The Amazing Spider-Man

USA 2011 · 136 min. · FSK: ab 12
Regie: Marc Webb
Drehbuch: , ,
Kamera: John Schwartzman
Darsteller: Andrew Garfield, Emma Stone, Rhys Ifans, Martin Sheen, Sally Field u.a.
Spiderman V3.1: so schlecht wie Windows Vista

Die Vista-Version eines Superhelden

Altes Bein in neuen Strümpfen: Das Remake der Anfänge des Spiderman-Epos wirkt wie Twilight in Strumpf­hosen.

Jeder heutige Teenager ist eigent­lich ein Vampir. Oder ein Werwolf. Er hadert nicht mit dem Erwach­sen­werden, sondern weiß um das Biest, das in ihm steckt. Er ist nie verun­si­chert, sondern nimmt ganz selbst­ver­s­tänd­lich die Verwand­lung an, die in ihm geschieht. Er macht sich fit für Arbeit, Sport und Spiel, für das, was die Welt von ihm verlangt. Soweit die Ideologie. Spider-Man war einst in diesem Sinn anti-ideo­lo­gisch, zeigte einen Teenager, der mit sich hadert, und für den das Leben und die Arbeit anstren­gend ist. Weil heutige Teenager das nicht mehr verstehen (können), gibt es einen neuen Spider-Man, ein Reboot.

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Man fragt sich ja wirklich, was eigent­lich in sie gefahren ist, die grauen Herren von Hollywood: Nur zehn Jahre nach einem Film schon das Remake zu drehen! Klar das hat es gegeben, beim Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm. Aber nicht in heutigen Zeiten, als seit dem ersten Spider-Man von 2002 noch zwei weitere Sequels ins Kino kamen und alles auf DVD vorliegt, und, und... Die Halb­werts­zeit der Super­helden scheint jeden­falls ständig abzu­nehmen. Und man kann Tobias Kniebe nur Recht geben, wenn er in der »Süddeut­schen« andeutet, das Hollywood-Kino gehe allmäh­lich »von der Kreation zur Inter­pre­ta­tion über.«

»Spider-Man«, also der dem Film zugrun­de­lie­gende, in den 60er Jahren entstan­dene Marvel-Comic handelt von der Pubertät. Viel­leicht ist es dies, was den beson­deren Charme der von Stan Lee und Steve Ditko erfun­denen Geschichten ausmacht: Das roman­ti­sche Grund­motiv eines in seinem Körper unhei­misch gewor­denen letztlich schwachen und von der Umwelt gering geschätzten Normal­men­schen, der eine Doppel­gän­ger­exis­tenz als Superheld führt ähnelt zwar dem von »Superman«, »Batman« »Blade«, »Wonder-Woman« und vielen anderen Comic-Helden, doch im Gegensatz zu diesen ist der zum Spin­nen­mensch mutie­rende Peter Parker eben noch Gymna­siast. Dadurch werden Iden­ti­täts­kon­flikt, Liebes­kummer, Allmachts­phan­tasie und anderes sofort vers­tänd­li­cher und glaub­wür­diger, als wenn es sich um Erwach­sene handelte.

Nur zehn Jahre nach Sam Raimis erstem Spider-Man-Film drehte Marc Webb jetzt bereits ein Remake dieses Teils. Darin geht es vor allem darum, wie Spider-Man das wird, was er ist: Ein Spin­nen­mensch im Dienst der Mensch­heit und der puber­tie­rende Junge unter den Super­helden. Kein melan­cho­li­scher Millionär wie Batman, kein Wesen vom anderen Stern wie Superman, sondern einer mit Pickeln, Horn­brille und Angst vor Mädchen. Wenn das Marketing nun trompetet, der neue Film konzen­triere »sich auf eine bislang noch nicht erzählte Geschichte, die eine völlig neue Seite von Peter Parker zeige«, dann sollte man das nicht allzu wörtlich nehmen. Ist halt Marketing, wie überhaupt alles an diesem Film.

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In regel­mäßigen Abständen führen Konzerne neue Compu­ter­be­triebs­sys­teme ein: Aus XP wird Vista wird Windows 7 wird Windows 8. Vista war einfach schlecht, und manche arbeiten immer noch auf XP oder jetzt auf Linux, weil ihnen die Apple­haf­tig­keit von Win7 auf den Zeiger geht. Vor allem aber ist das viel Lärm um nichts. The Amazing Spider-Man ist, um im Bild zu bleiben, eher die Vista-Version eines Super­helden: Sieht anders aus, ist schlechter als der Vorgänger, aber geht grad noch.

Auch hier wieder ist Parker ein einsamer Waisen­knabe, der von einer mutierten Spinne gebissen wird, und selbst zum Spin­nen­mensch mutiert, der plötzlich die Fähigkeit hat, über Hoch­häuser zu springen und mit tech­ni­schen Hilfe riesige Netze, Seile und anderes Garn zu spinnen, mit dem man das Böse in der Welt bekämpfen kann.

Intel­li­gente Unter­hal­tung, nicht nur Jungskino, sondern auch etwas für Mädchen – das machte den bishe­rigen phäno­me­nalen Erfolg der Spider-Man Filme aus. Bei der Premiere von Raimis Spider-Man im Jahr 2002 war Spiderman als Superheld allein auf weiter Flur, nachdem die Batman-Serie Mitte der 90er versandet war. Inzwi­schen gibt es jedes Jahr mehr als einen Super­hel­den­film, und in dem Gewimmel geht die Einzig­ar­tig­keit der Figuren schon mal verloren.

