Die Boxtrolls

The Boxtrolls

USA 2014 · 97 min. · FSK: ab 6
Regie: Graham Annable, Anthony Stacchi
Drehbuch: ,
Musik: Dario Marianelli
Schnitt: Edie Bleiman
Gratwanderung des Humors

Liebe in Zeiten der Paranoia

Es ist nicht das erste Mal, dass das auf Stop-Motion spezia­li­sierte, kleine Anima­ti­ons­studio Laika auf subtile Art und Weise die Abgründe und Tabus unserer west­li­chen Gesell­schaft illus­triert. In Coraline war es der Über- und Heli­ko­pter-Eltern-Tick, der düster und morbid, aber gleichz­eitig auch konstruktiv und kritisch abge­han­delt wurde; in ParaNorman Tod, Sexua­lität, Homo­se­xua­lität und ein grund­sät­z­li­ches Plädoyer für das »Anders­sein«, dass die Filme­ma­cher von Laika ins Zentrum rückten. Die Boxtrolls, Laikas neueste Produk­tion nimmt sich eines weiteres Minen­feldes unseres mensch­li­chen Daseins an – der Demagogie poli­ti­scher und gesell­schaft­li­cher Into­le­ranz, denen im kleinst anzu­neh­menden Fall Ausgren­zung, im größt anzu­neh­menden Fall ein Genozid folgt.

Als Projek­ti­ons­fläche für diese Thematik haben die Regis­seure Sam Fell und Chris Butler (der auch für das Drehbuch verant­wort­lich zeichnet) Alan Snows Roman »Here Be Monsters« adaptiert und für die für Laika typsische Stop-Motion-Ästhetik trans­for­miert. 190 Puppen wurden gefertigt, 79 Sets entworfen und allein für den Haupt­cha­rakter Eggs 15.000 unter­schied­liche Gesichts-Segmente 3D-gedruckt.

Eggs ist es dann auch, über den zentral die alte, immer aktuelle Geschichte von Diskri­mi­nie­rung erzählt wird. Angeblich als Kind von Boxtrolls entführt und trau­ma­ti­siert, wächst Eggs aller­dings völlig angstfei auf, in dem Glauben, selbst ein Boxtroll zu sein – Mons­ter­wesen, die sich vor allem dadurch ausz­eichnen, dass ihr zentraler Körper von einer Papp­schachtel verdeckt wird bzw. daraus besteht. Nachts besucht er mit seinen Zieh­el­tern und Freunden die Oberwelt der Menschen, ein betont verspielter Spiegel vikto­ria­ni­scher Zeiten, kurz vor dem Durch­bruch des Dampf­ma­schi­nenz­eit­al­ters. Auf ihren Streif­zügen durch die Oberwelt suchen die Boxtrolls nach Abfällen, die Teil ihrer eigenen Dampf­ma­schi­nen­an­lage werden sollen, müssen dabei aber beständig Angriffen des mensch­li­chen Polizei­ap­pa­rates auswei­chen, der nichts anderes als die komplette Vernich­tung der Boxtrolls im Sinn hat. Weder Eggs noch seine Freunde ahnen, dass ausge­rechnet Eggs vermeint­liche Entfüh­rung Anlass für den Beginn der Säube­rungs­ak­tion war. Der fast auswegslos erschei­nende geno­zi­dale Prozess erfährt jedoch eine über­ra­schende Wendung, als Eggs die Tochter des Stadt­rats­vor­sitz­enden kennen und lieben lernt und damit nicht nur sich selbst erkennt, sondern auch die Sicht­weise der Oberwelt ins Wanken bringt.

Wie schon in Coraline und ParaNorman werden gerade die dunklen bzw. tabui­sierten Seiten mensch­li­chen Verhal­tens auch in dieser Geschichte nie durch die Stop-Motion-Technik »vernied­licht«, sondern vielmehr demas­kiert – sind Schauer, Grusel, Grauen und nicht zuletzt ein dezidiert briti­scher Humor vielmehr pädago­gi­sches Konzept und Span­nungs­motor einer immer gesell­schaft­kri­ti­schen Bestands­auf­nahme. Dabei lassen sich die Boxtrolls beliebig »ideal« inter­pre­tieren: als jüdische, arme­ni­sche oder chine­si­sche Minder­heit unserer Vergan­gen­heit genauso gut wie als soge­nannte Bedrohung des Islam in unserer Gegenwart. Das Konzept ist universal, genauso wie die Mittel dagegen. Zu denen unbedingt auch Grat­wan­de­rungen des Humors wie die Boxtrolls gehören – ein Humor, der nicht nur glei­cher­maßen bei jung und alt funk­tio­niert, sondern der letztlich sogar soweit geht, sich in einem fulmi­nanten grotesk-selbst­re­flek­tiven Ende selbst zu dekon­stru­ieren.