Avatar – Aufbruch nach Pandora

Avatar

USA 2009 · 161 min. · FSK: ab 12
Regie: James Cameron
Drehbuch:
Kamera: Mauro Fiore, Vince Page
Darsteller: Sam Worthington, Zoë Saldana, Sigourney Weaver, Stephen Lang, Michelle Rodriguez u.a.
Bloß keine Spuren hinterlassen – in 3D!

Der mit dem Schlumpf tanzt

»Sagt mal von wo kommt ihr denn her? – Aus Schlumpf­hausen bitte sehr.
Sehen alle da so aus wie ihr? – Ja die sehen so aus wie wir.
Habt ihr auch Schulen in Schlumpf­hausen? Ja da gibt es nur noch Pausen.
Was mögt ihr am liebsten tun? Schlumpfen ohne auszuruh'n!
lala­l­a­l­a­l­a­l­a­l­a­l­a­l­a­lala...«

(Das Lied der Schlümpfe – Vater Abraham)

Was immer man auch über Avatar sonst noch denken mag – der Film ist ohne Zweifel ein Ereignis der Film­ge­schichte. Was man auf der Leinwand sieht, ist etwas Neues, Beson­deres. Der Hype ist deswegen noch lange nicht gerecht­fer­tigt. Man »muss« diesen Film nicht gesehen haben (es sei denn man hält es nicht aus, einmal nicht gleich mitreden zu können), man kann ihn gesehen haben, manche werden ihn toll finden, andere enttäuscht sein, und das wird sich in etwa die Waage halten – aber man sollte sich nicht unter Marke­ting­druck setzen lassen, und dem Markt­ge­brüll der Fisch­ver­käufer keinen Glauben schenken. Die Avatar-Kinos in den ersten Wochen werden voll­ge­stopft und die Preise hoch sein. Also Gelas­sen­heit, liebe Leser, nur die Ruhe, es gibt viele andere und bessere Filme! Keine Rede kann davon sein, hier handle es sich um einen »wirklich visi­onären Film.«

Der Film ist ein Ereignis nicht nur, aber auch, weil es sich wieder einmal um den teuersten Film aller Zeiten handelt: Avatar, heißt es, habe etwa 300 Millionen Dollar gekostet. Zum ersten Mal. So wie vor 18 Jahren Termi­nator 2 der teuerste Film der je gemacht wurde war, und als erster die 100 Millionen Budget-Marke brach und dann vor 12 Jahren Titanic, der die 200-Millionen-Dollar-Grenze durch­stieß. »Wer seine Ziele sehr hoch steckt und scheitert, scheitert immer noch auf höherem Niveau, als andere ihre Erfolge feiern.« – kein Ausspruch illus­triert besser Haltung und Selbst­be­wusst­sein von James Cameron, als dieser.
Bevor man dann das sieht, was soviel gekostet hat, muss man erstmal eine 3-D-Brille aufsetzen. Die gibt es im Kino, hoffent­lich anständig gewaschen, geputzt und befreit vom Schweiß und Viren der Vorgän­ger­gu­cker. Wir empfehlen, hier nach­zu­fragen – immerhin haben die Kinos hierin keine Routine und dürften von alldem eher über­for­dert sein. Kinos mit den Wegwerf­brillen aus Pappe sollte man jeden­falls meiden, nicht nur aus ökolo­gi­schen Gründen, sondern weil die Brillen im Vergleich nichts taugen. Mit den festen, größeren aus Plastik ist alles schon anstren­gend genug.

Frag­wür­diger 3-D-Effekt: Eine zweite Fläche im Raum

Dies ist wohl der erste 3-D-Film, der in dieser Größen­ord­nung ins Kino kommt. Es ist etwas völlig anderes, als etwa der Kinder­kram beim Film UP. Dies ist immerhin ein richtiger Film, der an 100-prozen­tigem Kino­an­spruch gemessen sein will. Wie fühlt es sich nun an, 3-D zu gucken, was bedeutet das überhaupt, und was unter­scheidet diesen Film von dem, was wir im Kino gewohnt sind?

