USA 2013 · 95 min. · FSK: ab 16 Regie: Brad Anderson Drehbuch: Richard D'Ovidio Kamera: Thomas Yatsko Darsteller: Halle Berry, Abigail Breslin, Morris Chestnut, Michael Eklund, Michael Imperioli u.a. |
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Zu sachtsubtiler Nervenkitzel oder doch immer spannend? |
Auch mehr als 30 Jahre nach seinem Tod ist Regie-Legende Alfred Hitchcock für viele Filmemacher eine nicht versiegende Quelle der Inspiration. Das gilt nicht zuletzt für Brad Anderson, der sich mit Session 9 (2001) und Der Maschinist (2004) als Spannungsexperte ausweisen konnte. Seine Bewunderung für den britischen Altmeister kommt insbesondere im temporeichen Eisenbahn-Thriller Transsiberian (2008) zum Ausdruck, spielt aber auch im neuen Werk The Call eine unverkennbare Rolle. So operiert der Film mehrfach mit der von Hitchcock formulierten Suspense-Definition. Jener Art der Spannungserzeugung, die den Zuschauer im Vergleich zu den handelnden Figuren mit Mehrwissen ausstattet und ihn dadurch umso nachhaltiger in das Geschehen hineinzieht. Zudem nimmt The Call in abgewandelter Form Bezug auf einen Wunsch, den der britische Regisseur in seinen berühmten Gesprächen mit François Truffaut geäußert hat: Gerne hätte er einen Film gedreht, der allein in einer Telefonzelle spielt – eine Vorstellung, der Joel Schumacher bereits 2002 mit seinem von Hitchcock beeinflussten Psychospiel Nicht auflegen! sehr nahe gekommen ist.
Wenngleich einmal mehr eine Standardsituation des Thriller-Genres bemüht wird, beginnt The Call äußerst vielversprechend: Eine Unachtsamkeit der routinierten Notruftelefonistin Jordan Turner (Halle Berry) führt dazu, dass ein junges Mädchen, das einen Einbruch melden will, vom Eindringling (Michael Eklund) kaltblütig ermordet wird. Jordan kann sich ihr Handeln nicht verzeihen und fällt in ein tiefes Loch. Erst Monate nach dem traumatischen Vorfall fühlt sie sich stark genug für einen Neuanfang. Sie kehrt in den Dienst zurück, arbeitet fortan allerdings im Ausbildungsbereich der Zentrale. Als ein panischer Notruf eine unerfahrene Kollegin zu überfordern droht, muss Jordan ihr Können als Telefonistin schließlich noch einmal unter Beweis stellen. Am anderen Ende der Leitung meldet sich die verzweifelte Casey (Abigail Breslin) aus dem Kofferraum eines fahrenden Wagens. Die junge Frau wurde entführt und hat keine Ahnung, wo sie sich befindet. Da eine genaue Ortung ihres Mobiltelefons fehlschlägt, gibt Jordan dem Mädchen Hinweise, wie es die anderen Autofahrer auf sich aufmerksam machen kann.
Das Ausgangsszenario ist sicherlich nicht immer frei von logischen Fallstricken, und doch gelingt es Brad Anderson recht eindrücklich, eine spannungsgeladene und intensive Atmosphäre zu erzeugen. Geschickt verdichtet der Regisseur das Geschehen auf die beiden handlungstragenden Schauplätze: die großräumige Notrufzentrale auf der einen und das klaustrophobische Kofferraum-Gefängnis auf der anderen Seite. Der dynamische Schnittrhythmus, die selten zur Ruhe kommende Kamera und das oftmals überbordende Sounddesign betonen ein bereits auf Plotebene präsentes Genre-Motiv, das auch bei Hitchcock häufig anzutreffen ist: den unerbittlichen Wettlauf gegen die Zeit.
Zusätzlichen Antrieb erhält die dramatische Konstellation durch einen kleinen, aber entscheidenden Wissensvorsprung des Publikums. Anders als Jordan erfährt der Zuschauer sehr früh, dass Caseys Peiniger nicht nur der Einbrecher aus dem Prolog, sondern auch ein gefährlicher Serienmörder ist. Wie in anderen artverwandten Filmen entwickelt sich die Reise der Heldin so zu einer ganz persönlichen Überwindungsgeschichte.
Bis zur Bewältigung des anfangs erlittenen Traumas ist es allerdings ein weiter Weg, denn so reizvoll das begrenzte Setting auch sein mag, Drehbuchautor Richard D’Ovidio ist sichtlich bemüht, den Gefahren einer solchen Reduktion vorzubeugen. Um Redundanzen und erzählerischen Stillstand zu vermeiden, öffnet er an manchen Stellen den Blickwinkel auf das Geschehen. Etwa wenn es Casey tatsächlich gelingt, einen Autofahrer auf ihre Notlage hinzuweisen, sie damit aber auch den Entführer zu einer Reaktion zwingt. Faszinierend ist in diesen Momenten vor allem das unberechenbar-abgründige Spiel Michael Eklunds, der den Serienkiller als besessenen Menschen zwischen fiebriger Hyperventilation und brutaler Rücksichtslosigkeit anlegt.
