Bella e perduta – Eine Reise durch Italien

Bella e perduta

Italien/F 2015 · 87 min.
Regie: Pietro Marcello
Drehbuch: ,
Kamera: Salvatore Landi, Pietro Marcello
Darsteller: Tommaso Cestrone, Sergio Vitolo, Gesuino Pittalis u.a.
Der Büffel Sarchiapone und Pulcinella sind die märchenhaften Protagonisten in diesem hochgradig politischen Film

Nicht in Schönheit sterben

»In die Realität zu folgen, war unmöglich. Die Träume und die Fabeln erzählen die Wahrheit« – Pulci­nella

Kampanien ist heute leidvoll der Inbegriff für den Untergang von Kultur und Natur geworden. Kultur­denk­mäler wie die antike Stadt Pompeji drohen zu verfallen, Müll verseucht die Land­schaft. Der für Büffel­herden und Mozza­rella bekannte Land­strich am südwest­li­chen Schaft des Stiefels war einst mit drei üppigen Jahres­ernten der Gemü­se­garten Europas. Heute ist Kampanien, von den Römern liebevoll »Campania felix«, frucht­bare Felder, genannt, das furcht­erre­gende »triangolo della morte«, das Dreieck des Todes: in der weltweit größten Freilicht-Gift­müll­de­ponie sind Krebs­er­kran­kungen auffällig hoch.

Die skru­pel­lose Müll­ent­sor­gung, die sich der poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Korrup­tion und vor allem der Camorra verdankt, brachte es sogar zu einem eigenen Wikipedia-Eintrag: Unter dem Stichwort »Giftmüll bei Neapel« gibt er Auskunft über die Umtriebe der »Müll-Mafia«, die seit den 70er Jahren hoch­gif­tigen Abfall in die Land­schaft kippt oder in der Erde verscharrt.

2007 klärte der Doku­men­tar­film Biùtiful cauntri über die skan­dalösen Zustände auf, die damals gerade in die Schlag­zeilen gekommen waren. Jetzt ist wieder ein Film in die deutschen Kinos gekommen, der sich auf stille und poetische Weise dem unter­ge­henden Kampanien annimmt. »Bella e perduta«, nannte Pietro Marcello seinen ganz auf 16mm-Material gedrehten Film: »schön und verloren«. Das ist auf der einen Seite das Material selbst, das Marcello für seinen Film wählte, verschwin­dendes Film­ma­te­rial, und natürlich Kampanien insgesamt. Ganz konkret jedoch ist die unter­ge­hende Schöne ein verlot­terter Palast der Bourbonen aus dem 18. Jahr­hun­dert, die Reggia di Cardi­tello in der Provinz Caserta. Marcello, der selbst aus Caserta stammt, wollte anfäng­lich einen Doku­men­tar­film über den zur Ruine verfal­lenden Prachtbau und dessen Schloss­ver­walter Tommasso machen. Als »Angel di Cardi­tello« führte er ein einsames Leben in den abge­wetzten Raum­fluchten und hatte zur Aufgabe, die sterbende Schöne am Leben zu halten. Dann, uner­wartet, starb Tommasso inmitten der Dreh­ar­beiten an einem Herz­in­farkt.

Pietro Marcello gab sein Projekt nicht auf. Den Tod des Verwal­ters inte­grierte er in seinen Film, und er schuf einen Übergang in eine andere Erzählung hinein, in das märchen­hafte und verwun­schene Zwischen­reich von Leben und Tod. Prot­ago­nist des Films wurde ein Büffel, der im Palast Unter­schlupf gefunden und für den Tommasso zu Lebzeiten gesorgt hatte. Sarch­ia­pone, so heißt der Büffel, ein Name, der zu Giam­bat­tista Basiles neapo­li­ta­ni­sche Märchen­samm­lung »Pentame­rone« führt (letztes Jahr als Matteo Garrones Das Märchen der Märchen im Kino). Dort finden sich im Märchen »Peruonto« zum ersten Mal verschrift­licht die neapo­li­ta­ni­schen Begriffe »sarchiopio« und »sarch­ia­pone«, an der betref­fenden Text­stelle lautet die deutsche Über­set­zung: »Peruonto war wirklich ein windiger Nichts­nutz, der größte und dümmste Unkraut­jäger, den die Natur je geschaffen.«

Genau so ein Nichts­nutz und Unkraut­jäger ist auch der Büffel, ein niederer Schelm, der sich, und hier beginnt die fantas­ti­sche Erzählung, nach dem Tod seines Herren auf die Suche nach einem neuen Herren macht. Er begegnet Pulci­nella, dem komischen Diener der Commedia dell'Arte und Verkör­pe­rung der neapo­li­ta­ni­schen Volkseele, erkennbar an der hervor­ste­chenden Nase, seiner schwarzen Augen­maske und weißen Mütze. Mit Pulci­nella kann sich der Büffel unter­halten (ja, wir haben es im weiteren mit einem spre­chenden Büffel zu tun), dessen Perspek­tive der Film mehr und mehr einnimmt, kulmi­nie­rend im Point-of-View-Shot aus Büffel-Sicht. Wir erfahren von seinem großen Leiden, das sein Leben ist. Dies wiederum verbindet ihn mit dem Esel Balthazar, den Robert Bresson zum Prot­ago­nisten seines Au hasard Balthazar gemacht hatte – ein geschun­dener Esel mit ähnlichem Leidens­hin­ter­grund wie der Büffel Sarch­ia­pone.

Wie das zur Ruine verfal­lende Kultur­denkmal des Palastes ist auch der Büffel dem Untergang geweiht. »Die männ­li­chen Büffel sind in Kampanien zu nichts nutze«, erzählte Pietro Marcello auf dem dies­jäh­rigen Münchner Filmfest nach der Premiere von Bella e perduta, »sie wachsen zu langsam und geben natürlich keine Milch für den Mozza­rella. Und die Befruch­tung passiert heute nur noch künstlich.« Was hier in den Worten des Filme­ma­chers (und nebenbei über­zeugten Vege­ta­riers) anklingt, zeugt von dem poli­ti­schen Anliegen, den dieser so schöne Film hat. Bella e perduta ist ein selten gesehener Pakt aus märchen­hafter Parabel über einen poli­ti­schen Missstand und poeti­schem Plädoyer für einen möglichen Ausweg. Dieser könne nur in der Rück­be­sin­nung auf die neapo­li­ta­ni­sche Kultur und die Wahrung der Natur gefunden werden, so die Botschaft des Films, die verhalten und sanft ausspro­chen wird. Zwischen dem groben Korn des 16mm-Materials, der Ruinenäs­t­hetik und dem einsamen Büffel ist klar die Absage zu vernehmen, in Schönheit zu sterben.