Die schlichte Zuschau­er­er­fah­rung: Wer kein Bril­len­träger ist, und Brillen also gewohnt – aber wie ist es, die eigene Brille unter der 3-D-Brille zu haben? – findet das Blickfeld erstmal sehr sehr begrenzt. Der Effekt von 3-D ist zual­ler­erst, dass man sich andauernd selbst beob­achtet beim 3-D gucken, dass man ein wenig verkrampft versucht, Unter­schiede fest­zu­stellen. Dass man das alles nicht schnell lässt, spricht nicht für Camerons Film. Und die 3-D-Effekte selbst sich einer­seits fraglos da: Sie haben Folgen wie eine leichte Übelkeit, die sich bei mir mit der Zeit wieder gelegt hat. Ich habe aber etwa eine Stunde gebraucht, um mich an das Bild zu gewöhnen, um nicht mehr allein auf die Effekte zu achten, um irgendwie zu vergessen, dass es 3-D ist.
So drei­di­men­sional fand ich das Bild dann ande­rer­seits gar nicht, es wirkt weiter sehr flächig. Man kann es am besten so beschreiben, das vor der Lein­wand­fläche noch eine zweite Fläche sozusagen im Raum steht. Wie ein Pop-up-Buch: 2-D-Bilder hinter­ein­ander, was dann viel zwei­di­men­sio­naler wirkt, als zuvor.

Es ist schließ­lich auch deshalb ein wichtiger Film, weil Film die wich­tigste Kunst der Gegenwart ist, weil dieser Film ganz und gar für ein Massen­pu­blikum und den Massen­ge­schmack konzi­piert wurde, und deswegen viel Zeitgeist enthält, viel über die Gegenwart aussagt.

Im künst­li­chen Paradies

Pandora – das kann kein Zufall sein! Zur Erin­ne­rung: In der grie­chi­schen Mytho­logie war sie eine Unglücks­botin, zugleich ein künst­li­ches Geschöpf, eine Art antiker Cyborg: Aus Lehm geschaffen vom Über­tech­niker Hephaistos auf Geheiß des Götter­va­ters selbst. Wie die Techniker diesen Film im festen Griff haben, aber doch kontrol­liert werden von Gottvater James Cameron, der hier unter anderem auch seinen persön­li­chen Gottes­kom­plex auslebt, eine Welt erschafft, ein künst­li­ches Paradies.

Aber Pandora! Ausge­rechnet. Die »Allbe­schenkte«. Die Rache am Menschen. Die, durch die das Goldene Zeitalter zuende geht. Sie ist im Mythos verfüh­re­risch, eine Femme Fatale, mit vielen Gaben ausge­stattet. Hier ist Pandora ein präch­tiger Planet, mit allem ausge­stattet, und ein Ort, an dem die Menschen, die zuvor in unend­liche Weiten vorge­stoßen sind, an ihre Grenzen stoßen, auf sich selbst zurück­ge­worfen werden. Und auch ein künst­li­ches Paradies: Ein großer Aben­teu­er­spiel­platz, der ein wenig so aussieht, wie Bilder in National Geogra­phic. Aller­dings sind die Menschen hier nicht allein, es gibt noch die

Im digitalen Kurio­sitä­ten­ka­bi­nett: Schlümpfe, Riesen­bäume in Pilzform, Hammerhai-Nilpferd

Sie sind so blau wie Schlümpfe, aber haben kleine panther­hafte Reißzähn­chenund sind 3-Meter groß, ansonsten ist ihre Schönheit von so von so glattem Global-Multi­kulti, wie Disneys Poca­hontas: Man nehme nicht­kau­ka­si­sche US-Darsteller und male sie blau an. Im Film wohnen sie dann nicht unter einem Riesen­pilz, aber unter einem Riesen­baum in Pilzform. Man kann sie nur mithilfe eines Avatars besuchen. Avatare sind virtuelle Stell­ver­treter der Menschen. Sehr beliebt im virtu­ellen Rollen­spiel wie bei World of Warcraft. Hier schlüpft ein Soldat in einen fremden Körper, um die neue Welt zu erkunden. Das Wort stammt aus dem Sanskrit und meint die Mensch­wer­dung eines Gottes.

Die Zeit ist das Jahr 2154, der Schau­platz ein Dschun­gel­planet. Es gibt fabel­hafte Fanta­sie­tiere wie ein Hammerhai-Nilpferd. So ist alles auf Pandora total ins Vertraute verfremdet: Man nehme zwei Dinge, die schon Kinder kennen und morphe sie im Computer in eins – fertig ist das digitale Kurio­sitä­ten­ka­bi­nett.

