same, nicht­sess­hafte, raumer­obernde Fort­set­zung des Plan­wa­gens mit komfor­ta­bleren Mitteln – ist ihm damit ein Bild für alles, was dem »verweich­lichten«, europäi­sierten, alt, fett und kraftlos gewor­denen heutigen Mittel­stand fehlt.

Irgendwo in der geistigen Ahnen­kette von RV suppt, aus großer Ferne als Echo erinnert und ziemlich sicher unbewusst, Emersons »Self-reliance« herum, eines dieser zentralen Dokumente des US-Selbst­ver­s­tänd­nisses. RV ist der traurige Rest dessen, was 165 Jahre später von solchen hehren Geis­tes­flügen und Idealen übrig geblieben ist. Wie man überhaupt die US-Fami­li­en­komödie ein in jeder Hinsicht herun­ter­ge­kom­menes Genre heißen könnte: Es ist ein armse­liger Fortsatz der klas­si­schen Hollywood-Komödien, der dort einsetzt, wo diese aufhörten – nach der (Ehe-)Paar­stif­tung; eine Wahrung der Besitz­stände, insze­niert mit einem zum kläg­li­chen Bodensatz, mecha­ni­schen Reper­toire verkom­menen Humor-Handwerk, dem man jede »sophis­ti­ca­tion« ausge­trieben hat. Heutige Fami­li­en­komö­dien verhalten sich, anders gesagt, ähnlich zu den Screwball-Klas­si­kern wie Tele­no­velas zu Dickens-Romanen.

RV ist eine durch und durch falsche Beschwö­rung der alten US-ameri­ka­ni­schen Mythen. Die Tugenden der Pionier-Selbst­ver­sorger als Antwort auf die heutigen Familien-Krisen hoch­zu­halten ist ohnehin mehr als frag­würdig. Aber der Film liefert davon auch nur Abzieh­bilder, die keinerlei Wahr­haf­tig­keit und Tiefe haben. Und das hat nichts damit zu tun, dass er eine Komödie, sondern dass er faul und unehrlich ist.
So ziemlich alles an RV ist so gefaked, grell und aufdring­lich wie seine Farben – er ist einer dieser Filme, die offen­sicht­lich weit­ge­hend digital nach­ko­lo­riert wurden. Die ur-ameri­ka­ni­sche Konfron­ta­tion des Indi­vi­duums mit der Natur (auch dieser Topos schwingt mit bei dem Selbst­er­fah­rungs­trip »back to the (US-)roots«) sieht da eher aus wie eine Reise in eine animierte Kitsch­post­karte: Nirgends offenbart der Film seinen miesen Geschmack so sehr wie in seinen Berg-und-Wald-Bildern. Das sind Farben und Panoramen für Leute, die sich gern Gemälde mit röhrenden Hirschen an die Wand hängen.

Bemer­kens­wert ist nur, dass selbst einem so konser­va­tiven, resolut ameri­ka­ni­schen Film aus so einem konser­va­tiven, resolut ameri­ka­ni­schen Genre die derzei­tige Ausprä­gung des Kapi­ta­lismus zu weit geht. Denn selbst­ver­s­tänd­lich (und von Anfang an dermaßen vorher­sehbar, dass man es getrost verraten darf) wechselt Bob am Ende die Fronten und rät dem Softdrink-Fami­li­en­un­ter­nehmen, unab­hängig zu bleiben. »Self-reliance« auch hier, klar. Aber wenn der Share­holder-value-, Globa­li­sie­rungs-Kapi­ta­lismus selbst in seinem Mutter­land keine Basis in der Mitte mehr zu haben scheint, dann sollte er sich wohl doch langsam Gedanken machen. Der Globa­li­sie­rungs-Kapi­ta­lismus. Der böse.

RV ist immerhin in einer Hinsicht nicht der schlimmste Fall einer solchen Fami­li­en­komödie. Soll heißen: Die Haupt­rolle hat nicht der uner­träg­liche Tim Allen, der gleichsam DIE Inkar­na­tion dieses wider­li­chen Genres überhaupt ist.
Nein, Robin Williams mimt den bedrohten weißen Vater, Jeff Daniels als Travis Gornicke ist seine Nemesis und Rettung zugleich. Und die Regie geht auf das Konto von Barry Sonnen­feld. Mehr oder minder schät­zens­werte Leute also, eigent­lich. Williams war ja, bevor er zur Oscar-Heulboje mutierte, einer der anar­chischsten Stand-up-Komiker und Impro­vi­sa­toren seiner Gene­ra­tion; Daniels lieben wir sowieso (und wer nicht weiß warum, sollte sich drin­gendst noch den wunder­baren The Squid and the Whale anschauen – und wer es weiß erst recht); Sonnen­feld hat als Kame­ra­mann und enger Kolla­bo­ra­teur bei den Coen-Brüdern – heilig! – ange­fangen und danach auch selbst noch den ein oder anderen redlich amüsanten, leidlich subver­siven Film gedreht (z.B. die beiden Addams Family-Streifen und Get Shorty).

Das Blöde nur: Man merkt von alldem nichts, und irgendwie macht das die ganze Sache nur noch schlimmer – dass die jetzt allesamt so auf den Hund gekommen sind, dass sie in solch einem Projekt landen. Und ob dies nun daran liegt, dass sie nicht genug Besseres mehr angeboten bekommen und das Geld oder die Credits brauchen oder dass sie inzwi­schen einen Humor entwi­ckelt haben, der sie einen Film wie RV toll finden lässt, macht keinen Unter­schied. Alle Möglich­keiten sind glei­cher­maßen unap­pe­tit­lich.