Angesichts des lange Zeit effektiven Spannungsaufbaus ist die Richtung, die Andersons Thriller im letzten Drittel einschlägt, umso bedauerlicher. Wie es sich für die Protagonistin eines Hollywood-Films zu gehören scheint, muss Jordan hier vollends aktiv werden. Mit dem Verlassen der Notrufzentrale steuern die vormals halbwegs plausibel gehaltenen Ereignisse geradewegs auf eine Sackgasse zu. Glaubwürdiges Handeln wird leichtfertig geopfert für eine Aneinanderreihung billiger Klischees des Serienkillerfilms: Erwartungsgemäß ist es Jordan, die das düster-makabre Kellerverlies des Mörders aufstöbert. Dessen Taten sind selbstverständlich mit einer schrecklichen Erfahrung im Kindesalter verbunden. Und natürlich frönt der gestörte Mann einer fetischistischen Neigung, die übertrieben deutlich in Szene gesetzt wird. Zusammen genommen ist das schon ärgerlich genug. Und doch setzt der moralisch zweifelhafte Showdown einen noch unrühmlicheren Höhepunkt: die weibliche Antwort auf männliche Gewalt erfährt hier eine vollkommen unmotivierte Pervertierung.
Schade, dass sich Regisseur Anderson und Drehbuchautor D’Ovidio gerade im letzten Akt vom großen Vorbild Hitchcock abwenden. Der britische Filmemacher hat es schließlich immer verstanden, spekulativ-reißerische Inhalte – man denke nur an seinen Meilenstein Psycho (1960) – konsequent zu Ende zu führen, ohne dabei in stumpfsinnige Exzesse zu verfallen. Auch wenn seine Filme gewiss einer anderen Zeit entstammen und sich die Sehgewohnheiten deutlich gewandelt haben, ist subtiler Nervenkitzel nach wie vor die höchste Kunst des Thrillers. Viel davon bleibt am Ende von The Call leider nicht übrig.
911 – dies ist in Amerika die allgemeine Notrufnummer für alle denkbaren Fälle. Aber wer sitzt eigentlich am anderen Ende der Leitung? Normale Menschen, die ihren eigenen Alltag leben und oft von dem, was da auf sie an menschlichen Schicksalen einprasselt, überfordert sind. Wir lernen Jordan kennen. Sie arbeitet seit Jahren bei der Notrufzentrale von Los Angeles – sie hat einen Polizisten zum Freund und keine leichte Vergangenheit, vor allem aber ist sie ein Profi
in diesem harten Job. Eines Tages aber macht Jordan einen Fehler, und eine junge Frau, die überfallen wird, stirbt dabei. Halle Berry spielt diese Jordan, die auch viele Monate nach diesem Vorfall nicht richtig über ihn hinweggekommen ist, und vor allem Neuankömmlinge im Notruf-Callsenter trainiert. Dieses Callcenter ist sehr sozialrealistisch gezeichnet: Die, die mit ihr hier arbeiten, stammen aus der unteren Mittelschicht, sie sind mehrheitlich Frauen und weder Weiße, noch
hochgebildet, auf die Situationen und den riesigen Stress, denen sie begegnen und von denen sie oft fachlich überfordert sind, reagieren sie mit menschlicher Wärme und gesundem, pragmatischen Hausfrauenverstand.
Dann aber muss Jordan plötzlich für eine Kollegin einspringen – und natürlich ist es ein recht ähnlicher Fall wie jener, der sie ihre berufliche Unschuld kostete: Casey (Abigail Breslin), ein junges Mädchen ruft voller Panik mit ihrem Mobiltelefon aus dem
Kofferraum eines Wagens an, in dem ihr Entführer sitzt. Jordan übernimmt, versucht das Entführungsopfer zu beruhigen, zu manövrieren und mit Hilfe der Polizei aus der gefährlichen Situation zu befreien. Doch die Lage dauert an; das Telefon kann nicht verfolgt werden und so entsteht über die Zeit langsam eine enge Verbundenheit zwischen den beiden unterschiedlichen Frauen. Der Film inszeniert Casey und ihre klaustrophobische Lage eindrucksvoll: In Großaufnahmen ihres Gesichts,
ihre Tränen. In Parallelmontagen verschmilzt der Film diese beiden Hauptfiguren, während die Gewissheit wächst, dass es sich bei dem Verbrecher um einen hochgefährlichen Psychopathen handelt.
Vor zehn Jahren wurde Regisseur Brad Anderson mit Der Maschinist bekannt, es folgte 2008 Transsiberian und dann Fernseharbeiten. The Call ist in seiner Machart ein altmodischer Film – die Räume sind unspektakulär, es gibt keine Spezialeffekte, sondern klassische Montagen und Kameraarbeit. Bilder sind wichtig, doch The Call kreist um Worte: Denn Schönheit und Reiz dieses Films liegen in der Nähe, die ein Telefonat auch über große Entfernungen herstellen kann: Man hört Atmen und Stöhnen, man hört den Klang der Stimme, Nebengeräusche... Wie oft spielte im Horror- und Thrillerkino das Telefon bereits eine Hauptrolle – von Hitchcocks Dial M For Murder über Wes Cravens Scream bis zu Joel Schumachers Phone Booth. Ein paar technische Besonderheiten sorgen hier für Zusatzthrill: Verbindungsprobleme, schwindende Telefonbatterien, die Machtlosigkeit angesichts der räumlichen Entfernung.
Besondere Spannung entsteht etwa, wenn der Fahrer mit seinem Opfer im Kofferraum stoppen muss, auf andere Personen trifft. Schließlich kommt er in einem entlegenen Ort im San Fernando Valley an, und Jordan schlüpft schließlich selbst in die Rolle einer Ermittlerin – mit Instinkt und Härte geht sie dabei vor, und hat im Gegensatz zum tölpeligen Polizei Erfolg. Da wird The Call zum Frauenpower-Rachedrama – ein dicht inszenierter, immer spannender Film, der zuerst unter die Haut geht, und am Schluss eine etwa billige Erleichterung serviert