Alles das ist very campy, die Dialoge, das Aussehen, die Muskeln der Indianer, aber aus campyness wird cheesy­ness – Avatar ist ein aufge­bla­sener B-Movie, wie eigent­lich alle Block­buster-Erfolge der letzten Jahre.

Esote­riker unter sich: Die Gesell­schaft ist eben auch nur ein Baum

Auch in der Story findet man allerlei Anleihen an den US-Grün­dungs­my­thos von »Poca­hontas«, der Verschmel­zung von Rot und Weiß, von Naturvolk und Zivi­li­sa­tion, deren Geschichte Terrence Malick in The New World eindrucks­voll erzählt hat... Den Film als Film, seine Geschichte, und seinen Stil könnte man ganz gut als einen India­ner­film im Science­fic­tion-Gewand beschreiben: Ein weißer Ameri­kaner, Außen­seiter unter seines­glei­chen, da er gelähmt im Rollstuhl sitzt, kommt seiner Gruppe abhanden. Die Häupt­ling­s­tochter einer fremden india­ner­ar­tigen Kultur, rettet den weißen Eindring­ling zunächst mehrfach vor dem sicheren Tod, er wird für das Leben an diesem Ort ausge­bildet, man verliebt sich und er wird vom Stamm aufge­nommen – auch an Der mit dem Wolf tanzt mag man denken. Hier nun eben mit einem Drachen.
Der Film zeigt wieder einmal – wie viele Holly­wood­filme – Ameri­kaner in einem fremden Land, die einer fremden einge­bo­renen Kultur begegnen, und darauf nicht die richtige Reaktion finden: Man kann sich an Western über die India­ner­kriege erinnert fühlen, an Darstel­lungen der Ameri­kaner in Vietnam, an Filme zum aktuellen Irak-Krieg.

Die andere Kultur ist irgendwie zurück­ge­blieben und doch viel näher dran an der Natur, geradezu eins mit ihr: Mal werden die Enden ihres Schwanzes, mal der lange Haarzopf mit irgend­einem Tier oder eine Pflanze verlogged – wie ein orga­ni­scher USB-Stick, und schon ist das Wesen Teil des langen ruhigen Ener­gie­flusses. Sie sind Esote­riker, die gern vom »flow of energy« faseln, von ihrer »deep connec­tion to the forest« schwafeln, und klare­r­er­weise nie vergessen: »all energy is only borrowed.« Irgend­wann fassen sich alle an, was dann von fern aussieht wie eine Baumform, die Gesell­schaft ist eben auch nur ein Baum, und dann schwingen sie im Rhythmus wie Zweiglein im Wind. Natürlich sind die Na'vi auch im Gegensatz zu den Menschen wieder anständig gottes­fürchtig – gut rassis­ti­sche edle Wilde eben. Das Exotische ist Versu­chung wie Verfüh­rung für die Menschen, vor allem aber findet Cameron auf Pandora nur, was die Conquis­ta­doren einst in Amerika fanden: Das allzu bekannte. Alles auf Pandora ist aus zweiter Hand.

Jungs­träume

Was Cameron, der eine Fabel für alle Zivi­li­sa­tionen und ihre Sünden­fälle erzählen will, damit aber letzt­end­lich auch sagt, ist zu Ende gedacht: Ohne ein gewisses Über­le­gen­heits­ge­fühl und die Miss­ach­tung fremder Kulturen und der Natur gibt es überhaupt keine Zivi­li­sa­tion.

Darum müssen jetzt die Bush-Analogien aufge­fahren werden: »We will fight terror with terror.«, sagt der Böse, ein entstelltes Narben­ge­sicht wie oft in Hollywood, damit ihn auch der Dümmste erkennt, und dann noch: »Nothing is over while I am breathing.«, ein Monster von General und gnaden­loses Over­ac­ting des Darstel­lers. Eine zweite Figur, mehr Ausbeuter, weniger Offizier, faselt zuvor noch von Share­hol­ders, also haben wir Armee und Wirt­schaft zusammen, den militä­risch-indus­tri­eller Komplex. Dann wird geballert, Flam­men­werfer, die Aliens, äh Indianer kämpfen mit archai­schen Mitteln gegen Technik, auch dies ein roman­ti­scher Traum, eine hübsche Schau­spie­lerin darf sagen: »I didn’t sign up fort this shit.«, dann Befehls­ver­wei­ge­rung üben um für den Wider­stand sofort mit dem Filmtod bestraft zu werden. Der Messias weiß inzwi­schen »they chose me for something.«, die Hammerhai-Nilpferde kommen als Tier-Kaval­lerie am Schluss, dann tötet Poca­hontas den Bösen, so sieht PCness a la Cameron aus, und wir wissen: Die Menschen sind Aliens in a dying world, und Avatare die Zukunft.

