Blue Moon

Österreich 2002 · 97 min. · FSK: ab 12
Regie: Andrea Maria Dusl
Drehbuch:
Kamera: Wolfgang Thaler
Darsteller: Josef Hader, Viktoria Malektorovych, Detlev Buck, Ivan Laca u.a.
Hader und Buck im wilden Osten

Kontinentaldrift

Der »Blaue Mond«, das sehr seltene Zusam­men­treffen von zwei Voll­mond­nächten in einem Monat, erzeugt eine ganz besondere, geheim­nis­volle Stimmung. Das wussten bereits zahl­reiche Musiker, die dieses Phänomen besangen, das wusste auch Jim Jarmusch, dessen Mystery Train in einer unge­wöhn­li­chen Nacht um die von Elvis gesun­genen Version dieses Liedes kreist, das weiß auch die Pichler-Oma, deren Lebens­weis­heiten Josef Hader alias Johnny Pichler in Blue Moon regel­mäßig zitiert und das weiß natürlich auch Andrea Maria Dusl, die Regis­seurin dieses bemer­kens­werten, kleinen Films.

Bezeich­nen­der­weise ist ein leeres Autokino der Ausgangs­punkt von Blue Moon. Ein osteu­ropäi­scher Mafiosi wartet dort schlecht gelaunt, da sich zum einen der Geldboten verspätet und zum anderen das blonde Callgirl auf dem Beifah­rer­sitz seines ameri­ka­ni­schen Nobel­wa­gens nicht seinen Vorstel­lungen entspricht. Als der Bote (Josef Hader) endlich erscheint, jedoch »Verzugs­zinsen« fehlen, wird die Situation kritisch, weshalb das Callgirl Shirley (Viktoria Malek­to­ro­vych) den jähzor­nigen Gangster kurzer­hand außer Gefecht setzt und mit dessen Wagen flüchtet. Eher unfrei­willig mit dabei ist auf dem Rücksitz der Bote Pichler, der sich über­ra­schend schnell in sein Schicksal fügt (was ange­sichts seiner attrak­tiven Beglei­tung so unver­s­tänd­lich nicht ist).

Gemeinsam fahren sie Richtung Osten, um dort das gestoh­lene Auto zu verkaufen und kommen sich dabei langsam näher. Doch die Beziehung ist vorbei, bevor sie richtig beginnt, als Shirley mit Pichlers Geld verschwindet und ihn mit dem Auto alleine zurück­läßt. In dieser trost­losen Situation lernt Pichler den deutschen Schuh­ver­käufer Ignaz Springer (Detlev Buck) kennen, der ihm seine Freund­schaft aufdrängt, um ihn gleich­zeitig zu betrügen und auszu­nutzen wo es nur geht.
Aber Pichler plagen andere Sorgen bzw. Sehn­süchte, weshalb er sich auf den Weg in die Ukraine macht, um Shirley ausfindig zu machen. Als er in der Stadt Lviv Shirleys Zwil­lings­schwester Jana findet und sich in sie verliebt, ist die Odyssee kurz unter­bro­chen, aber noch lange nicht vorbei. Zu viele Fragen sind noch offen, weshalb es weiter geht nach Kiew (wo sich ihm Springer wieder anschließt) und schließ­lich nach Odessa, zum großen Finale.

So sehr das alles auch danach klingen mag, lässt sich die unab­läs­sige Reise der drei Haupt­per­sonen von Blue Moon doch nicht mit Attri­buten wie flüchtend, suchend oder verfol­gend umschreiben. Ihre Art der Fort­be­we­gung ist unbe­stimmter und lässt sich noch am besten als Driften beschreiben. Sie driften von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, von Erlebnis zu Erlebnis, von einer Kata­strophe zum großen Glück, von einem Höhenflug zum totalen Absturz, mal alleine, mal zu zweit.
Das ist der charmante Rhythmus dieses Films und er fesselt den Zuschauer derart, dass man gerne darüber hinweg­sieht, dass das Drehbuch arg viele Zufälle bemühen muss, um die drei Prot­ago­nisten (und ein Taxi) ständig zu trennen und in neuer Konstel­la­tion wieder zusam­men­finden zu lassen.

Das Driften bestimmt aber nicht nur das Fort­kommen der Haupt­fi­guren, sondern ist vielmehr das Grund­prinzip des gesamten Films.
Die Geschichte driftet zwischen Komödie, Tragödie, Liebes­ge­schichte, Road- und Buddy­movie. Die Regie driftet zwischen spontanem Realismus, hekti­schem Dogma-Stil, ruhigen Plan­se­quenzen, kreativem Eigensinn und filmi­schen Remi­nis­zenzen (von Eisen­stein bis Hitchcock). Die wunder­bare Filmmusik driftet zwischen (wenig) östlicher Folklore, harmo­ni­scher Instru­men­tal­musik und schweren Trip Hop-Beats. Die Bild­ge­stal­tung bietet alles zwischen wacke­liger Digi­tal­ka­mera und filmi­scher Land­schafts­ma­lerei.

Andere Film scheitern an einem solchen Übermaß an Ideen und Details, da sie es nicht schaffen, alle Einzel­teile zu einem passenden Gesamt­bild zusam­men­zu­fügen. Doch der Regis­seurin Dusl gelingt diese Grat­wan­de­rung mit erstaun­li­cher Leich­tig­keit.
Oft hat man den Eindruck, dass sie sich bei ihrer Arbeit einer Technik bedient, die in der Musik schon lange üblich ist, und die auch ausgiebig im Sound­track von Blue Moon angewandt wird. Es scheint, als ob Dusl sich filmische »Samples« nimmt (etwa die an Panzer­kreuzer Potemkin erin­nernden Trep­pen­szene), sie leicht variiert und dann über einen eigenen, durch­ge­henden Grund­rhythmus zu etwas Neuem, Originären zusam­men­mischt. Entspre­chend schwierig ist es, Blue Moon irgend­einem Genre zuzu­ordnen.

Einen erheb­li­chen Anteil am Gelingen dieses Films haben auch die drei Haupt­dar­steller, die als mensch­liche Alltags­typen ebenso glaub­würdig sind, wie als bigger-than-life Kino­helden.
Allen voran ist da Josef Hader als verliebter Melan­cho­liker, der (wie bereits im Vorjahr mit Komm süsser tod und Der Überfall) mit seiner erstaun­li­chen Leistung die Frage aufwirft, ob sein wahres Talent wirklich im Kabarett oder nicht vielmehr in der Schau­spie­lerei liegt.

Erfreu­lich gut präsen­tiert sich auch Detlev Buck, der in seinen letzten Filmen (sowohl als Regisseur wie auch als Darsteller) eine verhäng­nis­volle Tendenz zur platten Über­zeich­nung an den Tag legte und der nun in der Rolle des listigen Ignaz Springer sowohl quali­tativ als auch thema­tisch zu einem seiner besten Filme, der skurrilen West-Ost Reisen Wir können auch anders, zurück­kehrt.

Und schließ­lich ist da noch die (bei uns) bisher unbe­kannte Viktoria Malek­to­ro­vych, die als kumpel­hafte Taxi­fah­rerin ebenso glaubhaft ist, wie als eleganten Schönheit oder als billiges Callgirl. Um ihr wieder zu begegnen, müssen wir hoffent­lich nicht bis in Ukraine reisen oder auf den nächsten »Blauen Mond« warten.