Breakfast on Pluto

Irland/GB 2005 · 135 min.
Regie: Neil Jordan
Drehbuch:
Kamera: Declan Quinn
Darsteller: Cillian Murphy, Liam Neeson, Ruth Negga, Laurence Kinlan, Stephen Rea u.a.
»We'll fly to the stars... Journey to Mars... And find our breakfast on Pluto.«

Unwiderstehlicher Narr

Neil Jordan taucht ein in die Sixties-Popkultur

Krieg den Palästen! – Es kracht und splittert wieder im Kino und zwar nicht nur in debiler Main­stream-Action, sondern in hoch­sen­si­blen Arthouse­mo­vies. Feuer­werke sind nicht nur etwas zum Hingucken, sondern auch zum Hören und Erzittern, und darum ist es zu begrüßen, wenn sich das Kino wieder daran erinnert, dass es seine Ursprünge auch im Jahrmarkt hat.

Einer der Höhe­punkte auch in Neil Jordans Breakfast on Pluto ist so eine Explosion. Eine Disco geht da in Scherben, und auch wenn man ein IRA-Attentat bitte­schön nicht vernied­li­chen sollte, und der Film das auch keines­wegs tut, sieht es doch gar herrlich aus, wie die Funken stieben, die Spie­gel­glas­splitter in alle Himmel­rich­tungen wegfliegen, während man in ihren Frag­menten noch die Körper tanzen sehen kann. Der Film als ganzer ist eine Spur ruhiger, als jetzt diese Szene vermuten lässt, aber er ist immer über­bor­dend und virtuos. Es hat seinen Grund, dass Jordan (The Company Of Wolves, The Crying Game, Interview with the Vampire) bzw. Patrick McCabe, von dem die Vorlage stammt – wie damals vor neun Jahren schon zu Jordans unter­schätztem The Butcher Boy – die Struktur eines barocken Schel­men­ro­mans gewählt hat: Auch Kitten, also »Kätzchen«, die Haupt­figur des Romans, ist ein schlichtes, oft naives, manchmal richtig dämliches Gemüt, der als geistiger Nachfahr von Hans im Glück und Simpli­cius Simpli­cis­simus auf der Suche nach seiner Mutter durch das Narren­schiff der 60er-, 70er- Jahre und deren 30-jährigen Ideen­krieg stolpert.

Herkunftslos fand man ihn eines Tages auf der Treppe eines Pries­ter­se­mi­nars, versehen mit dem gutka­tho­li­schen Namen Patrick bekommt er eine Stief­mutter und als er älter wird, merkt er bald, wie gern er Frau­en­kleider trägt. Damit ist er, sehr im Gegensatz zu seiner Umgebung, auch ganz glücklich. Was ihn viel mehr belastet, ist die vage Erin­ne­rung an die Mutter. Überzeugt, dass sie noch lebt, zieht Kitten eines Tages hinaus in die weite Welt. Er wird Sänger in einer Rockband, Assistent eines Zauberers, Prosti­tu­ierte und man hält ihn für einen IRA-Terro­risten – »Transe als Terrorist!« Noch mehr wie die eigene Suche treiben ihn Begeg­nungen, treibt ihn das Leben selbst voran.

Im Film dauert das 135 Minuten und wie im Barock­roman 36 Kapitel. Über­bor­dend und versponnen, poppig und glamourös, trotzdem rau, enthalten sie die ganzen Kosmos dieser Zeit: Die Geschichte eines Jungen vom Land, der in die große Stadt kommt und dort seine wahre Identität erst findet, seine Herkunft rekon­stru­iert, grundiert vom histo­ri­schen Hinter­grund der Unruhen in Irland, dem Beginn des nord­iri­schen Terrors, dem popkul­tu­rellen Aufbruch der 60-er, der heute tatsäch­lich so weit weg liegt, wie der Planet Pluto. Man darf sich nicht abschre­cken lassen durch dieses Chaos der Refe­renzen die Zeichen liegen bei Jordan diesmal nur etwas offener herum, als bei anderen Filme­ma­chern.

Außer­or­dent­lich ist Cillian Murphy in der Haupt­rolle. Man kennt ihn als doppel­bö­digen Bösewicht in Batman Begins und Wes Cravens Red Eye. Hier zeigt er andere Facetten, wird zum unwi­der­steh­li­chen Narren. Die Musik spielt, wie immer bei Jordan, eine unglaub­lich große Rolle. Schon der Filmtitel teased einen Song an: »We'll fly to the stars... Journey to Mars... And find our breakfast on Pluto.«

Breakfast on Pluto ist roman­tisch und brutal zugleich, ein magisches Märchen aus unserer Zeit, insgesamt ein schräger, süffiger, dabei zarter und witziger Film, voller Explosiv-Schau­werte.