So ist das womöglich am Ende doch der ulti­ma­tive Jungs­traum, eine pubertäre Fantasy: Robinson meets Freitag, eine geile Braut, die meistens nackt herum­läuft, Sommer, Sonne, Schlumpfen und keine Arbeit.

»Its just a goddam forrest«

Zugleich ist Avatar im Kern ein Ökothriller, recht esote­risch in seiner Botschaft, das man den Baum umarmen muss, dann umarmt er auch zurück... Das erinnert auch an Mononoke Hime und an Laputa von Miyazaki, an Kaena: La Prophétie, an Tarzan, und natürlich an Richard Wagner: Am Ende gehen die Menschen wie die Nibe­lungen in den Untergang (! – Titanic reloaded?), das Komman­do­schiff heißt »Walküre« (was und auch an Apoca­lypse Now erinnert), und Held Jake ist eine Art Parzifal: »I was a warrior. Sooner or later you always have to wake up.« sagt der tumbe Tor, der zum Messias wird. »What the hell have you people been smoking around there? Its just a goddam forrest« ist der beste Satz des Schurken – Avatar ist ein Ökodrama und predigt das Zurück zur Natur.

Avatar erzählt etwas über unsere Angst vor den Maschinen und vor der Natur, über unsere Furcht, dass die Natur stärker ist, als wir. dass sie ohne uns auskommt. Zugleich erzählen Sie aber auch von der geheimen Hoffnung, dass wir über die Maschinen und Technik unsere Unschuld wieder­finden könnten, Dass wir darüber einen Neuanfang starten könnten. Der Film findet das eigent­lich Mensch­liche in seiner Über­schrei­tung, schlägt sich auf die Seite des nicht-Mensch­li­chen. Denn am Ende siegen ja die Urein­wohner über die Menschen, die Natur über die Technik – mit Hilfe eines technisch unter­s­tützten Menschen. Die Ökobot­schaft des Films wird zudem konter­ka­riert durch den tech­ni­schen Aufwand, und steht zu diesem in völligem Miss­ver­hältnis.

Was hat man eigent­lich von 3-D?

Denn insze­niert ist das alles mit gigan­to­ma­ni­scher Anstren­gung und digitalem Kulis­sen­zauber, was schon immer Camerons Stil war: Zugleich versucht dieser Film, neue Techniken fürs Kino zu erschließen. Nicht allein 3-D, sondern auch digitale Techniken, wie das »Motion-Capture«-Verfahren, bei dem die Akteure auf einer leeren Bühne vor grüner Wand spielen, in Ganz­kör­pe­ranzug, an dem Mini-Reflek­toren befestigt sind, die jede Bewegung in einen Computer einspeisen, werden hier auf ungeahnte Höhen gehoben. Rund zwei Drittel des Films sind reines Compu­ter­werk.

So dürften einige wache Zuschauer, bei denen der Kinder­land-Effekt nicht so glatt funk­tio­niert, viel­leicht doch eher reser­viert reagieren: Tolle tech­ni­sche Effekte, wahn­sinnig verrückte Ideen, einfalls­reiche Kreaturen, aber eine etwas zu schlichte Story. Visuell ist das fraglos von barocker Opulenz, aber es ist eben auch recht ermüdend.

Und der Weg in eine künst­liche Welt ist eben doch auch spürbar eine Flucht des Regis­seurs. 3-D müsste mal an unserer Welt auspro­biert werden. Man würde gern eine ganz normale Liebes­ge­schichte oder Komödie in 3-D sehen, ohne Maschinen und Science Fiction Welten – da würde man die Möglich­keiten und Grenzen von 3-D kennen­lernen. Dies zeigt auch, dass es noch lange dauert, bis wir so etwas zu Hause haben.
Wie Titanic also: Ein Film, der jetzt erstmal da ist und sich sehr sehr breit macht. Der dann aber wenn er wieder weg sein wird, keine großen Spuren hinter­lässt. Wetten das?

Und überhaupt: Was hat man eigent­lich von 3-D? Was soll das alles? War das nun die Zukunft des Kinos? Wir warten ab.