Bellaria – So lange wir leben!

D/Ö 2001 · 95 min. · FSK: ab 0
Regie: Douglas Wolfsperger
Drehbuch:
Kamera: Helmut Wimmer
Schnitt: Götz Schuberth
Herr Mosch, der Operateur

»Heute gibt es nur noch Tsching-Bumm und lauter Nackerte – das inter­es­siert mich nicht«, erklärt eine resolute Lady, die mit Leopar­denhut und Fuchs­kragen im Foyer des Bellaria erscheit. Sie zieht das legendäre Wiener Kino vor, wo täglich noch die alten Ufa-Filme über die Leinwand knistern. Der betagte Film­vor­führer hingegen hat eine andere Erklärung für das rege Interesse der Damenwelt: »Im Bellaria kriegt man noch Männer mit Vorkriegs­cha­rakter zu sehn.«

Jeden Nach­mittag putzen sie sich für den Höhepunkt des Tages heraus: Hütchen und Toupets werden zurecht­ge­zupft, elegante Hand­schuhe über­ge­streift. Viele kommen schon lange vor der Vorstel­lung, um zwischen verblühten Tape­ten­blumen und abge­wetztem Plüsch zu Plaudern. Wenn der Vorhang aufgeht und Zarah Leander ihre wehmü­tigen Weisen singt oder Marika Röck durchs Bild wirbelt, dann sitzen sie andächtig wie die Kinder vor dem Weih­nachts­baum und summen leise mit.

Da ist die eindrucks­volle Dame, die schon für den Schah von Persien ein Liedlein pfiff und sich jetzt von ihrem Freund und Mitci­ne­asten die müden Füße pediküren lässt. Da ist der alte Traves­tiekünstler, der seinen größten Schatz vorführt: ein Jahr­zehnte alter Lippen­stift­ab­druck auf einer Ziga­ret­ten­schachtel. Da ist die sanfte alte Frau, die, wenn sie ehrlich ist, ganz froh war, als ihr Mann starb. »Er war kein freund­li­cher Mensch«, sagt sie nur und lächelt entschul­di­gend. Die tägliche Kinokarte spart sie sich buchs­täb­lich von Munde ab: In ihrem Wohn­zim­mer­schrank hortet sie Konser­ven­dosen aus dem Sonder­an­gebot. Nahrung fürs Gemüt ist ihr wichtiger.

»Anfangs war man meinem Projekt gegenüber sehr reser­viert«, berichtet Douglas Wolfs­perger. »Da hatten einige Jour­na­listen verbrannte Erde hinter­lassen.« Doch dann hat gegen­sei­tige Sympathie das Eis schnell gebrochen. Zutrau­lich gewähren die alten Menschen dem Filme­ma­cher Einblick in ihr Leben. Strahlend präsen­tiert eine muntere alte Dame ihm ihren rüstigen Tanz­teegalan. »Der Arzt sagt, ich solle tüchtig Küssen«, sagt sie schel­misch. Was sie dann auch mit einer Inbrunst tut, die auf der Ufa-Leinwand undenkbar gewesen wäre. Die Erotik stirbt nicht mit dem Alter.

Auch das Thema Tod ist kein Tabu: Der Traves­tiekünstler hat im Fami­li­en­grab schon ein lauschiges Plätzchen reser­viert. Und der alte Film­vor­führer sagt ganz nüchtern: »Wenn ich sterbe, wünsch ich mir ein mittel­mäßiges Begräbnis – so wie alles in meinem Leben mittel­mäßig war.« Unsterb­lich sind eben nur Lein­wand­göt­tinnen und Film­helden. Doch ganz insgeheim hofft die alte Garde aus dem Bellaria viel­leicht doch, dass, wenn für sie der letzte Vorhang fällt, irgendwo Marika Röck oder Luis Trenker auf sie warten.