Black Box BRD

Deutschland 2001 · 102 min. · FSK: ab 12
Regie: Andres Veiel
Drehbuch:
Kamera: Jörg Jeshel
Darsteller: Traudl Herrhausen, Hilmar Kopper, Rainer Grams, Helmut Kohl u.a.
Endstation

Die Guten und die Bösen

Der Doku­men­tar­film Black Box BRD von Andres Veiel sucht nach den Gründen für die ganz private, letzt­end­lich tödliche Kata­strophe im Leben zweier unge­wöhn­li­cher Männer und nach den verhäng­nis­vollen Faktoren, die den Kampf der RAF gegen die BRD auslösten.

Die zwei Personen, denen der Film nachspürt, könnten auf den ersten Blick nicht unter­schied­li­cher sein: Auf der einen Seite Alfred Herr­hausen, der nach dem Besuch einer NS-Elite­schule schnell den beruf­li­chen Aufstieg, bis hin zum Vorstands­spre­cher der Deutschen Bank schafft. Ein rastloser Geschäfts­mann, dessen Verhand­lungs­ge­schick nicht nur in der Wirt­schaft, sondern auch in der Politik gefragt ist. Ihm gegenüber steht Wolfgang Grams, das Kind aus einfachen Verhält­nissen mit großer musi­ka­li­scher Begabung, der als Jugend­li­cher gegen das »normale« Leben rebel­liert, der irgendwie die Welt verbes­sern will und der sich schließ­lich dem harten Kern der RAF mit allen Konse­quenzen anschließt.

Die Gefahr, bei diesen Vorgaben einen (in welche Richtung auch immer) partei­ischen Film zu machen, ist enorm. Doch Black Box BRD umschifft jede einzelne Klippe, die diesen Doku­men­tar­film zu einer belie­bigen Fakten­samm­lung inklusive großer Gefühle verkommen lassen würden.

So sind die beiden Charak­tere, von denen man sich nur durch die Erzäh­lungen von Verwandten, Bekannten und Kollegen ein Bild machen kann, keines­wegs so eindeutig, wie es vorder­gründig scheinen mag.
Herr­hausen ist nicht nur der konser­va­tive, geschäft­s­tüch­tige Turbo-Kapi­ta­list mit besten Verbin­dungen zur großen Politik, sondern auch ein char­manter Lebemann, der mit den gnaden­losen Geschäfts­prak­tiken seiner Kollegen oft nicht zu Recht kommt.
Grams wiederum ist nicht nur der schön­geis­tige Rebell auf der schiefen Bahn, sondern auch ein Fanatiker, der davon träumt, einen Mord nicht nur aus großer Entfer­nung mit einer Waffe, sondern auch mit bloßen Händen am Hals des Opfers ausführen zu können.

Gerade in dieser inneren Zerris­sen­heit und dem uner­bitt­li­chen Willen, mit dem sie für ihre Ideale eintreten, gleichen sich Herr­hausen und Grams und schnell begreift man, dass es hier keines­wegs darum geht das Leben eines Mörders dem seines Opfers gegenüber­zu­stellen. Black Box BRD verwei­gert sich ohnehin jeder Speku­la­tion darüber, ob Grams am Attentat an Herr­hausen beteiligt war oder nicht (dagegen wurde zeit­gleich mit dem Kinostart von Black Box BRD bekannt, dass Grams vermut­lich am Anschlag an Detlev Karsten Rohwedder beteiligt war).

Black Box BRD läßt sich nicht auf die schnellen Emotionen vieler Fernseh-Dokus ein. Da gibt es keinen finsteren Hass und keine Rache­ge­fühle und wenn die Zeit­zeugen tatsäch­lich einmal weinen (was erstaun­lich selten geschieht), dann filmt sie die Kamera nicht aus Voyeu­rismus weiter, sondern weil sie mit ihrer Erzählung noch nicht fertig sind.
Aber nicht nur auf billigen Voyeu­rismus muss der Zuschauer verzichten, sondern auch auf nach­ge­stellte Spiel­szenen und erklä­rende Kommen­tare aus dem Off, die so manchen Doku­men­tar­film zu (Be-)Lehr­filmen degra­dieren.

Erfreut stellt man fest, dass man diese »Denk­hilfen« gar nicht braucht, um sich selber ein Bild von den Ereig­nissen und den Menschen zu machen und gebannt folgt man den Erzäh­lungen der Zeit­zeugen, was um so mehr erstaunt, wenn man sich das zum Teil hane­büchene Geschwätz der Leute vor Augen hält.
Da ist der selbst­ge­fäl­lige Bank­vor­stand, der unzu­sam­men­hän­gend vor sich hin brabbelt und »Raff« statt »Er A Ef« sagt. Oder der ehemalige Freund von Grams, der vor seinem spießigen Schre­ber­gar­ten­häu­schen sitzt und davon redet, dass man damals die Wirt­schafts­bosse nicht als Menschen sondern »in ihrer Funktion« sehen musste. Oder Ex-Kanzler Helmut Kohl, der pathe­tisch vom gelebten Patrio­tismus des Alfred Herr­hausen schwärmt.

Dass diese Schil­de­rungen, Speku­la­tionen, Deutungen und sicher auch teilweise erfun­denen Geschichten ein span­nendes und faszi­nie­rendes Ganzes ergeben, liegt an der beein­dru­ckenden Krea­ti­vität, mit der der Regisseur Andres Veiel diese Aussagen bebildert und somit zusam­men­hält. Die privaten Amateur­auf­nahmen von Grams und Herr­hausen, die oft wie nach­ge­dreht und künstlich gealtert wirken, wechseln dabei nahtlos mit langen Kame­ra­fahrten entlang der Frank­furter Banken­hoch­häuser. Mit stark verfrem­deten Film­auf­nahmen, die nichts Konkretes mehr erkennen lassen, zwingt der Regisseur den Zuschauer seine ganze Aufmerk­sam­keit der Tonspur zu widmen. Eines der eindrucks­vollsten Bilder aber, die Veiel für diesen Film gefunden hat, sind die drei großen, dunklen Mercedes Limou­sinen, die immer wieder wie ein Geis­terzug auftau­chen und eine Aura verbreiten, die ein wenig an die Filme von David Lynch erinnert. Obwohl diese Fahrzeuge dem Schutz Herr­hau­sens dienen sollten, starb er ausge­rechnet in einem von ihnen. Die ausge­brannte Limousine Herr­hau­sens ist neben dem Bild des gefan­genen Hans Martin Schleyer auch heute noch eines der bekann­testen Symbole für den Terror der RAF.

Wolfgang Grams starb nicht in einem Auto, sondern während eines Schußwech­sels bei seiner versuchten Festnahme auf dem Bahnhof von Bad Kleinen. Wie Herr­hausen war auch er bis zum Schluß ständig in Bewegung, auf der Reise, auf der Flucht oder schlicht getrieben.
Andres Veiel hat diese Rast­lo­sig­keit in seinen Film einge­fangen und hat dadurch eine spannende und absolut sehens­werte Beschrei­bung dieser beiden Männer und der Zeit in der sie lebten, geschaffen. Black Box BRD ist somit ein Doku­mentarfilm im besten Sinne.