Der Unter­schied zum von Tobey Maguire gespielten Vorläufer, ist aber zumindest früh klar: Dieser Spider-Man ist kein schüch­terner, picke­liger Outsider, kein Nerd, sondern ein cooler hoch­be­gabter Einzel­gänger, der Skate­board fährt und sich für Foto­grafie begeis­tert. Ein ganz normaler Jugend­li­cher, mit etwas mehr Gefühl, als andere. Ein überaus zeit­ge­mäßer Held also. Das gilt auch für die Ziel­gruppe: Dies ist mehr als frühere Comic-Verfil­mungen ein Teenie-Film. Weniger Comic, mehr Melodrama, ein bisschen wie Twilight in Strumpf­hosen. Viel deut­li­cher als in den Raimi-Filmen begegnet man hier auch aufdring­li­chem Produkt-Placement vom Mobil­te­lefon bis zu den Schuhen. Die Emotionen sind verkitscht, doch Regisseur Marc Webb findet eine gelungene Synthese zwischen Gefühl und Action. Webb ist zwar seit der roman­ti­schen Inde­pen­dent-Komödie (500) Days of Summer kein unbe­schrie­benes Blatt, aber doch eine Über­ra­schung für dieses Projekt. Sein Film ist routi­niert und gut, aber gewiss kein Meilen­stein des Super­hel­den­kinos. Zum einen nimmt die Action weniger Platz ein, als es bei so einem Film sein muss, vor allem aber fehlen dem Film die emble­ma­ti­schen Bilder – Motive, die sich einprägen, die man womöglich noch nie gesehen hat. Dem Film hilft daneben ein netter Auftritt von Andrew Garfield, den man bisher in vielen Neben­rollen – zum Beispiel in The Social Network – gesehen hatte. Er versucht ernsthaft zu wirken und ist doch hier unin­ter­es­santer denn je.

Auch hier findet sich das bekannte Motiv des Super­helden mit Iden­ti­täts­krise. Die hat dann freilich schnell ein Ende, als ein böser Schurke auf den Plan tritt. Der bedroht zwar die Welt, doch wirkllich wichtig ist das auch für die Macher nicht: »Das Herz, der Kern eines Spider-Man-Films sind die persön­li­chen Konflikte, in denen die Haupt­figur Peter Parker steckt. Dass er die Stadt retten muss, ist im Grunde nur eines von vielen Problemen, die er hat.« sagt Produzent Matthew Tolmach im Interview. Rhys Ifans verkör­pert »Lizard-Man«, einen bösar­tigen Repti­li­en­mensch. Der sieht ein wenig aus, wie eine Wieder­auf­er­ste­hung von Godzilla. Ansonsten ist er grün, wie der Kobold­schurke im dritten Teil. Oder war’s der erste?

Man kann schon mal durch­ein­an­der­kommen. Hieß Gwen nicht Mary Jane? Hat sie sich die Haare gefärbt. Oder was sagt es uns, dass Hollywood statt Spiderman einer rothaa­rigen nun eine blonde Freundin beigibt? Dass Spiderman kein Jour­na­list mehr ist. Sind Rothaa­rige Jour­na­listen im Kurs gefallen?

Das Ergebnis ist klar: Hollywood fällt überhaupt nichts mehr ein, außer den egozen­tri­schen selbst­be­zo­genen Phan­ta­sien einiger (Möch­te­gern-)Genies wie Chris­to­pher Nolan, oder Comic-Verfil­mungen, die immer simpler und blöder werden, so simpel und blöde, dass sie den Geist jedes Normal­sterb­li­chen belei­digen.

Ein Krisen­sym­ptom, sonst gar nichts. Und nicht mal inter­es­sant.

Zitieren wir nochmal die »Süddeut­sche«:
»Die immer­glei­chen, haar­sträu­bend simplen Grund­ge­schichten. Das immer­gleiche Personal. Nicht mehr nur Fort­set­zungen, sondern Remakes, Wieder­ho­lungen, Reboots – in immer kürzeren Abständen. Egal, wie man die Sache am Ende nennt: Es geht hier um Produkt­zy­klen, wie sie für alle Indus­trien inzwi­schen normal sind, deren Regeln der Markt diktiert und die ihrer­seits allen Betei­ligten ihre eigene Logik aufzwingen. Am Ende gilt das sogar für die Kritiker, die gezwungen sind, Produkt­ver­sionen zu verglei­chen, Alt-und-Neu-Listen abzu­ar­beiten und sich in Details der Spin­nen­drüsen-Biologie zu verhed­dern, als wären sie Schurken in Spider-Mans Netz.«

Man kann’s und will’s nicht besser sagen. Sorry – wir sind gelang­weilt. Geht rein, Leute, tut ihr ja sowieso. Schmeißt Euer Geld in den Rachen der Macher, kauft Popcorn, das ist immerhin für die Kinos gut. Ein flinker hübscher Spin­nen­mann werdet ihr nicht werden. Viel­leicht sorgt ja das Länder­spiel Italien-Deutsch­land und das EM-Finale gegen Spanien am Sonntag für ein paar Umsatz­ein­brüche. Hoffen darf man ja noch.

Ach ja 3D – auch so eine Sau, die durchs Marketing-Dorf gejagt wird, bis sie tot zusam­men­bricht. Ihr 3D-Gläubigen, glaubt halt weiter... Für den Rest die Info, dass das alles zusammen in 3D auch nicht besser ist und auch nicht besser aussieht, als auf normalen Lein­wänden, auch dieser Film leidet unter den bekannten 3D-Problemen: Dunkel­heit, Flächig­keit, Schlieren der Bilder. Im Gesamt­er­gebnis erscheint der Reboot von Spider-Man namens The Amazing Spider-Man einfach dümmer als das Original, als eine Neuauf­lage, die zwar nicht unan­ge­nehm anzu­gu­cken ist, aber völlig über­flüssig ist. Ein 08/15-Block­buster. Also ein Wider­spruch in sich selbst.